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Linke Mythen

Text: Dvorak Ludwig, Breiteneder Sandra | Fotos: Archiv

Auch jeder Revolutionär hat seinen Preis – im Falle von Che Guevara liegt der bei EUR 9,90: Wer es beizeiten verabsäumt hat, bei H&M zuzuschlagen, kann sich mit einem Zehner bewaffnet bei ebay &Co. jederzeit mit Textilien aller Art eindecken, die vom Konterfei der revolutionären Pop-Ikone geziert werden. Nicht nur an den Kaufhaus-, auch an den Kinokassen sollte Che in den letzten Jahren zum Schlager werden. 2004 lockten The Motorcycle Diaries in die Kinos, im Juni geht auch in Österreich Steven Soderberghs zweiteilige 30 Mio.-Dollar-Produktion Che an den Start. Der globale Erfolg des Mythos „Che“ ist beispiellos. Als politischer, kultureller und kommerzieller Markenartikel hat er es längst zu einem gesellschaftlichen Ansehen gebracht, das wohl noch keinem Revolutionär beschieden war.

Das Leben des Che

Die Mischung aus Aufbegehren, Heldenmut und Lagerfeuerromantik, die Che verkörpert, fasziniert seit Jahrzehnten. Und tatsächlich ist das Abenteurertum das verbindende Element im wechselvollen Leben des Eernesto Guevara, der unter seinem Spitznamen „Che“ weltberühmt wurde. Als junger Mediziner begab sich der gebürtige Argentinier Anfang der 1950er-Jahre auf eine Motorrad-Reise durch Südamerika und wandte sich politisch der Linken zu. Er lernte das Elend der großen Mehrheit der Menschen in Südamerika ebenso kennen wie die korrupten Eliten, die gemeinsam mit westlichen Unternehmen die wirtschaftlichen Ressourcen der Länder ausplünderten. In Guatemala erlebte Che 1954, wie die demokratisch gewählte Regierung von Jacobo Arbenz durch einen Staatstreich gestürzt wurde, weil sie durch ihre Agrarreform in Konflikt mit US-amerikanischen Lebensmittelkonzernen geraten war. Als „comandante“ nahm er schließlich an dem zirka zwei Jahre andauernden Guerillakrieg gegen Kubas Diktator Batista teil, der zum Jahreswechsel 1958/59 mit dem Kollaps des Regimes endete. Che Guevara stieg im Gefolge der kubanischen Revolution zum Wirtschaftsminister und Notenbankpräsidenten in Fidel Castros neuer Regierung auf. Aus dieser Zeit stammt auch das von Postern und T-Shirts bekannte Porträtfoto, mit dem Che ab 1967 Teil der Popkultur werden sollte und das zu den meistgedruckten Bildern der Welt zählt. Es gehört zu den Ironien der Geschichte, dass das Bild des „Guerillero heroico“ mit dem martialischen Blick den Helden der kubanischen Revolution nicht im Kampfe, sondern während einer stundenlangen Rede Fidel Castros auf einer Trauerkundgebung in Havanna Anfang 1960 zeigt.

Auch Ches politisches Hauptwerk erschien 1960. In „Der Guerillakrieg“ versuchte er eine theoretische Fundierung der kubanischen Revolution zu liefern und für ganz Lateinamerika zu verallgemeinern: Eine kleine Gruppe entschlossener Revolutionäre müsse als Guerillagruppe die unterdrückten Bauern befreien und sie für den bewaffneten Aufstand gewinnen.

Guerilla für den deutschen Großstadtdschungel

Ches Guerillakonzept fand trotz der außerhalb Kubas mehr als bescheidenen Erfolge in modifizierter Form auch in Europa Widerhall. In Deutschland war am 2. Juni 1967 der Student Benno Ohnesorg bei einer Demonstration von einem Polizisten erschossen worden. Ein Jahr später wurde der linke Studentenführer Rudi Dutschke von einem Attentäter schwer verletzt. Die Gewaltfrage, die schon zuvor angesichts von Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt diskutiert worden war, wurde nun auch für viele Linke zur Gretchenfrage und ließ das Konzept der bewaffneten „Stadtguerilla“ entstehen.

Mit der Brandstiftung in einem Frankfurter Kaufhaus wählten vier Aktivisten namens Gudrun Ensslin, Andreas Bader, Thorwald Proll und Horst Söhnlein im April 1968 auch praktisch den Weg in die Illegalität und ebneten somit den Weg zur späteren Gründung der „Rote Armee Fraktion“ (RAF). Sie wurden kurz nach der Tat verhaftet und im Herbst des Jahres zu drei Jahren Haft verurteilt. Die Gruppe entschloss sich, die Haft nicht anzutreten und in den Untergrund zu gehen. Andreas Baader wurde jedoch bald darauf wieder verhaftet und im Mai 1970 in einer spektakulären Aktion mit Hilfe der angesehenen Journalistin Ulrike Meinhof befreit. Die Befreiungsaktion von Andreas Baader war die eigentliche Geburtsstunde der RAF, auch wenn das Kollektiv erst im Jahr darauf diese Bezeichnung wählte.

Die Aktionen der RAF genossen anfangs durchaus Sympathien in der westdeutschen Linken. Verantwortlich dafür waren wohl auch die – schon zu Lebzeiten zu Ikonen stilisierten – Figuren Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Meinhof, die kluge und reflektierte Journalistin, galt als pointierte Beobachterin und Kommentatorin ihrer Zeit. Der Bruch mit ihrem bisherigen Leben faszinierte jene Linken, die wohl auch vom stark romantisierten Bild des abenteurlichen Guerilla-Kampfes träumten. Dem mit Vorliebe rüpelhaft auftretenden Andreas Baader hingegen wurde neben seiner Macho-Attitüde auch der ständige Drang zu Taten ohne Rücksicht auf Verluste nachgesagt. Stefan Aust beschreibt hingegen, wie sich Baader bei den Hungerstreiks der Gruppe im Gefängnis mit Gudrun Ensslin abgesprochen haben soll, um trotz kollektiver Entbehrung essen zu können. Doch nicht nur Ulrike Meinhof ließ sich von Baaders unreflektiertem Herumpoltern in den Bann ziehen – im Dezember 1974 kam sogar der legendäre und allseits verehrte Jean-Paul Sartre zu Besuch ins Gefängnis. Das persönliche Urteil des Intellektuellen fiel allerdings ernüchtert aus: „Ein Arschloch, dieser Baader“.

Als RAF-Mitglied Holger Meins während eines Hungerstreiks im Gefängnis starb, kam es zu einer erneuten Solidarisierungswelle. Das Bild des durch seine Schussverletzungen beeinträchtigen Rudi Dutschke, der vor dem Grab von Meins spontan die Faust in die Höhe reißt und ruft: „Holger, der Kampf geht weiter!“ ging als heroisches Manifest um die Welt.

Während des letzten Aufbäumens der zweiten Generation der RAF schlugen die inzwischen ohnehin gebeutelten Sympathien in Ablehnung um. Das Kidnapping von Arbeitgeber-Präsident Hans Martin Schleyer und die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ durch palästinensische Terroristen stellten keine positiven Bezugspunkte mehr da.

In der Nacht nach der erfolgreichen Befreiung der Landshut in Mogadischu starben Baader, Ensslin und Raspe unter mysteriösen Umständen im Gefängnis Stuttgart-Stammheim. Meinhof hatte sich bereits einige Monate zuvor das Leben genommen. Bis heute ranken sich Mythen um Mord oder Selbstmord der Gruppe: Auslöser dieser Diskussionen ist der Umstand, dass sowohl Baader als auch Raspe durch Schusswaffen starben, die durch die RAF-Anwälte ins Gefängnis geschmuggelt worden sein sollen – ein eher ungewöhnlicher Vorgang im damals modernsten Hochsicherheitstrakt Deutschlands. Die RAF ermordete daraufhin ihre Geisel Hans Martin Schleyer.

Die politische Rechtfertigung der RAF-Terroraktionen als Kampfakte einer „Stadtguerilla“ erscheint rational schwer nachvollziehbar. Im Song „Für Ulrike“ der deutschen Punkband Aufruf findet sich ein durchaus wohlwollender musikalischer Nachruf auf Meinhof. Der Refrain des Liedes bringt die misslungene Gratwanderung zwischen Gesellschaftskritik und politischem Wahnsinn auf den Punkt, ist aber in erster Linie ein Beweis für die popkulturelle Reflexion von RAF-Protagonisten á la Meinhof:

„Und sie dachte:

»Da hilft nur noch Amok.

Amok Tag und Nacht.

Die Sachen, die Sachen,

die mich kaputt machen

werden jetzt von mir kaputtgemacht.

Vielleicht, dass ich dann irgendwie

für mich ‚ne Zukunft seh.«

Und sie dachte,

sie sei die Schwester von Che.“

Kulturelle Akteure wie die deutsche Punkband WIZO vollendeten schließlich den Übergang von diffuser Faszination hin zur expliziten Sympathie für die RAF, wie ein Refrain der Kombo zeigt:

„Rote Armee Fraktion – ihr wart ein geiler Haufen,

Rote Armee Fraktion – mit euch ist was gelaufen,

Rote Armee Fraktion – ich fand euch immer spitze

Leider war ich noch zu klein, um bereits bei euch dabei zu sein, doch mein Herz schlug damals schon für die Rote Armee Fraktion.“

Der Mythos RAF scheint auch ohne jeden politischen Erfolg dieser Gruppe auszukommen. Die kommerzielle Vermarktung der Jetztzeit setzt jedoch weniger auf die positive Identifikation als vielmehr auf die Faszination des Aufbegehrens und der fanatisierten Gewalt.

Anders gelagert ist der Fall Ernesto „Che“ Guevaras. Auch ihn machte zwar erst sein Tod in der politisch irrwitzigen Mission in Bolivien zum globalen Mythos. Doch als Che starb, hatte er bereits an der Verwirklichung eines bis heute bestehenden politischen Projekts partizipiert: der kubanischen Revolution. Trotz der großen demokratischen Defizite des Landes fasziniert diese „Leistung“ nach wie vor zahlreiche Linke in Lateinamerika und der ganzen Welt. Es war daher durchaus charakteristisch, dass Venezuelas Präsident Hugo Chavez bei seinem Besuch in Österreich 2006 gemeinsam mit Che Guevaras Tochter, der kubanischen Kinderärztin Aleida Guevara, öffentlich auftrat. In ihrer Profession verkörpert die Tochter Ches gleich zwei bleibende Erfolge des nachrevolutionären Kubas: den in Amerika einzigartigen freien Zugang zu Bildung und medizinischer Versorgung, dem auch Oliver Stone und Michael Moore in Comandante bzw. Fahrenheit 9/11 Respekt gezollt haben.

Bei Che scheint es das Image des idealistischen Abenteurers und weniger das des tatsächlichen Weltverbessern zu sein, das seinen Weg zur Pop-Ikone ebnete. Es ist das Flair des mutigen Einzelkämpfers, das sowohl Che als auch die Protagonisten der RAF umweht und das auch viele Menschen zu faszinieren scheint, die mit den politischen Absichten und Methoden der Polit-Ikonen wenig anfangen können.

Die Marke „Che“ ist dermaßen unangefochten, dass sie sogar die extreme Rechte in Deutschland seit Jahren zu kapern versucht. Und auch in Österreich vermarktete die FPÖ ab 2007 ihren Parteiobmann als „HC StraCHE“ im Stil der Che-Guevara-Ikone.

So wie die Rechte versucht, Che Guevara politisch zu instrumentalisieren, so möchte auch die Unterhaltungsindustrie kommerziell das Beste aus dem Mythos herausholen. Es ist die Schattenseite des Kults rund um legendäre Heldenfiguren: Im Übergang von der Realität zur Fiktion, von der tatsächlichen historischen Persönlichkeit zur Ikone der Popkultur, bleiben die tatsächlichen Anliegen, Positionen und Leistungen oft auf der Strecke. Sie werden übertüncht von dem, was der Betrachter gerne sehen will oder zu sehen bekommt. Das Schicksal von Ikonen ist es, keine Orientierung bieten zu können, dafür aber reichlich Projektionsfläche. Ein hoher Preis für fast grenzenlosen Ruhm.

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