Champagnerkühler, Regalsysteme, Sportschuhe. Kochtöpfe, Möbel, Mobiltelefone.
Des Weiteren: ein Spacejet für Passagierflüge im erdnahen Weltraum, das Autokonzept für die Jeunesse dorée des 21. Jahrhunderts und Casualwear für anspruchsvolle Designfreaks. Wer meint, diese Produktpalette sei zu breit gesät, als dass sie von bloß einem kreativen Geist ersonnen werden könnte, täuscht sich. Ein Blick ins Studio des weltweit gefeierten Produkt- und Industriedesign-Stars Marc Newson beweist, dass die Formgebung all dieser exquisiten Objekte – ja, mitunter eher: dinghaften Präsenzen – durchaus unter einem (kognitiven) Dach stattfinden kann.
Patentrezept freilich befolgt der seit 2004 „by appoint¬ment of Her Majesty“ als Royal Designer for Industry firmierende Kreative keines. Erdreistet man sich, dem in Australien geborenen Ausnahmetalent mit der arglosen Frage auf den Leib zu rücken, woran denn gutes Design zu erkennen sei, hofft man vergebens auf aufschlussreiche Einblicke in das Geheimnis eines unerhörten Erfolges. „Fragen Sie mich am Ende meiner Karriere. Ich lerne noch.“ Immerhin ist der gute Mann „erst“ Ende Vierzig – kaum zu glauben eigentlich, in Anbetracht des bereits absolvierten Pensums. Die Karriere, die der Australier seit seinem Studienabschluss am Sydney College of the Arts 1984 hingelegt hat, ist ohne jeden Zweifel bemerkenswert. Die von ihm kurz nach Studienende entworfene Ottomane Lockheed Lounge zählt zu den wichtigsten Klassikern zeitgenössischen Möbeldesigns und erzielte in Versteigerungen der renommierten Auktionshäuser Sotheby‘s und Philipps de Pury Rekordpreise. Jede Designpublikation, die etwas auf sich hält, inkludiert standardmäßig eine Liste von Newsons Arbeiten. Die unheimlich einf ussreiche New Yorker Gagosian Gallery hat ihn selbstverständlich im Programm – und auch die nicht eben unmaßgebliche Pariser Fondation Cartier beauftragt den Designer schon einmal mit einer maßgeschneiderten skulpturalen Arbeit.
Design & Kunst unter einen Hut gebracht
Kaum mehr verwunderlich also, dass sowohl das Groninger Museum in Holland als auch das Londoner Design Museum diesem gestalterischen Tausendsassa bereits Einzelausstellungen widmeten. Der Zenit scheint sich im Falle dieses Höhenflugs zum Hochplateau zu entwickeln. Nicht minder imposant ist nämlich die Präsenz Marc Newsons abseits musealer Räume: Die Fluglinie Qantas wünschte sich von ihm das Interieur ihres Airbus A 380, und eines der prestigereichsten Pferde im LVMH-Stall, der Edelchampagner Dom Pérignon, trat an ihn mit dem Begehr eines Rezeptakels für Magnumflaschen heran. Ebenso lässt das noch vor der Jahrtausendwende von Ford vorgestellte 021c Concept Car das Herz von Automobilliebhabern höher schlagen. Nicht minder futuristisch: Ein für Astrium/EADS von Newson ausgestattetes Spacejet wird ab 2012 seine unerschwinglichen Erdumlaufbahnen ziehen. Was die zu erwartenden Passagiere betrifft, dürfte das Motto „Pecunia non olet!“ ein recht guter gemeinsamer Nenner sein. Exzellente Individuen ganz anderer Art bediente der Designer, als er die Dressen für das australische Olympiateam in Athen entwarf. Ähnlich modeaffin: Walter van Beirendonck und Azzedine Alaïa hängen und schlichten ihre Kollektionen in, von Marc Newson gestalteten, Shops. Womit wir eigentlich schon fast bei der Sache wären: Der Kreativ-Zampano kümmert sich nämlich auch um die Bedürfnisse der Fashion Community, ist es doch dank einer seit 2003 bestehenden, engen Zusammenarbeit mit dem in Amsterdam ansässigen Denim-Spezialisten G-Star selbst für Nicht-Olympioniken möglich, sich in Newson zu kleiden.
Der entscheidende Impuls für die Kollektion „Marc Newson for G-Star“ ging von Jos van Tilburg aus – immerhin ist der legendäre Gründer und Konzernchef der jungen Brand ein treuer Sammler von Marc Newsons Arbeiten. Also beschloss er kurzerhand, dass es an der Zeit für eine Kooperation im Modebereich sei. „G-Star ist ein dynamisches Unternehmen, unheimlich gut in seinem Bereich und sehr effizient“, gerät Newson ins Schwärmen. „Entscheidungen werden, was selten ist, immer ad hoc getroffen, und das passiert in erster Linie dank Jos. Diese Kooperation verläuft so reibungslos wie wenige andere, die ich bislang erlebt habe.“ Beim Stichwort der unternehmerischen Dynamik ist gewiss der Umstand bedenkenswert, dass die renommierte Denim-Brand selbst gerade einmal zwei Jahrzehnte auf dem Buckel hat. Das zwanzigjährige Firmenjubiläum wurde erst Ende 2009 mit einigen Festivitäten im Tokyoter Flagship-Store begangen, wohin auch Marc Newson als Stargast und Aushängeschild zur Signierstunde angereist war: sehr zur Freude japanischer Fashionistas, die Mode einen nach europäischen Standards geradezu unvorstellbaren Stellenwert zubilligen.
Auch in der Mode trifft Newson den Nagel auf den Kopf
Es ist nicht uninteressant zu beobachten, wie es in der Mode – und zwar gerade im Bereich der, ihrem Wesen und Ursprung nach, auf Funktionalität bedachten Denim-wear – letzthin vermehrt zu Kooperationen mit Industriedesignern oder auch Architekten kommt. Eine spannende Entwicklung inmitten inf ationärer Namedropping-Gepflogenheiten, die lieber designunerfahrene Hollywoodstars ans Reißbrett locken und damit der platten Logik einer Celebrity Culture folgen. Marc Newson ist übrigens auffällig vorsichtig, was den „Mode“-Begriff betrifft, vor dem er ein wenig zurückzuschrecken scheint: „Denim hat seinem Wesen nach schon immer einen stark funktionalen Aspekt und kann also durchaus eher dem Bereich des Industriedesigns als jenem der Mode zugezählt werden.“ Das ist in Anbetracht relevanter Aspekte der Modegeschichte freilich nicht von der Hand zu weisen. Newsons Wahrnehmung wird denn auch bestätigt von dem für G-Star als Global Brand Manager tätigen Marktspezialisten Shubhankar Ray: „Wir sehen uns nicht unbedingt als ein Modeunternehmen, sondern in erster Linie als eine Denim-Brand. Unser Zugang wird von der Funktionalität bestimmt. Genau das hat uns auf Marc aufmerksam gemacht. Mit einem Designer zu arbeiten, der an erster Stelle den Modeaspekt verfolgt, wäre für G-Star uninteressant.“ Ganz offenbar ist man sich darin einig, dass die „eigentliche“ Mode mehr auf Effekthascherei bzw. Glanz & Gloria setzt, als der von einem No-Fun-Ansatz bestimmte Denim-Sektor. Darüber ließe sich zwar bestimmt hübsch debattieren – für Fashionistas und Funktionalisten zählt freilich in erster Linie, was am Ende des Tages in die Läden kommt. Und hier hat Marc Newson offensichtlich einmal mehr den Nagel auf den Kopf getroffen.
Exklusiv und bestens durchdacht
Da in der Mode immer häuf ger auch abseits des Luxussegments auf das Prinzip „Exklusivitätssteigerung durch Verknappung“ gesetzt wird, nimmt sich die erst 2009 lancierte Linie „Marc Newson for G-Star Limited“ ganz als Kind ihrer Zeit aus: Nur 100 Stück von jedem Kleidungsstück werden produziert und vom Meister selbst handsigniert, um in den exklusivsten Concept Stores des Globus vertrieben zu werden. Dependancen von Colette, Moss und 10 Corso Como locken die kauffreudige Klientel in Paris, Mailand, Tokio, New York und Los Angeles. „Kleine Produktionszahlen eröffnen neue Möglichkeiten. So ist es nicht mehr notwendig, irgendwelche Kompromisse einzugehen, um die größtmögliche Kundschaft zu erreichen“, resümiert Shubhankar Ray aus der Marketingperspektive. „So kann Marc noch anspruchsvoller und innovativer an den Designprozess herangehen.“
Für den Designer bedeutet diese anspruchsvolle Innovationsbereitschaft im Wesentlichen, dass er das im Allgemeinen mit seiner Arbeit verbundene Konzept des Biomorphen auf den Modebereich übertragen kann. „Menschen sind ja dreidimensional. Sie sind organische Materie“, so Newson eindrücklich. „Ich habe manchmal den Eindruck, als sei ein Großteil der Mode, die wir zu sehen bekommen, für zweidimensionale Besenstiel-Personen gedacht. Die Teile sehen oft besser am Kleiderbügel aus, als wenn man sie anzieht.“ Seine grundsätzliche Herangehensweise an die neue Herausforderung im textilen Bereich bezeichnet der Allrounder als architekturinspiriert. Kleider als Behausung? „Architektonisch meine ich im ursprünglichsten Sinne, weil ich jeden Entwurf bis ins kleinste Detail durchkonstruiere. Oft wird in der Mode dazu tendiert, kleine Ungenauigkeiten im grundlegenden Gerüst durch ausladende Details zu kaschieren. Ich selbst sehe mir sehr genau an, welchen Zweck ein Kleidungsstück erfüllen soll und entwerfe dann die einfachst mögliche, funktionale Lösung. Farben, Muster und andere Details kommen erst später.“ Es spricht für das herausragende Talent von Marc Newson, dass er sich innerhalb kürzester Zeit mit den Gegebenheiten eines bestimmten Kontexts – wie eben den Bedürfnissen des Kleidermachens – vertraut machen konnte. Zugleich sei festgestellt: Der aufwändige Designprozess macht Newsons Kollektion für G-Star mitnichten zu freakigen Concept Clothes. In diesem Sinne ist es eine der wichtigsten Eigenschaften von ausgeklügeltem Design, dass man ihm seinen vorzüglichen Tragekomfort eher anfühlt als auf den ersten Blick ansieht.
Schließlich verachtet auch der Experte in architektonisch-biomorphem Design nicht die ästhetischen Qualitäten der Mode. „Wie jeder andere auch bin ich natürlich Mode-Endverbraucher. Ich sehe also nicht ein, warum ich nicht mit meinen eigenen Bedürfnissen Einfluss auf das nehmen sollte, was ich entwerfe. Immerhin gebe ich ja selbst Geld für Kleidung aus, und ich habe mir nie leicht damit getan, Klamotten zu finden, die ich Tag ein, Tag aus anziehen möchte.“ Und was für Marc Newson gut genug ist, dürfte auch eine hinlänglich große Schar von Modefreunden schnurstracks in den siebten Design-Himmel katapultieren.
Die Marc Newson for G-Star Mainline ist im Retail in allen G-Star Stores erhältlich, während man für die limitierte Kollektion einige Flugmeilen hinter sich bringen muss. Nach Mailand zu 10 Corso Como fahren aus ganz Österreich immerhin Nachtzüge.