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Lockruf des Kinos

Der Plakatkünstler Josef Fenneker, mit dessen Farbdrucken zu Filmen der Weimarer Republik sich eine eigene Geschichte des Kinos schreiben lässt.

Kri-Kri, die Herzogin von Tarabac (1920). Regie: Frederic Zelnik

Es zählt das Gewand des Tages, Wirkung und Mode, eine Kurzzeit-Unsterblichkeit, flüchtig vor Augen. So hieß es vor hundert Jahren, als der Stil expressionistischer Malerei in die Plakatgrafik Einzug hielt und man in Berlin die Manier, in welcher der hier vorgestellte Grafiker arbeitete, als „Tauentzien-Rokoko“ bezeichnete (in der Gegend um den Kurfürstendamm, dem Boulevard des Berliner Westens, mit der größten Dichte von Premierenpalästen in ganz Europa). Aber in glücklichen Momenten bleibt jener Augenblick haften und bannt den Zeitgeist. Für Walter Benjamin ließ Werbung für eine bestimmte Epoche erkennen, „wie man das Geschäft der öffentlichen Sittlichkeit betreibt“, die Reklame sei „die List, mit der der Traum sich der Industrie aufdrängt“. In einer Unterhaltungskonkurrenz, im Wortsinn des „Variété“, kämpfte das Kino am Anfang um dasselbe Kleingeld wie Jahrmarkt oder Zirkus, Bühnenshow oder Karneval. Lockendes und Drohendes, Angstlust, Romance, Suspense, The Great Escape erscheinen verarbeitet in Motiven, die ein Geschehen als Versprechen, es auf der Leinwand sehen zu können, als Fantasieappell in die Köpfe einspiegeln sollten. Die Betrachtung von Plakaten zu einem Film, Bilder, in denen erstmals etwas aus ihnen sichtbar wird, ein werbend geronnenes Ensemble aus Stimulans und Information, setzt das imaginäre Kino in uns frei, ein Prä-Kino aus unserer Vorstellungskraft.

Zirkus des Lebens (1921). Regie: Johannes Guter

Blut und Eros

Künstlerische Filmplakate reichen bis ins Jahr 1912 zurück, als für „Mimodramen“ Asta Nielsens geworben wurde – „orchideenhafte, hocherotische Hymnen“. Die meisten Filmannoncen jedoch waren grell, kolportagehaft und marktschreierisch, aufs Penetranteste Aufmerksamkeit heischend, und stellten der Schaulust die primären „production values“ ihrer „moving pictures“, Blut und Eros, in Aussicht.
Die Zensur, zunächst durch örtliche Polizeibehörden während des Ersten Weltkriegs, verbot zeitweise sogar farbige Filmplakate und von der Straße aus wahrnehmbare Abbildungen von Verbrechen, Gewalt und sittlich anstößige Abbildungen zu Reklamezwecken. Seitens der Filmindustrie führte das bald zur Auftragsvergabe an renommierte Grafiker, deren offensichtlich künstlerisch qualifiziertere Gestaltung von Werbeabbildungen viel seltener beanstandet wurden. So waren zuzeiten Qualitätsmerkmale „hoher Kunst“, Akademieausbildung und Meisterschüler-Status, dazu gut, öffentliche Bilder am Rande sittlicher Beanstandung durch die Zulassung zu bringen. Ab Mai 1920 trat im Deutschen Reich das „Reichslichtspielgesetz“ in Kraft, wonach im Reichsgebiet jeder Plakatentwurf seine offizielle Genehmigung mit Stempel („Adlerstempel“), Vermerk von Prüfstelle, Datum und Unterschrift nachweisen musste.

Der brennende Acker (1922). Regie: F. W. Murnau

Das Bild der ersten deutschen Republik

Nach dem Ende des ersten Weltkriegs verlor das Kino allmählich seinen Ruf des Anrüchigen und Verrufenen. In der jungen Weimarer Republik tauchten im Berliner Stadtbild die ersten Filmplakate des jungen Josef Fenneker auf, der sich der konkurrierenden Stile der Zeit virtuos zu bedienen wusste. Er entwarf seine Plakate für Filmpaläste, die zunehmend ein bürgerliches Publikum aus Lesern und Theaterbesuchern bevorzugte, etwa seit 1913 das Marmorhaus, wo Das Cabinet des Dr. Caligari (1920, Robert Wiene) seine Premiere hatte (zu dem es kein Fenneker-Plakat gibt), oder auch das U.T. (Union Theater) am Kurfürstendamm.
Josef Fenneker (1895–1956), geboren im westfälischen Bocholt, zog im September 1917 nach Berlin. Siegbert Goldschmidt, der Direktor des Marmorhauses am Kurfürstendamm, zu seiner Zeit eines der prachtvollsten Kinos in Deutschland, wurde auf ihn aufmerksam, als er noch als sogenannter Propagandazeichner für die Ufa-Lichtspieltheater arbeitete. Neben einer Handvoll Maler und Grafiker gilt Fenneker als wichtigster Repräsentant des künstlerischen Filmplakats der zwanziger Jahre und war für die Berliner Uraufführungskinos tätig. Als Eklektiker nutzte er verschiedene vorfindliche Stilrichtungen, als Maler, Grafiker, Ausstatter und Bühnenbildner verarbeitete er Einflüsse aus dem Expressionismus, dem Kubismus und dem Futurismus, von Art déco und Jugendstil. Nicht zuletzt dieser Stilreichtum macht die Werke zu Dokumenten, die längst schon zur Illustration und atmosphärischen Schilderung der Weimarer Republik herangezogen werden. Von 1918 bis 1924 fertigte Fenneker allein für das Marmorhaus über 140 Plakate zur Ankündigung von Filmen, in denen sich die Nöte, Triebe und Konflikte der Zeit spiegelten. Seine Plakate prägten das Bild Berlins, sie hingen an Litfaßsäulen und in den U-Bahn-Stationen. Die Sammlungen der Deutschen Kinemathek beherbergen den weltweit einzigen nahezu vollständig überlieferten Bestand der von Josef Fenneker geschaffenen Filmplakate. Die rund 340 Plakate (Farblithografien) sowie zahlreiche originale Plakatentwürfe Fennekers befinden sich zum Teil in fragilem Zustand und können daher der Öffentlichkeit nicht mehr vollständig im Original präsentiert werden.

Der Graf von Cagliostro (1920). Regie: Reinhold Schünzel

Übertrieben und enthoben

Metropolen-Plakate waren exklusiv im Stil, in Außenbezirken, der Provinz, ja noch in proletarischen Vierteln hätten sie womöglich eher abgestoßen, im Berliner Uraufführungs-Westen dagegen vermochten sie ihren Kitzel zu verbreiten und strahlten lockend ins Straßenbild, wobei sie ihren Gegenstand regelmäßig übertrieben und triviales Geschehen oder Salonkomödien wohlhabender Kreise zugunsten der Identifikation mit einer Welt des Reichtums enthoben. So kann ein Fenneker-Plakat solche Filme, welche die Filmgeschichte zu Recht vergessen hätte, zumindest als ein Symptom der Kultur ihrer Entstehungszeit fixieren, einer Epoche, in der es möglich war, dass künstlerischer Anspruch der Grafiker sich Schauwerten des Jahrmarktsrummels zuwandte und ambitionierter Modernismus sich selbst gegen die Auftraggeber werbewirksam durchzusetzen vermochte.
„Auffallend häufig setzt Fenneker harte, magere, maskuline Körper als Kontrast eng gegen weiche, fast knochenlose, verlockende, feminine Körper. Die Gewalt ihrer Erregung soll mitgeteilt werden durch die unruhige, zackig ausfahrende Konturengestaltung, die vielfach noch einmal akzentuiert wird durch abstrakte Verdoppelung der Kontur. (…) Diese von ihren Gefühlen getriebenen Menschen werden ohne ihre Umwelt dargestellt, nirgends ist der Boden zu sehen, auf dem sie stehen, oder der soziale Rahmen ihres Erlebens. Meist tauchen die Figuren schemenhaft wie Phantome aus dem düsteren, nur als Fläche gegebenen Hintergrund auf. Starkes, fahles Licht hebt die Mimik der Gesichter hervor, während die Körper vielfach flach an den Hintergrund gedrückt erscheinen.“ (Hanna Gagel, 1968)

The Woman God Forgot (1917). Regie: Cecil B. DeMille

Berliner Anfänge und das Marmorhaus

1918, im ersten Jahr seines Schaffens, entwarf Josef Fenneker innerhalb von sechs Monaten mehr als vierzig Filmplakate für die kurz zuvor gegründete Universum Film AG (Ufa). Diesen ersten Werken eignet etwas Skizzenhaftes, das an überdimensionale Kohlezeichnungen denken lässt. Charakteristisch sind die großzügigen Schraffuren, unterbrochenen Linien und eine vorwiegend monochrome Umsetzung. Mit Farbe finden sich lediglich Akzente gesetzt.
Bereits im selben Jahr gestaltete Fenneker auch seine ersten Plakate für das Marmorhaus. Die Zusammenarbeit mit Berlins bekanntestem Uraufführungskinos prägte einen neuen Stil: Die skizzenhafte Linienführung wich einem aquarellhaften Pinselstrich. Expressive Überzeichnungen, verfremdete Farbgebung und deckend schwarze Hintergründe wurden zu tragenden Gestaltungsmerkmalen. Fenneker griff Themen auf, die mit den Erwartungen des Publikums spielten: Todessymbole in einer morbide wirkenden Umgebung mit erotischer Komponente. Diese ästhetisch markante und produktivste Phase im Schaffen des Plakatkünstlers endete abrupt mit dem finanziellen Ruin des Besitzers des Marmorhauses, Siegbert Goldschmidt: Zum Jahresende 1924 verlor Fenneker seinen bis dahin wichtigsten Auftraggeber …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 66

 

 Harald Neckelmann
Lockruf des Kinos. Der Plakatkünstler Josef Fenneker
Schüren Verlag, Marburg. 1. Aufl. August 2022

 

 

| FAQ 66 | | Text: Jörg Becker
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