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Labor zur Sondierung der Gegenwart

Text: Koroschetz Stefan | Fotos: Press
Ariel Efraim Ashbel, Empire © Dorothea Tuch

Sie liegen schon länger im Postkartenformat an einschlägigen Orten auf, die Flyer für das Donaufestival 2017. Sie zeigen ein in rosa gedrucktes Kind auf einer Schaukel, das aus dem Weltraum auf eine grüne Erde blickt. Daneben steht der Satz „Es ist so schön, machtlos zu sein“. Besucht man die Website des Festivals, findet sich dort eine animierte Grafik in denselben Farben, nur dass diesmal zwei Kinder auf unbestimmten rosa Untergrund in die Luft springen. „Wer recht haben will, kann nicht genießen“, lautet diesmal der Text zur Linken. Die vermeintliche Erdkugel befindet sich in ständiger, ruckartiger und flimmernder Bewegung. Was will diese Animation dem Besucher vermitteln? Eventuell die Relevanz eines Blicks von außen bzw. von oben, um einen Überblick zu bekommen? Das Flimmern der Erde und des Weltraums als Referenz an die totale Medialisierung des Lebens in den Industrienationen? Der Phantasie des Betrachters sind jedenfalls kaum Grenzen gesetzt, worin sich bereits ein zentraler Aspekt der inhaltlichen Ausrichtung des Festivals für Musik, Theater, Performance und bildende Kunst manifestiert. Die Festivalbesucher sollen/dürfen/können ihre eigenen Gehirnwindungen anwerfen und sich einen Reim auf die mannigfaltigen Programmpunkte machen.

„Das Donaufestival 2017 wird manches neu machen, und doch erkennbar bleiben als Konvertierungsprogramm des Imaginären. Als Ritual. Vielleicht träumt es von elektrischen Schafen, hängt freestyle in der Steilwand und hofft auf Wir-NGOs statt Ich-AGs.“ Von „garantierten intensiven Erfahrungen im Zeitalter der entgrenzten Künste“ spricht Edlinger in einer Aussendung. Man kann das als leere Worthülsen abtun, doch zeigt sich in diesem Wording bereits der Versuch des Neointendanten, dem Festival mit neuer Begrifflichkeit seinen Stempel aufzudrücken und sich vom langjährigen Festivalleiter Thomas Zierhofer-Kin (der ab heuer die Wiener Festwochen leitet) etwas abzuheben. Das bis dato bekannte Programm lässt auf ein spannendes Festival schließen.

Einstürzende Neubauten als Headliner

Blixa Bargeld, dem Mastermind der Einstürzenden Neubauten, dürfte es bei seinem Auftritt in Krems doch gefallen haben – auch wenn es dem Vernehmen nach vor der gemeinsamen Show mit Teho Teardo 2014 zu Unstimmigkeiten bei der Weinauswahl gekommen sein soll. Mit seinen Krachveteranen Einstürzende Neubauten wird Bargeld das vier Tage umfassende, erste Festivalwochenende am Tag der Arbeit beschließen. Beginnen wird die Leistungsschau heuer zumindest in musikalischer Hinsicht mit GAS live. Hinter diesem Nom de guerre verbirgt sich der Kölner Wolfgang Voigt, der Ambient-Techno mit Partikeln aus der klassischen Musik anreichert. Voigts umfangreiches Gesamtwerk wurde unlängst vom Label kompakt als fette Vinylbox veröffentlicht. Die schon länger im Kern nur noch aus Green Gartside bestehende britische New Wave-Band Scritti Politti ist seit 1978 (mit langen Unterbrechungen) aktiv. Die ausgeprägt politisch agierende Band wird mit einem ihrer ultrararen Auftritte Krems beehren. Beschließen wird den Donnerstag Elysia Crampton mit einer aufregenden Mixtur aus lateinamerikanischen Klängen und Stolperbeats.

Tribut an einen Außenseiter

Mit einem radikal ungewöhnlichen Projekt beginnt der Freitag: The Julius Eastman Memorial Dinner by Jace Clayton. Der eher als DJ/rupture bekannte Jace Clayton zollt dem schwarzen und schwulen Pionier der Minimalimusic der 1980er, Julius Eastman, Tribut in Form einer elektronischen Verhäxelung seiner Klavierstücke. Den Kern des Projekts bilden die Stücke „Gay Guerilla“ und „Evil Nigger“, das Original und Bearbeitung in einem Maß verschmilzt, in dem beides als Real-time-Produktion wahrgenommen wird. Mit DJ LAG folgt ein Vertreter des als Quom bezeichneten Sounds aus dem südafrikanischen Durban, der peitschend-minimalistische Tracks präsentieren wird, gefolgt vom „Slaveship Punk“ (Selbstzuschreibung) mit Free-Jazz-Elementen gekreuzten Low-Fi Rap von Moor Mother. Der Südlondoner Benji Keating alias Palmestry, der satte sechs Jahre an seinem Album „Pagan“ gearbeitet hat, wird mit seiner „strange and subdued DIY bedroom-pop version of dancehall“ (Pitchfork) den Samstag in die Betten spielen.

Am Rand der Psychose mit einem Sufisten

Am Sonntag könnte vor allem einer das Publikum in seinen Bann ziehen: kein Geringerer als der großartige Gonjasufi wird sich ein Stelldichein geben. Der Mann, der bürgerlich Sumach Valentine Ecks heißt, früher koptischer Christ und als Rapper in Kalifornien aktiv war, entdeckte seine wahre Bestimmung, als er den Sufismus (die mystische Strömung des Islam) für sich entdeckte. Durch Vermittlung von Flying Lotus landete Gonjasufi 2010 beim britischen Elektroniklabel WARP, bei dem er zuletzt das Album „Callus“ (2016) veröffentlichte. Nimmt man „Callus“ als Messlatte, dürfte der Sufismus den Mann nicht gerade beruhigt haben. Man war ja schon einiges gewohnt von diesem Teilzeit-Yogalehrer-Berserker, aber dieses Album gestattet Einblick in besorgniserregende Abgründe. Die gern verwendete Bezeichnung als Borderline-Musiker wird nachvollziehbarer. Es gehe „nicht darum, etwas hinter sich zu lassen, sondern in etwas hineinzuwachsen. Ich bin durch all diese Schichten gedrungen, um zum Kern vorzustoßen“, sagt Gonjasufi gegenüber der Presse. Durchwegs kurze Songs (eher Songskizzen) auf sehr hohem energetischen Niveau mit Titeln wie „Poltergeist“, „Maniac Depressent“ oder „Last Nightmare“ beuteln den Hörer gewaltig durch, überzeugen dann aber doch wieder mit ihrem musikalischen Freestyle-Erfindungsreichtum und ihrer intensiven Gnadenlosigkeit. Wenn Sie sich einmal richtig innerlich durchputzen lassen wollen, sollten sie sich diesen Auftritt keinesfalls entgehen lassen.

Hören mit Schmerzen und Retrofuturismus

Laut und lärmend wird sicher auch der Montag. Die Metal-Freigeister von The Body aus Rhode Island (USA) versuchen bereits vorab mit dem Titel ihrer letzen Veröffentlichung „No One Deserves Happiness“ ziemlich auf die Stimmung zu drücken. Das macht aber nichts, weil wegen des ausgeprägten Wellness-Ambientes höchstens jene kommen, die zum ersten mal beim Donaufestival dabei sind. Etwas weniger „Hören mit Schmerzen“ könnte der Kanadier Ian William Craig bringen. Der vom Rolling Stone als „most exciting experimental composer of 2016“ bezeichnete, klassisch ausgebildete Sänger arbeitet mit kaputten Bandmaschinen, die seine aufgenommene Stimme zerstören. Nach vier Tagen am Stück mutet das zweite Wochenende mit seinen beiden Tagen und besonders Nächten fast wie ein kurzer Appendix an. Am Freitag wird der britische Produzent Actress mit seinen übersteuerten Noisedancetracks das Publikum daran erinnern, dass die „Schonfrist“ abgelaufen ist. Allen, die (noch) gut hören, seien an dieser Stelle die FM4-Ohrenstöpsel an Herz gelegt. Nur eine Zeitreise in die Vergangenheit wird der Auftritt von Silver Apples, obwohl die Formation seit 1967 aktiv ist, hoffentlich nicht werden. Ursprünglich zu zweit, besteht Silver Apples seit 2006 nur noch als Soloprojekt von Simeon Oliver Coxe. Der Technorock oder Spacerock des Duos wurde unzählige Male gesampelt und ihr selbstbetiteltes Debüt von 1968 zählt schon lange zu den absoluten Klassikern des avancierten Pop. File under: Retrofuturismus.

Last Exit Deafhaven

Für alle die noch Saft und Kraft haben bringt der Abschlusstag vor allem mit Deafhaven eine Band, die die Taubheit schon im Namen trägt. Mit ihrem Blackgaze (Mischung aus Blackmetal ohne Satan und Shoegaze) genannten Stil könnten sie so manchem Frischling noch am letzen Festivaltag das Fürchten lehren. Nicht annähernd so schwer verdaulich dürfte die Performance von Klara Lewis werden, die „atmosphärische Drones zelebriert und ihre Soundfiles in teilweise fast poppige Passage gleiten lässt“ (Presseinfo). Mit This Is Not This Heat, der (Re)Formation der Art-Rock und No Wave-Band aus den 1970ern, gibt es noch einmal alte Helden zu bestaunen.

Gegen die Verdunkelung der Gegenwart

Entsprechend der neuen Gesamtleitung des Donaufestivals wurde auch für den Performancebereich eine neue Leitung bestellt. Bettina Kogler ist designierte Leiterin des Tanzquartier Wien (ab 1. Jänner 2018) und kann auf über 15-jährige Erfahrung im Bereich Tanz, Performance und Choreografie verweisen. Sie leitet(e) unter anderem das Festival Imagetanz, war Kuratorin im Wiener brut theater und ist künstlerische Leiterin der Abteilung performing arts im Wiener WUK. Bekanntgegeben wurde von der Festivalzentrale bis dato zu den Performances nur wenig. Regisseur Ariel Efrain wird „Gegen die Verdunkelung der Gegenwart“ Futurismen der letzten Jahrzehnte konsultieren und versuchen, deren assoziative Potenziale freizulegen.

Libanesischer Schlagersänger und Alien Drags

Der eher als Musiker und Produzent bekannte Justus Köhncke (Whirlpool Productions, Köhncke solo, Filmmusik mit Irmin Schmidt) wird gemeinsam mit dem Theoretiker Stephan Geene die subversive erotische und politische Sprengkraft eines libanesischstämmigen Schlagersängers im Westdeutschland der 1970er Jahre performativ rekonstruieren. Eine theatrale Fantasie zwischen Oper und Nummern-revue kommt vom Performer und Musiker Colin Self mit „Siblings“. Die Performance ist der sechste Teil der Elation-Serie von Self. Dabei wird ein wuchernder Begegnungsraum der Alien Drags abgesteckt. Diese begreifen Empathie als Einfühlung in das Desintegrierte, Desindentifikatorische und handeln Praktiken der Anteilnahme und Fürsorge aus. Weitere performative Projekte kommen von Ariel Efraim Ashbel and Friends, Claudia Basrawi, Vika Kirchenbauer sowie Kris Verdonck und A Two Dogs Company.

28. April bis 1. Mai & 5. bis 6 Mai

www.donaufestival.at

 

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