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Loving the Alien

Das Donaufestival in Krems lädt das Publikum heuer ein, Aspekte „Jenseits des Menschlichen“ zu erforschen.

Foto: Yeule © Wanjie Li

Unter dem Motto „Beyond human“ präsentiert das Donaufestival in Krems Positionen in Musik, Film, Performance und Kunst an den Schnittstellen von menschlicher sowie Cyborg-Körperlichkeit, Transhumanismus und wie die aktuell grassierenden Krisen künstlerisch reflektiert werden. Das Programm reicht von percussionlastigen Geisterbeschwörungen der ugandischen Nihiloxika über Noise-Kaskaden von Puce Mary aus Dänemark und dem Austragswerk „Climate Feedback Loops“ des österreichischen Künstlers Oliver Ressler bis zu „Burial“, einem visuellen Trip der litauischen Regisseurin Emilija Škarnulyte˙ durch ein ehemaliges Atomkraftwerk.

Es könnte eine entscheidende, auf jeden Fall sehr wichtige Ausgabe des Donaufestivals werden: Stets einer der verlässlichsten Orte österreichischer Popkultur-Diskursfreudigkeit – aber auch ihrer immer weiter zunehmenden Befindlichkeits-Blasen –, hat das Festival im Jahr 3 der Pandemie und im Jahr 1 des Ukraine-Kriegs sich an Realitäten zu reiben, die zu er-drücken scheinen. Sachzwänge wie die Energiekrise darauf gepackt, ergibt das eine Veranstaltungsreihe, die als Gradmesser für aktuelle Zustandsbedingungen wirken könnte.

Godflesh © promo

Verschärfte Bedingungen

Ein Donaufestival 2023 ist nicht ohne das vorhergehende zu haben. Bevor sich 2022 mit polemischen Rastazopf- und Winnetou-Debatten zum Appropriations-GAU auswuchs, sorgte das Donaufestival für einen Eklat. Unter dem Motto „Stealing the Stolen“ sollte es an sich darum gehen, die in der Popkultur seit den 1970er Jahren sich etablierenden Taktiken (sub-)kultureller Aneignung wie DIY, Campness und politische Subversion aktuellen Positionierungen zu unterziehen. Dieeigentliche Kritik richtete sich gegen die immer stärkere Schieflage hegemonialer Gesellschaftsstrukturen.

In dem vom Festival und dessen Leiter Thomas Edlinger herausgegebenen Reader fand sich der Text „Paint it black“ von Karl Bruckmaier – Moderator beim Bayern 2 Popkultur-Programm „Zündfunk“ und Buchautor über US-amerikanische Kulturgeschichte – über das sogenannte „Blackfacing“ in US-amerikanischen Minstrel-Shows Ende des 19. Jahrhunderts. Aufgrund von Protesten wurde der Reader wenige Tage nach Festival-Ende zurückgezogen und der inkriminierte Beitrag aus der PDF-Version entfernt.

Nun war es vielleicht nicht geschliffenste Text Bruckmaiers, aber dass er gelöscht wurde und dass Thomas Edlinger, ein über jeden Zweifel erhabener Kulturtheoretiker und Radiomoderator, sich wohl genötigt sah, ein Statement der Entschuldigung auf der Festival-Homepage zu posten, zeigt auf traurige Weise, wie effektiv Cancel Culture – auch und vor allem innerhalb der eigenen Szenen – geworden ist. Statt „cancel“ zu krakeelen und in vorauseilender Fügung die Quelle nicht mehr verfügbar zu machen, wäre eine sachliche Diskussion wünschenswert gewesen. Vielmehr sollte die Botschaft lauten: Die Quelle ist dem Menschen zumutbar. Diese Chance ging in den kurz darauf folgenden Entrüstungshypes dann leider unter.

Phew © Masayuki Shioda

Überhaupt sorgte 2022 mit seiner Appropriationsdiskussion, dem Ukraine-Krieg, den globalen Klimakatastrophen und massiven gesellschaftlichen Umstrukturierungen im Zuge des Abflachens der Corona-Pandemie für ausreichend Stoff, diese Krisen popkulturell zu verorten. Das heurige Donaufestival wird und muss sich an diesen politischen und sozialgesellschaftlichen Gegebenheiten messen lassen.

„Beyond human“ ist ein Thema, das, ähnlich wie die Klima-Diskussion, die derzeitigen Kultur-Debatten um Transhumanismus und Post-Anthropozän dominiert. Die Überwindung des Menschlichen scheint eine gerechtere Science-Fiction zu sein; Sie entbindet den Menschen trotzdem nicht von seiner Verantwortung, sozial und ethisch zu handeln. Vielleicht sollte es vorher darum gehen, sich das Unbekannte – und hier dezidiert in popkulturellen Traditionen gesprochen – anzueignen: „Loving the Alien“, so ein Song von David Bowie aus 1985 mit dem Verweis auf Bowie als Pionier transgeschlechtlicher (Nicht-)Identität. Ein weiterer Diskursstrang ließe sich flechten zu dem 1997 vom Pop-Theoretiker Diedrich Diederichsen organisierten, gleichnamigen Symposium zu Science-Fiction, multikultureller Diaspora und Afrofuturismus. Schließlich ließe sich an die Philosophin Rosi Braidotti anknüpfen, die, ausgehend von Subjekt- und Biopolitik-Konzepten bei Gilles Deleuze, Judith Butler oder Chantal Mouffe, Positionen eines Posthuman Feminism konzipiert; siehe etwa ihr bereits 2014 herausgebrachtes Buch „Posthumanismus. Leben jenseits des Menschen“.

„Beyond human“ ließe sich lesen als ein Appell, das Denken und Handeln in Netzwerken nicht den „sozialen“ Medien zu überlassen, sondern sie radikal zu erweitern, auch und vor allem unter den Prämissen nicht-individueller – sprich: „alienhafter“ – Identitäten auf der Suche nach Eigen- und Fremdfindung.

Big|Brave © promo

Raus aus der smarten Komfortzone

Eingeleitet wird das erste Donaufestival-Wochenende von der Uraufführung einer Auftragsarbeit an die in Teheran geborene, in Wien lebende Klangkünstlerin und Elektronikkomponistin Rojin Sharafi und den belgischen Produzenten Épong. In ihrem audiovisuellen Set erforschen sie Materie und Mythos des Mondes; und das mit schroffen Breakbeats und Industrial-Sounds, geerdet in schwelgenden Melodiebögen.
Das aus Montréal stammende Trio BIG|BRAVE, das 2021 sein aktuelles Album „Vital“ auf dem SunnO)))-Label Southern Lord herausgebracht hat, ist gitarrenlastige Noise-Lava, herausgewunden von Bassistin und Sängerin Robin Wattie. Dann: Titanen des Endes, die aus Birmingham stammenden Godflesh, Begründer des Industrial Metal, die seit mehr als 30 Jahren Soundtracks für die Zeit nach dem finalen Atomschlag herausstampfen.
Die in Istanbul geborene, in Berlin lebende Soundkünstlerin Hüma Utku wählt quasi genau den entgegengesetzten Weg. Ihr aktuelles, auf Editions Mego erschienene Album „The Psychologist“ dokumentiert Reisen in das Selbst zwischen arabischen und westlichen Einflüssen, umgesetzt mit anatolischer Folklore, kammermusikalischem Klavier und elektronischen Drones. Eine der spannendsten Musikschaffenden dieser Tage.
Das zweite Wochenende bringt die japanische Sängerin, Stimmkünstlerin und Performerin Phew. Sie arbeitete mit Kraftwerk-Produzent Conny Plank, dem Bassisten Bill Laswell und zuletzt mit dem Improvisationsmusiker Jim O’Rourke: eine Pionierin der Underground-Musik seit mehr als 40 Jahren.
Die Improvisationsmusikerinnen Silvia Tarozzi und Deborah Walker begeben sich auf eine kulturgeschichtliche Spurensuche. Mit Violine, Cello und Gesang interpretieren sie Lieder ihrer Heimat, der Emilia Romagna. Ihr archaische Traditionen mit modernen Interpretationen verbindendes Projekt und das gleichnamige Album „Canti di guerra, di lavoro e d’amore“ (2022) sind inspiriert von den Mondine, den italienischen Reisfeld-Arbeiterinnen, und ihren kraftvollen, polyphonen Partisanen- und Liebesgesängen.

Radian © promo

Eine Uraufführung gibt es, wenn Radian ihr neues Album „Distorted Rooms“ präsentieren. Seit den späten 1990ern arbeitet die Wiener Band, deren Platten auf dem renommierten Label Thrill Jockey erscheinen, an Verbindungen aus Post-Rock und Improvisationsmusik: Groove und Sound-Experimente ständig neu und ständig überzeugend austariert.
Eines des vielversprechendsten Konzerte ist die Premiere von 1 Above Minus Underground. Lukas König, bekannt von Koenigleopold und Mopcut, ist einer der gefragtesten Impro-Schlagzeuger Österreichs. Gemeinsam mit dem Modular-Synthesizer-Spieler und Betreiber des Soundstudios minusgroundzero Nik Hummer, der u. a. Königs Solo-Album „Messing“ (2020) produzierte, haben sie eine achtköpfige Soupergroup zusammengestellt, live ein Frontalangriff auf Sinne, Magengrube, Tanzbeine und Denkbirne. Das gleichnamige Debüt-Album erscheint im Frühjahr auf Ventil Records. Gäste am Mikrofon sind etwa die HipHop-Performer dälek und Moor Mother; Rojin Sharafi rappt über den Kampf der Iranerinnen um Freiheit.
The revolution will be live!

GEWINNSPIEL
Das FAQ Magazin verlost 2 Tagespässe für den 28. April und 2 Tagespässe für den 6. Mai.
Senden Sie bis 25. April eine E-Mail mit dem Betreff „Donaufestival“ und dem gewünschten Datum an gewinnspiel@faq-magazine.com
Der Rechtsweg ist ausgeschlossen!

Donaufestival Krems
28. bis 30. April und 05. bis 07. Mai 2023
www.donaufestival.at

 

| FAQ 69 | | Text: Heinrich Deisel
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