Startseite » Küstennahe Kunst

Küstennahe Kunst

Text: Michael-Franz Woels, Poor Arthur | Fotos: Magdalena Blaszczuk

Noch ist der Künstler Robert Jelinek Non-Präsident des State of Sabotage (SoS). Am 30. August 2003 wurde dieser Kunst-Staat mit Ablaufdatum (30.08.2013) unter Anwesenheit von HR Giger und der von Giger entworfenen Sabotage-Skulptur auf der unbewohnten finnischen Insel Harakka gegründet. Der SoS Pass wurde von niemand geringerem als Heimo Zobernig designt. Mittlerweile zählt dieser Staat auf Zeit über 14.000 Staatsbürger und -innen. Der Kunst-Hybrid SoS hat eine eigene Verfassung, das Nationalgericht ist die Soup of Sabotage und vielen Migranten und Migrantinnen dient der SoS Pass als einziges Dokument, um sich auszuweisen.

Im Rahmen eines Performance-Festivals war der State of Sabotage (SoS) Anfang Juni 2012 in Aspern auf Staatsbesuch und präsentierte eine neue Interpretation seiner Staatshymne SoS Anthem. Das ehemalige Flugfeld Aspern zählt zu einem der größten Stadterweiterungsgebiete Europas und ist zur Zeit ein Freiraum-labor für diverseste künstlerische Zwischennutzungsexperimente. Schauplatz der Darbietung war der Baggersee der „Seestadt“, in dessen Seemitte vier Synchronschwimmerinnen der SUW (Schwimmunion Wien) ihre Beinchen zum beatbefreiten Keyboard-Noise der SoS Hymne von Philipp Quehenberger kreuzten und drehten. Am 7. Oktober 2012 wird Robert Jelinek im Rahmen des bereits zum dritten Mal stattfindenden, internationalen Festivals für urbane Erkundungen Wien urbanize! beim Instant-Stadt-Experiment 24 hour kampolerta city einen Crash-Kurs in Sachen Staatsgründung abhalten: Für alle, die dann noch immer nicht StaatsbürgerInnen des State of Sabotage oder ihres eigenen Staates sind.

Sabotage bezeichnet die absichtliche Störung eines Ablaufs zur Erreichung eines bestimmten Ziels. Welche generelle Zielsetzung verfolgt der State of Sabotage?

SoS ist nicht an der Matrix oder Institutionalisierung eines Staates interessiert, sondern an seinem Zustand/Status. SoS ist eine Plattform menschlichen Potentials jenseits zeithistorischer und soziokultureller Barrieren. Auch ist SoS nicht an einer Sozialromanze unter geänderten Vorzeichen eines königlichen Zepters oder Vorstandes interessiert, sondern ein freier dynamischer Lebensentwurf. SoS ist die Verschiebung der Front der Grenzhandlungen an die „Grenzen“ der sich ausbildenden Staaten, ein viraler Parasit.

Die Abkürzung SOS ist im Allgemeinen als Notsignal für in Seenot geratene Schiffe bekannt, die angeblich für „Save Our Souls“ oder „Save Our Ship“ stehen soll. Welche Seelen bzw. welche Schiffe spricht der State of Sabotage an?

Seine eigene. Der SoS Staat hat gleich nach seiner Gründung die Ultima Ratio, den Notstand ausgerufen.

Es gab eine feierliche Gründung des Staates, dessen Eingliederung in die internationale Staatengemeinschaft, die Einführung einer eigenen Währung, die Vergabe von Pässen durch materielle Gegenleistungen. Wie stehst du dazu, dass SoS weitgehend den Ablauf gängiger staatlicher, wirtschaftlicher und politischer Systeme kopiert, die es dem Namen nach eigentlich sabotieren will?

Unterwanderung durch Anpassung ist immer die effektivste Methode.

Welcher Vorteil erwächst einer Sabotageaktion, wenn sie als Staat verankert wird?

Keiner. Wenn ich Vorteile haben wollte, müsste ich die Branche wechseln. Es entstehen eher neue Möglichkeiten.

Der Begriff Sabotage wurde durch den Klassenkampf geprägt, in dessen Diskurs Ausbeutung und Eigentumsverhältnisse eine zentrale Rolle spielten. Wie sehen die Eigentumsverhältnissen der SoS Kunstsammlung aus?

State of Sabotage wird am 30. August 2013 nach genau zehn Jahren wieder aufgelöst. Da wird sich der Staat all seiner Insignien entledigen. Um auch genau diese Thematik zu verdeutlichen.

Welche Beweggründe siehst Du darin, dass der US-regierungsnahe Konzern DomainsbyProxy die Domain „stateofsabotage.com“ für sich reserviert?

Terrorismus. Nach der Beschlagnahmung des SoS Mate­rials und der Einvernahme in Detroit 2004 war es deren nächster obligatorischer Schritt.

Kannst du uns kurz über deine Anfangszeit als Künstler erzählen bzw. auch über dein Bemühen, möglichst unabhängig vom etab­lierten Kunstbetrieb zu agieren?

Mir war als 20-Jähriger schnell klar, dass ich mit meinem Kunstbegriff, meiner Haltung und Zielsetzung mit den aus­beutenden Strategien des Kunstbetriebes, den Galerien­verträgen aus dem 19. Jahrhundert und der hermetischen Schließmuskelklientel nicht warm werde. Das steht bis heute im Weg. Man respektiert einander, geht sich aber schön aus dem Weg. Und das ist gut so.

Wie sieht subversive Kunst anno 2012 aus?

Es gibt weder subversive Kunst noch subversive Künstler. Das Prädikat wird einem entweder von Hochglanzmagazinen oder Staatsanwaltschaften bescheinigt. Ich dachte vor zwei Jahren, dass der Zenit an Semi-Künstlern und der künstlerische Output an Mittelmäßigkeit erreicht wäre, aber da geht noch was. Kunst ist heute eine zahnlose Seuche. Der pedante Beuys dreht im Grab schon seine Runden.

Gibt es nicht von dir auch die Idee einer (virtuellen) Universitäts­gründung?

Das ganze ist noch zu unausgereift um darüber Auskunft zu geben. Es ist als Nachfolge von State of Sabotage ge­dacht.

Wie kam es, dass du mittlerweile auch als Kinderbuchautor tätig bist?

Weniger, weil ich einer von Millionen von Vätern bin, die sich einbilden für ihr Kind ein Kinderbuch zu schreiben und zu illustrieren. Es gibt eine Schublade voll von unreal­isierten Projekten und Ideen, deren Relevanz meinerseits nicht mehr gegeben ist, diese in ursprünglicher Form zu realisieren. Eingebettet in einer Märchengeschichte erle­ben die Projekte eine völlig neue Ausrichtung und Dimen­sion, die mich selbst überrascht hat. Und ein Kinderbuch war für mich eine neue Herausforderung, von der Erzähl­weise, Sprache, Illustration bis hin zum Verlagswesen. Das Schöne an einem Kinderbuch für 5- bis 8-Jährige ist ja, dass es einem meist vorgelesen, vorgetragen wird. Diese Authentizität schätze ich dabei sehr.

Wie ist dein Verhältnis, deine Erfahrung im Kontext Kunst und Öffentlicher Raum?

Kontext Kunst. Gibt’s das noch? Ich dachte heute heißt das Wikipedia. Heute kann man froh sein, wenn man in der Stadt für drei Minuten von der sogenannten Kunst seine Ruhe hat. Das meiste ist dekorativer Mist, der unter Hipster-Begriffen wie Streetart auf eine Galerie-Entdeckung wartet. Alles buhlt um Aufmerksamkeit. Dieses neue Biedermeier wurde in Jean Baudrillards „Kool Killer – der Aufstand der Zeichen“ von 1978, schön verdeutlicht. Daraus folgt der routinierte Blick, Gewohnheit, Gleichgültigkeit, Ornament. Wie die Straße als Austragungsort für Demos in Mitteleuropa ausgedient hat, so hat diese Form von kreativer Straßenkunst seine Sandkiste selbst verspielt. Der öffentliche Raum wird für die Kunst wieder in 10 bis 15 Jahren interessant, wenn den Kids das Erbe ausgeht und man sich wieder aus ex­istenzieller Notwehr und künstlerischer Berufung dem Ort stellt. Und nicht nur aus Coolness.

| FAQ 18 | | Text: Michael-Franz Woels, Poor Arthur | Fotos: Magdalena Blaszczuk
Share