Ihnen müssen so viele Projekte angeboten werden. Wie wählen Sie unter diesen aus und warum wollten Sie ausgerechnet die Rolle der Lydia Tár spielen?
Nun, ich denke es gibt zwei Dinge, die ausschlaggebend dafür sind, was zu tun ist und wann es zu tun ist – vier Kinder und was sonst noch anfällt. Letztes Jahr kam es endlich zu einer Gelegenheit, mit Adam McKay zu spielen und mit Guillermo (Del Toro) zu arbeiten. Natürlich habe ich das gemacht. Ich weiß nicht, ob das vom Theater kommt, aber ich denke nicht an „Oh mein Gott, schau dir all diese Zeilen an, die ich zu sagen habe“ – obwohl mir solche Gedanken in den Sinn gekommen sind, als ich das (Drehbuch) gelesen habe. (Lacht.) Aber es geht mehr darum: „Will ich Teil der Geschichte sein?“ Die Größe meines Rades im Getriebe ist da nebensächlich. Ich wollte unbedingt mit Todd arbeiten, darüber hatten wir uns schon früher unterhalten. Ich wusste, dass er wunderbar ist. Er ist so ein vielfältig interessierter Mensch. Er ist ein außergewöhnlicher Musiker, er ist Schriftsteller, Schauspieler, ein hervorragender Regisseur und eine unglaubliche Filmeditorin. Für dieses Projekt hatte er Monika (Willi), die absolut außergewöhnlich ist. Trotzdem, die Art – er nennt es „homöopathisch“ – wie er es beherrscht hat, die vielen Elemente im Film beizubehalten, den wir erlebt haben. Auch wenn diese Elemente nicht im fertigen Film landen und man sie nicht bemerkt, man spürt ihre Beschaffenheit. Er ist brillant.
„Als ich begann, in der Filmindustrie zu arbeiten, also vor sehr langer Zeit, gab es da ein Gefühl. Ich erinnere mich daran, wie mein Ehemann auf eine unglaublich unterstützende Weise zu mir sagte – ich habe damals am Theater gearbeitet und hätte nie erwartet, dass ich eine Filmkarriere haben würde – ‚Genieße es, Schatz, du hast fünf Jahre, wenn du Glück hast.‘ Und das galt für Frauen.“
Sagen Sie uns, worum es im Film geht.
Für mich ändert sich das von Tag zu Tag. Er ist ein mehrköpfiges Biest, dieser Film. Heute Morgen bin ich aufgewacht und habe gedacht, eine Weise ihn zu betrachten ist die, dass es sich um eine Art Meditation über Macht handelt, und zwar nicht nur institutionelle Macht, sondern auch schöpferische Macht; Macht, die auf einem ungleichen Verhältnis beruht, sowie die Macht des Selbst gegenüber der Macht der Gruppe, die ein Orchester natürlicherweise darstellt. Dirigenten sprechen oft über das Orchester, als wäre es ihr Instrument, aber dennoch besteht es aus einer Menge von Individuen – und das in einer Zeit, in der Individualisierung Macht bedeutet. Wie und als was sich jemand identifiziert, gibt Anlass zur Machtausübung. Auch geht es nicht nur um die Personen, die die Macht innehaben. Oft ist die institutionelle Macht streng hierarchisch. Wie eine Pyramide kann es sich in manchen Institutionen anfühlen, besonders in der Welt der klassischen Musik, wo die Geschichte des Kanons männlich ist – von Männern geleitet und erschaffen. Das kann sich so anfühlen, als wäre es das göttliche Recht der Könige. Nur was passiert, wenn Leute, die dieses System herausfordern wollen, an die Macht kommen? Werden sie davon verzehrt und dadurch verändert? Und die häufig fragile, fiebrige Beziehung, die sie zu ihren eigenen kreativen Trieben haben, kann die zerstört werden? Ich denke, es geht auch viel um Zeit. Deshalb ist es interessant. Eine große Rolle spielte für mich, dass die Figur 50 wurde. Damit hat sie keine Zeit mehr mit sich selbst. Sie ist wie die falsche Person zur falschen Zeit, die zu enormer Macht und auch unglaublicher Großzügigkeit fähig ist, aber sie wird irgendwie von dem System absorbiert, das sie so lange bewundert hat. 50, das bedeutet unglaubliche Veränderung. Ich habe also das Gefühl – und dafür muss man nicht in der Film- oder Musikindustrie arbeiten oder ein Sportler sein, um das zu verstehen, – dass man sich Herausforderungen stellt und einen Gipfel erreicht. Aber sobald Sie dort angekommen sind, stellen Sie fest, dass der nächste Gipfel noch schwieriger zu erreichen ist und es auch bergab gehen kann. Ich denke also, wir finden die Figur an einem Punkt, an dem sie am Ende eines Zyklus steht und sich in künstlerischer Hinsicht fragt, „Was kommt als Nächstes?“ Und vielleicht sprengt das, was als Nächstes kommt, alles auseinander …
Lesen Sie das vollständige Interview in der Printausgabe des FAQ 68
Interview: Jason Adams / The Interview People
Übersetzung: Philip Waldner
TÁR
Drama, USA/Deutschland 2022
Regie und Drehbuch: Todd Field