Dass Capitol Records nicht einfach irgendein Plattenlabel ist, erkennt man auf den ersten Blick: Der Capitol Tower (Architekt: Welton Beckett) gehört zu den markantesten Bauwerken Hollywoods und war in unzähligen Film- und Fernsehproduktionen zu sehen. Es handelt sich um ein Haus der Musik im wahrsten Wortsinn, denn der 13 Stockwerke hohe, erdbebensichere Turm, der 14 Jahre nach der Label-Gründung entstand, ist einem Stapel Singles nachempfunden. Schon der Umstand, dass es sich bei dem Bauwerk um das erste runde Bürogebäude der Welt handelte, war überaus innovativ, doch auch unter der Oberfläche tat und tut sich einiges: Die Echokammern, die Betonbunkern gleichen, sind neun Meter unter die Erde gebaut und ermöglichen es durch ihre Bauweise, Aufnahmen mit Nachhall zu versehen. Im Vorwort zu Taschens wunderbarem Band „75 Jahre Capitol Records“ geht der Musiker Beck zunächst auch auf das Gebäude ein: „Musik kann nur wenige Orte ihr Zuhause nennen … Dieses Wahrzeichen ist ein Überlebender, und wundersamerweise bleibt es stehen, was in einer Stadt, die ihrer Vergangenheit gegenüber weder Loyalität noch Sentimentalität empfindet, eine echte Rarität ist.“
Gegründet wurde Capitol Records vom legendären Sänger und Komponisten Johnny Mercer, der mit dem Vertrieb seiner eigenen Platten unzufrieden war und eines Tages gegenüber einem Geschäftspartner äußerte: „Mann! Wir sollten selbst Platten machen.“ Nachdem Mercers Frau den Namen Capitol, der sich auf den Sitz des Kongresses in Washington bezieht, beigesteuert hatte, legte man los – und war trotz des Umstands, dass Platten damals hauptsächlich in New York produziert wurden, von Anfang an erfolgreich: Mercers eigene Songs erwiesen sich ebenso als Goldgrube wie Billie-Holiday-Nummern. Generell verhalf das Label vielen afroamerikanischen Künstlern zum Durchbruch, machte etwa Nat King Cole zum Popstar und brachte in den vierziger und fünfziger Jahren viele Standardaufnahmen aus den Bereichen Rhythm and Blues oder Jazz auf den Markt (darunter das legendäre Miles-Davis-Album „Birth of the Cool“). Und einer Ikone wie Frank Sinatra, der Anfang der fünfziger Jahre gerade in einem Tief steckte, gelangen nach seinem Wechsel zu Capitol wieder große Erfolge. Ein Jahr nach Mercers Abschied im Jahr 1955 entstand schließlich der Capitol Tower. Man erstarrte jedoch nicht denkmalgleich, sondern ging mit der Zeit. Als in den Sixties Pop und Flower Power aufkam, nahm man Gruppen wie The Band unter Vertrag; in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts sorgten die Beatles und die Beach Boys für 65 Prozent des Gesamtumsatzes. Nachdem der Hippie-Spirit Anfang der Siebziger verflogen war, waren es schließlich Soundpioniere wie Pink Floyd, die für Einnahmen sorgten. Als man in den Achtzigern in eine Art spirituelle Krise kam und auf der Suche nach einer neuen Identität war, waren es Rap-Bands wie die Beastie Boys, mit denen man sich wiederfand. Heute hat man große Acts wie Coldplay oder Sam Smith unter Vertrag.
Herausgeber Reuel Golden und Autor Barney Hoskyns, beide Experten auf dem Feld der Populärkultur, lassen die Geschichte des Unternehmens in Wort und Bild lebendig werden, erzählen Anekdoten und vermitteln Fakten aus siebeneinhalb Jahrzehnten. Das schwergewichtige Buch begeistert dabei schon durch die Aufmachung, die an eine Plattenbox erinnert. Den Hauptteil machen aber die grandiosen Fotografien aus: Promoshots von Bands und Solokünstlern finden sich hier ebenso wie spontane Schnappschüsse und Konzertaufnahmen. Dabei kommen beileibe nicht zur die großen Legenden zum Zug; auch viele „One-Hit-Wonder“, die man heute kaum noch kennt, sind vertreten. Ein Schatz an historischem und zeitgenössischem Bildmaterial, bei dessen Betrachtung man automatisch einen vielstimmigen Soundtrack im Ohr hat.Reuel Golden, Barney Hoskyns:
75 Years of Capitol Records
Hardcover, 33 x 33 cm
Mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch
Taschen Verlag, Köln 2017
492 Seiten, EUR 99,99