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Krems brennt

Text: Heinrich Deisel | Fotos: Magdalena Blaszczuk

Als diesjähriges Motto gab das Donau-festival „Krems brûlée“ aus. Was lag da näher, als diese Verballhornung zurückzuspielen und aus „Crème brûlée“ ein „Krems brennt“ zu machen. Denn das Programm macht klar: Zwischen 25. April und 4. Mai ist Krems wieder Fokus heimischer und internationaler Avantgardeavancen. Es ist das neunte Mal, dass das Donaufestival von Thomas Zierhofer-Kin geleitet wird. In diesen neun Jahren hat sich das Festival von einer wohlmeinenden Provinzveranstaltung zum Pflichtprogramm verändert. Vergleiche mit Festivals wie dem Sónar in Barcelona, dem Club Transmediale in Berlin oder dem Unsound in Krakau zeugen davon, dass dort eine Programmierung wie sonst nirgends in Österreich möglich ist.

Natürlich gab es immer wieder heftige Kritik. Von Steuergeldverprassung war die Rede, von verkopfter Kunstkacke, von Monopolisierungstendenzen. Wie beim Fußball wusste jeder, wie man es besser hätte machen können. Aber hingegangen sind sie alle. Und das Jahr für Jahr.

Während sich das Donaufestival in den letzten Jahren intensiv mit den Rändern musikalischer Darbietungen in Richtung Performance, Theater und auch Tanz auseinandersetzte, rückt heuer wieder vermehrt Musik auf den Radar. Donaufestival 2013 heißt noch am ehesten: Kolonisierung des Pop-Metaraums zwischen Geschichtsaktualisierung und zukünftigen Perspektiven.

Lizards Against Boys, Hospitalliebeleien,„Neu!gativland“

Das Donaufestival ist nicht nur Elektronikexperiment, sondern auch Rock im roten Lautstärkenbereich. Bei der Kombination Girls Against Boys & David Yow stehen Headbangen, anschließende Genickstarre und musikalische Referenzen samt und sonders an. Yow war Frontmann der hochgeschätzten Noise-Rock-Band The Jesus Lizard, die von Steve Albini produziert wurde und 1993 mit Nirvana eine Split-Single herausbrachte. Auch bei Yows Folgebands wie Qui war der Amerikaner für seine Bühneneskapaden berüchtigt, er lieh seine Stimme Gruppen wie Helmet, The Melvins oder Pigface. Wobei sich Yow dem Vernehmen nach weniger als Sänger denn als konfrontationsfreudiger Vokalist sah. Der Kontakt mit Girls Against Boys kam vor vielen Jahren durch eine gemeinsame Tour zustande. Die wiederum trieben gemeinsame Sache mit Fugazi, Pitchshifter und Atari Teenage Riot. Der Hardcore-Sound ist ihrer Herkunftsstadt Washington DC verpflichtet, zwei Bassisten sorgen für ordentlichen Druck.

Mit Hotel Morphila Orchester wurden heimische Post-Punk-Heroen engagiert. Die von Peter Weibel und Loys Egg 1978 in Wien gegründete Formation war ein Bindeglied zwischen Punk und Medienkunst, vergleichbar den englischen WIRE oder FSK. Nummern wie „Dead In The Head“, „Liebe ist ein Hospital“, besonders „Sex in der Stadt“ und ihr Debüt Schwarze Energie von 1982 knallten New Wave und Punk eine volle Ladung Medientheorie, Lacan und Deleuze um die Ohren. Affirmation und Künstlichkeit statt regressivem Bierhallengeplärre. Der Musikjournalist Didi Neidhart schrieb zur Wiederveröffentlichung von Schwarze Energie (Cien Fuegos, 2012): „Hier geht es darum, Pop ernst zu nehmen.“ Das Programm The Origin of Noise verspricht geschichtsmächtige Diskurse.

Mit Michael Rother werden diese Diskurse zu Sprengfallen. Rother war zur Gründungsphase bei Kraftwerk, seine Krautrock-Band Neu! (zusammen mit Klaus Dinger) beeinflusste Legionen von Musikern zwischen David Bowie, Joy Division und Radiohead, mit der Elektronikgruppe Harmonia sorgte er ebenfalls für weltweites Aufsehen. Neu!-Nummern wie „Hallogallo“ und speziell „Negativland“ prägten 1972 einen Sound, der sich mantraartig in die Zirbeldrüse dübelt, nicht ohne Grund benannten sich die US-Experimentalmusiker von Negativland danach. In Krems werden Musik von Neu! und Harmonia sowie ausgewählte Solostücke Rothers präsentiert.

Geistersoundtracks, Minimalismus

Es ist sicher nicht übertrieben, für einige weitere Donaufestival-Acts Krautrock und die sich daraus ergebende, erweiterte Definition von Elektronik als stilbildend zu bezeichnen. Martin Rev ist als Keyboarder bei Suicide eine Zentralperson avancierter Punk- und Technomusik, wohl keiner fasst Rock ’n’ Roll-Rhythmen, Krachkaskaden und einschmeichelnde Melodien in so wenig Tönen zusammen wie er.

Der aus dem norwegischen Tromsø stammende Geir Jenssen hat sich, nachdem er Mitte der Achtziger bei der New-Wave-Band Bel Canto aktiv war, unter dem Namen Biosphere einen internationalen Ruf als Schrittmacher des Ambient Techno erspielt. Alben wie Shenzhou oder Dropsonde sind Studien über Entschleunigung, Hochtechnologie und archaische Bewusstseinszustände, N-Plants ein Konzeptalbum über japanische Atommeiler. Seine Konzerte pendeln als meditative Trips zwischen warmen Harmonien und Permafrost.

Andy Stott und Raime sind große Abräumer des Jahres 2012, ihre Platten Luxury Problems und Quarter Turns Over A Living Line wurden in praktisch jeder Best-of-Liste geführt. Ihre Entwürfe schwelgen in breit angelegten Sound-Clustern, wenn, dann treten Beats als deren Geister in Erscheinung. Stotts Musik lässt sich eventuell als Zeitlupen-Techno umschreiben, Raime erinnert an Bohren & The Club of Gore, ist aber voll elektronisch. Traumwandlerische (Ab-)Gründe tun sich hier auf.

Wie zukünftige Sounds aus dem Achtzigerjahre-Beschleuniger klingen, kann man bei Marcel du Swamp und Thunderdrone nachhören. In ein paar Jahren kann man dann damit angeben, zwei Bands bereits gesehen zu haben, als diese noch völlig unbekannt waren. Es gibt ein Leben nach Electronic Body Music, entäußernd, roh und fleischlich. Marcel du Swamp reichen rudimentäre Instrumentarien, voller Körpereinsatz versteht sich bei den Performances von selbst. Thunderdrone ist quasi österreichisch-amerikanische Freundschaft im New-Wave-Format des Heute: The Melvins spielen Detroit Techno und wurden dafür von Marc Almond gecastet, oder was? Live generierte Rhythmus-Loops treffen auf ineinander kollabierende Soundflächen für die Death Disco bei Morgengrauen.

Robert Hood erscheint oberflächlich betrachtet als Antithese der oben genannten Zugänge. Denn Hoods Musik war immer schon Dancefloor. 1989 gründete er mit „Mad“ Mike Banks und Jeff Mills das Detroiter Label Underground Resistance. Nach seinem dortigen Ausstieg wurde er ab den mittleren Neunzigern mit seinem Label M-Plant zu einem Pionier des Minimal Techno. Seine „Beat Science“ ist Lichtjahre von dem entfernt, was in den letzten Jahren als sogenannter Minimal durch die Clubs schallte. Zusätzlich erweiterte er seine Rhythmuskonzepte um Jazzfacetten, die Techno wieder an seine afroamerikanischen Wurzeln andocken ließen.

Grenzüberschreitungen, Maximalismus

Die Überschrift könnte auch lauten: „larger than life“. Das Kammermusikensemble Manorexia wurde 2001 von JG Thirlwell initiiert. Als Foetus seit den frühen Achtzigern mit Nick Cave und Lydia Lunch unterwegs und mit Soft Cell oder den Einstürzenden Neubauten auf Tour, frönt Thirlwell mit Manorexia seiner Vorliebe für Komponisten wie Ennio Morricone oder Krzysztof Penderecki, 60s-Trash-Soundtracks und experimentelle Neue Klassik. Die Alben Mesopelagic Waters (2010) oder Dinoflagellate Blooms ein Jahr später changieren, wie bei Thirlwell üblich, zwischen Streicher-Kitsch und Elektroakustik-Lärmattacken. Es ist eine der ganz raren Gelegenheiten, diese fulminanten Soundwahnsinnigkeiten live zu erleben.

Geoff Barrow (von Portishead) und Ben Salisbury haben mit Drokk eine der interessantesten Platten des letzten Jahres herausgebracht. Diese klanglichen Dystopien atmen Musique Concrète und Elektroakustik, sie gehen als alternativer Soundtrack für Judge Dredd oder Blade Runner durch. Der opak schimmernde Kristall namens Drokk bringt das Kopfkino zum Rattern und ist dabei nie um heftige Pop-Schlagseiten verlegen. Spätestens mit der Portishead-Nummer „We Carry On“ auf Third (2008) war ja mehr als offensichtlich, dass sie die Elektronikpioniere Silver Apples internalisiert hatten.

Die mit einem Prix Ars Electronica ausgezeichnete Wienerin Mia Zabelka macht mit ihrer Geige all das, wovor uns unsere Eltern immer gewarnt haben. Zabelkas Konzerte sind noch am ehesten intim-eruptive Konversationen, die die Verschmelzung von Violine und Elektronik in eine bislang ungehörte Zukunft beamen. Ein Avantgarde-Highlight.

Mit !!! (ausgesprochen: „chk chk chk“) und dem DJ-Set von Simian Mobile Disco geht es in versöhnliche Sphären. Im Frühling erscheint die fünfte Platte der Post-Punk-/Danceband auf dem Label Warp, THR!!!ER strotzt wieder vor räudigen, verführerischen und psychedelischen Sounds. Ähnlich Simian Mobile Disco: Remixe für Muse oder Klaxons und Konzerte mit The Chemical Brothers haben den beiden Engländern gute Referenzen hinsichtlich Alternative-Dance-Music beschert.

Bei dem Konzert von Omar Souleyman und bei den Skweee-Abenden ist Tanzschweiß angesagt. Souleymans Musik wurzelt tief in der Tradition seiner Heimat Syrien – dem sogenannten Dabke –, gleichzeitig kommt diese so heftig daher wie Baile Funk oder Dancehall. Nach einigen Cassetten-Veröffentlichungen wurde er Ende der 2000er auch im Westen bekannt, 2011 hat er für Björk Remixe gemacht. Für schlüpfrig-schwitzige Grooves sorgt der Skandinavien-Funk rund um Randy Barracuda, Mesak und Michael Black Electro. Zuerst in Österreich und dann weltweit wurde Skweee vom Label Laton gepusht. Die Skweee-Crew bestreitet die Clubabende mit einem krude-charmanten Style-Surfing zwischen Juke und Post-Dubstep.

Auch gut: Ghostpoet und How To Dress Well. Stellen Sie sich HipHop à la Tricky heutzutage vor, nur besser. Obaro Ejimiwe aka Ghostpoet und Tom Krells ätherischer Digital-R’n’B sind zwei der vielversprechendsten englischen Acts der letzen Jahre. Holly Herndon flaniert zwischen Sinuswellen-Experimenten und Berliner Clubbeats, und das mit einem Doktoratsstudium für elektronische Musik der Stanford University in der Tasche. Die Amerikaner Mi Ami veröffentlichen auf Thrill Jockey und spielen in etwa Postrock/No Wave. Und schließlich: Philipp Quehenberger. Die Österreich-Version von Martin Rev, Keyboard-Drangsalierungen mal als Free Jazz, mal wohltemperiert, auf jeden Fall kompromisslos.

Donaufestival, Krems, verschiedene Spielorte

Woche 1: 25.−27.4., Woche 2: 2.−4.5.

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