Knallgelber Hintergrund. Zwei Augen. Ein ausweichender Blick. Man will die Person erfassen und schaut doch vorbei. Der Ausdruck ergreift dort, wo er nicht berührt. Die Oberfläche bleibt Oberfläche und rüttelt an der Gegenwart. Wenn man Alex Katz’ Bilder betrachtet, fühlt man sich ertappt. Dabei ist es keine erzwungene Provokation. Auch kein Hinters-Licht-führen. Allein das Bild spricht eine Sprache, die wir nicht verstehen. Warum? Weil es keine Sprache braucht. Ein Dahinter des Dargestellten existiert, wenn, nur in ausgedehnten kunsthistorischen Interpretationen. Der Subtext ist nicht vorhanden. Für Alex Katz war die Kunstgeschichte „ein großer offener Raum“. Obwohl die Einflüsse von byzantinischer und ägyptischer Kunst da sind, bedeutet es nicht, dass das Dargestellte sie übersetzen will. Nur weil Katz’ Beschäftigung mit Manet, Matisse oder Rembrandt sein Denken beeinflusst haben, darf man sie nicht als Brille zum Verständnis seines Werks anwenden. Sogar Alex’ Katz gute Beziehung mit Jackson Pollock und sein ideelles Naheverhältnis zum Action Painting darf man nicht als Grundlage betrachten, um Katz’ Werk zu verstehen. Die Frau auf dem knallgelben Hintergrund wird trotzdem am Betrachtenden vorbeischauen. Und gleichbleibend wird die Beklemmung sein, die seine „radical flatness“ in uns auslöst.
Alex Katz hat bald ein ganzes Jahrhundert durchlebt. Der inzwischen 95-jährige wuchs als Sohn einer jüdischen, ursprünglich aus Russland stammenden Einwandererfamilie, im New Yorker Stadtteil Brooklyn auf. Und wie viele Kunstschaffende seiner Zeit sollte New York ein atmosphärischer Nexus für die Sujets werden, die ihn ein Leben lang begleiten. Zuerst wollte Katz eine Karriere als Druckgrafiker anstreben, wendete aber 1949 nach dem Besuch eines Kurses an der Skowhegan School of Painting and Sculpture das Ruder und beschloss Maler zu werden. Der Einfluss Jackson Pollocks zu dieser Zeit ist dabei vielmehr gedanklicher als ästhetischer Natur. Die „Coolness“ seiner Bilder und ihre scheinbare Ausdruckslosigkeit sind die Antwort auf eine gegenständliche Malerei, die sich für Katz’ Geschmack viel zu sehr von „sozialen und philosophischen Ideen“ bestimmen ließ, so Gunhild Bauer in ihrem Text zur Ausstellung. Pollock half ihm, einen Stil zu entwickeln, der Katz’ eigenen Empfindungen entsprach. Diese konnten nur im Jetzt des Empfundenen passieren. Es wurde Katz’ Credo, dass er „entweder hier in der Gegenwart“ sei oder „alles falsch“ wäre.
Aber wo bewegt sich diese Gegenwart? Katz malte zu einer Zeit, in der sich viel auf der Oberfläche einer Gesellschaft bewegte, die von Zurückhaltung geprägt war. Nicht nur war es die Zeit von Bebop und Cool Jazz. Auch der Film zeigte erstmals eine Facette, die in erster Linie versuchte, schöne Bilder zu erzeugen, anstatt politisches Instrument zu sein. Die Nachkriegskultur Amerikas formulierte sich in einer gelösten Oberflächlichkeit, die Katz als viel interessanter empfand als die Diskursgeladenheit der Vorgängerjahrzehnte. Zwischen Ausgelassenheit und Detachement seiner Realität war die Malerei für Katz mehr eine „historisch und diskursiv bedingte Praxisform als ein Fortschritt“, so Bauer. Der Fortschritt lag in anderen Medien. Der Ausdruck der Malerei war für Katz immer darin bedingt, etwas Geschehenes abzubilden. Ihre Aufgabe, die Gegenwart zu abstrahieren. Inwiefern hier Erinnerung und Gegenwart zusammenspielen, ist für Katz eindeutig: Die Bilder sind Formen des Geschehenen, die sich in der Erinnerung vergegenwärtigen. Aber sie werden trotzdem immer Vergangenheit bleiben. Die Kühle, die sich in ihnen widerspiegelt, ist damit auch Ausdruck von Vergänglichkeit. Bauer nennt es in ihrem Text eine „poetische Sicht der Welt“, die damit veranschaulicht würde. In den Auslassungen, müssen die Betrachtenden die Dinge durch Vorstellung komplettieren. Doch hier ist, wo auch das eerie Gefühl einer Abwesenheit der dargestellten Personen entspringt. Katz, der gerne als Wegbereiter der Pop-Art bezeichnet wird, will aber genau das Gegenteil der derselben. Pop-Art bediente bereits existierende Bilder, Katz bedient das Fliehende: „Ich glaube, Stil ist der Inhalt meiner Malerei, und ich glaube, Stil hat etwas mit Mode zu tun, und Mode ist unmittelbare Gegenwart, und darauf war ich aus.“Wo sich der Künstler auch sicher war, lag in der Gewissheit, dass Malerei grundsätzlich abstrakt sei: die Abstraktion der Gegenwart. Bei allem anderen hatten Film und Fotografie den malerischen Ausdruck überholt. Dennoch bleibt das Verhältnis zwischen Abstraktion und Realität für den Maler ein gespanntes: „Die Grammatik meiner Gemälde ist abstrakt, doch der Grundgedanke war, sie realistisch aussehen zu lassen. Realistisch – das heißt, man kann hineinsehen, die Lichter befinden sich auf diesem durchsichtigen Wasser.“ Während die Realität wie ein Licht auf dem Wasser flackert, bilden die Farben das Licht selbst ab und überhöhen es gleichzeitig. Die Sujets werden schemenhaft. Ähnlich wie bei David Hockney werden die Figuren durch starke Farbkontraste in ihrer Abwesenheit verstärkt. Das ist nicht zufällig: Die Identifikation mit den Figuren war Katz ein Dorn im Auge. Eine „romantische Empathie […] mit dem Dargestellten, […] lehnt Katz als fixen Wert ab“, so Bauer im Text zur Ausstellung. Die Innenwelt des Gemalten soll nicht entdeckt werden.
Dabei steckt in der Ferne zum Motiv eine durchdachte Nähe. Während der Mal-Akt bei Katz von Schnelligkeit geprägt ist, ist das Motiv schon längst innen herangewachsen. In vielen Zeichnungen und Skizzen wird das Gesehene meditiert. Im Malen wirkt der Ausdruck als Geste des schon Geschehenen: „Ich mag es gern schnell, weil die Oberfläche so glatt wird. Die Farbe auf dem Pinsel ist dunkler, wenn man ihn aufsetzt, und sie wird heller, wenn man den Strich zieht. Alles kommt in die nasse Farbe. Und man erhält ganz unterschiedliche Töne. Und eine sehr glatte Oberfläche. Und nur sehr wenige große Gemälde haben diese Art glatte Oberfläche. Für mich spielt sich alles auf der Oberfläche ab.“ Oberflächlichkeit und Oberfläche bedingen sich so im Malen selbst. Die „radical flatness“, die Katz zugeschrieben wird, beginnt in der Zurückhaltung der Welt und endet im direkten Ausdruck derselben. Die Werbung, die den Begriff des „image“ Mitte des 20. Jahrhunderts neu erfand, wurde zu einer Quelle ebendieser flatness. Bilder wurden auf großen Billboards aufgespannt und stellten die Wirklichkeit nicht mehr nur da, sondern veränderten sie. Die Oberfläche verwandelte das Dahinterliegende und nicht mehr umgekehrt.
Wo sehen wir also hin, wenn wir uns zwischen den knalligen Porträts verirren? Vielleicht in ein Stück amerikanischer Geschichte. Womöglich aber in eine Ambivalenz, die in uns selbst existiert und deren Darstellung irgendwo zwischen Oberfläche und Hintergrund liegt. Versteckt hinter einem Paar Augen, das an uns vorbeiblickt.
Alex Katz: Cool Painting
Ausstellung bis 4. Juni 2023
www.albertina.at