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Licorice Pizza

Paul Thomas Anderson kehrt mit „Licorice Pizza“ an den Ort zurück, an dem er seine Jugend verbrachte, und mit dem seine Karriere begann: Das San Fernando Valley westlich von Hollywood

Mit Hollywood geht es zu Ende. Das wurde zwar schon des Öfteren behauptet, und die These hat eine Schwachstelle inzwischen auch deswegen, weil niemand mehr genau weiß, was Hollywood heute noch bedeutet – außer dass der allgegenwärtige Disney-Konzern seinen Sitz in der Gegend hat. Die Endzeitstimmung, die sich mit dem einst glamourösesten Label der Unterhaltungswelt verbindet, lässt sich mit einer gewissen Nostalgie begründen, die bei einigen der größten amerikanischen Filmkünstler zu erkennen ist. Quentin Tarantino trug zuletzt seine Hommage „Once Upon a Time in Hollywood“ sogar mit dem (natürlich ironischen) Tonfall eines Märchenonkels vor (oder eines neuen Sergio Leone der amerikanischen Filmindustrie). Und nun folgt von Paul Thomas Anderson seinerseits eine Rückschau auf die siebziger Jahre, als die Stars der goldenen Studio-Ära allmählich ihre Vergänglichkeit akzeptieren mussten, und als Steven Spielberg, George Lucas und Kollegen eine neue Ära des Kinos erfanden.

Licorice Pizza heißt das neue Projekt von Anderson. Wer seine Filme kennt und schätzt, wird ungefähr wissen, worauf man sich einstellen kann: auf eine Geschichte, die zugleich mythologisch aufs Ganze geht, wie zugleich penibel in die Details der damaligen Lebenswelt und Lebensgefühle. 1973 war ja in vielerlei Hinsicht ein Wendejahr, nicht zuletzt aus heutiger, klimabewegter Sicht. Damals sprach man von einer Ölkrise, die sich aber als vorübergehend erwies, denn seither wurde noch jede Menge Öl von unter der Erde in den Himmel befördert. In Licorice Pizza verbindet sich der Schock endlicher Ressourcen mit zweifelhafter sexueller Liberalisierung (in Gestalt des Pornofilms Deep Throat) und mit Präsident Nixon, für den das unehrenhafte und vorzeitige Ende seiner Amtszeit schon nahe ist.

Das sind aber eher Randaspekte, denn im Kern ist Licorice Pizza von einer autobiografisch grundierten Romantik geprägt. Anderson erzählt von einem jungen Mann namens Gary, der damals gerade 15 ist, sich aber schon als Unternehmer hervortut (er verkauft mit einer Firma namens Soggy Bottoms Wasserbetten, auch das ein typisches period detail). Er wächst im San Fernando Valley auf, wie Paul Thomas Anderson selbst auch, der allerdings – Jahrgang 1970 – hier ein bisschen hinter seine eigenen Kindheitserinnerungen zurückprojiziert. Diese zehn Jahre Unterschied zwischen eigener und erfundener Teenagerzeit sind auch für Licorice Pizza bedeutsam, allerdings in einer interessanten Verschiebung: Gary verschaut sich nämlich in eine Frau, die zehn Jahre älter ist als er. Sie heißt Alana, und wird von einer Frau gespielt, die mitten aus der heutigen Popkultur kommt: Alana Haim gehört zu der Band gleichen Familiennamens, mit ihrer Mutter hatte Anderson schon in jungen Jahren an der Buckley School zu tun, zu zahlreichen Songs von Haim hat er später die Musikvideos gemacht. Es gibt also vielfache persönliche und popkulturelle Bezüge, von denen Licorice Pizza durchzogen ist. Das gilt in gleichem Maß bei der männlichen Hauptrolle: Gary wird von Cooper Hoffman gespielt, dem Sohn von Philip Seymour Hoffman.

Durch den frühen Tod dieses Ausnahmeschauspielers im Jahr 2014 wurde vor allem die letzte gemeinsame Arbeit The Master (2012) zu einem Vermächtnis. Hoffman spielte damals einen Charismatiker namens Lancaster Dodd, der mit einem Kult namens The Cause den jungen Weltkriegsveteranen Freddie Quell für sich einnimmt. Von den beiden Alphaschauspielern, die damals aufeinander trafen, stieg Joaquin Phoenix danach in die erste Liga im amerikanischen Kino auf, während Hoffman mit nur 46 Jahren ein Opfer seiner Drogenprobleme wurde. Dass Cooper Hoffman nun mit Licorice Pizza in die Fußstapfen seines Vaters tritt, hat vielleicht immer noch ein bisschen mit Trauerarbeit von Anderson zu tun, ist aber auch fast so etwas wie ein Exorzismus. Ein Versuch, eine Stunde Null zu finden …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 63

 

Licorice Pizza
Komödie, Drama, USA 2021
Regie und Drehbuch:
Paul Thomas Anderson
Kamera: Paul Thomas Anderson, Michael Bauman, Schnitt: Andy Jurgensen, Musik: Jonny Greenwood, Kostüm: Mark Bridges
Mit: Alana Haim, Cooper Hoffman, Bradley Cooper, Sean Penn, Tom Waits, Benny Safdie, John C. Reilly, Maya Rudolph, Ben Stiller, Este Haim, Emma Dumont, Sasha Spielberg
Verleih: Universal Pictures, 133 min
Kinostart: 27. Jänner 2022

| FAQ 63 | | Text: Bert Rebhandl
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