Châteauroux. Kaum jemand kennt die Hauptstadt des mittelfranzösischen Départements Indre. Vielleicht, weil es hier weder einen bekannten Wein noch eine legendäre Käsesorte gibt. Es könnte aber auch das schizophrene Charisma der Gassen – das verwirrende Wechselspiel zwischen alten Gemäuern und semimodernen Plattenbauten – sein, dank dem Châteauroux irgendwo zwischen Savoir Vivre und Arbeiterhochburg oszilliert. Bezeichnend: Selbst der berühmteste Sohn der Stadt, Gérard Depardieu, verweigert konsequent die werbewirksame Gefolgschaft. Und so fallen einem zig andere Destinationen ein, bevor man einen Frankreich-Urlaub in Châteauroux buchen würde. Hansi Lang dachte anders: Für ihn bedeutete Châteauroux ein Stück Identität – denn hier kam die kleine, vaterlose Familie jedes Mal vorbei, wenn es zu den US-Militärbasen rund um die nahegelegene Ortschaft Les Ormes ging. Zwar wartete nicht sein Vater, Army-Officer Albert Hicks, aber immerhin die amerikanischen Onkels. In einer Slow-Club-Nummer heißt es: „I wanna go back home to Châteauroux.“ Also fuhren wir…
Nohant-Vic. Gerade einmal 500 Einwohner zählt die kleine Ortschaft in unmittelbarer Nähe von Châteauroux. Und doch laufen hier alle Fäden einer touristisch unbeleckten Gegend zusammen. In der mittelfranzösischen Einöde, umzingelt von weitläufigen Feld- und Waldflächen, erstreckt sich das ehemalige Anwesen der Schriftstellerin George Sand. Emanzipatorische Kräfte schätzen sie ob ihrer sozialkritischen Schriften, Belletristiker fokussieren auf Romane wie „Rose et Blanche“. Und die Einwohner von Nohant sind einfach nur selig, dass George Sand so etwas wie ökonomisches Potenzial in ihre Breiten gebracht hat. Der Dank: Straßen, Bars, Tankstellen, Hotels – gespickt mit dem Namen der prominenten Ureinwohnerin. Doch damit nicht genug: Dank George Sand küsste die Muse hier, in Nohant-Vic, besonders leidenschaftlich. Liszt, Balzac, Flaubert und vor allem Chopin: Sie alle reisten an, um Tage oder sogar Wochen bei ihr zu verbringen. Für Hansi Lang und mich bedeutete Nohant-Vic so etwas wie eine Zwischenstation. Unser Ziel hieß Les Ormes am Fluss Vienne – jener Ort, in dem er als Kind viele Monate bei den amerikanischen Onkels verbracht hatte. Nahe Nohant-Vic bezogen wir eine kleine Mühle, um uns von den Reisestrapazen zu erholen. In jenen Tagen wirkte Hansi Lang erschöpft und glücklich zugleich. So erschöpft, dass der Gang durch die zahlreichen Räume des Maison de George Sand undenkbar gewesen wäre. So glücklich, dass wir kurz darauf die letzten 120 Kilometer nach Les Ormes zurücklegten.