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Maestro

Text: H. Köck Samir | Fotos: Magdalena Blaszczuk

Die deutschsprachige Welt ist die allermeiste Zeit ein unüberwindbares Bollwerk gegen französisches Liedgut. Das Phänomen beruht aber auf Wechselseitigkeit. Auf anderen Gebieten des Handels erfolgt der Austausch leichten Herzens, wenn es indes um Songs geht, tut man sich immer noch schwer. Paul van Haver, besser bekannt unter seinem Nom de Guerre Stromae, glückte es nun mit seinem zweiten Album „Racine Carrée“ (was soviel wie Quadratwurzel heißt) zum zweiten Mal. Erstmals aufgetaucht war der hagere, junge Mann aus Belgien 2010. Damals wohnte er noch bei seiner Mutter. Mittlerweile ist der kreative Nesthocker von ihr ausgezogen und hat sich eine eigene Bleibe gesucht. Musikalisch war er schon länger verortet. Irgendwo in der Mitte von Jugendkultur und Elder-Statesman-Chanson. Sein gewählter Name Stromae heißt Maestro auf Verlan, dieser immer noch beliebten Jugendgeheimsprache der frankfonen Welt, in der die Silben kreativ verdreht werden. Die älteren Hörer erinnert die Stimme an Jacques Brel. Da wird das „R“ ebenso musikalisch gerollt. Sogar die Ohren stehen Stromae ähnlich frech vom Schädel ab,wie dem Großmeister des Chansons. Stromae findet diesen Vergleich respektlos, wenngleich er sich davon geschmeichelt fühlt. Die Parallele zum Songwriting eines Jacques Brel ist hingegen auch objektiv auszumachen. Beide komponieren Lieder über andere. Sowohl bei Brel wie bei Stromae geht es nicht in erster Linie über private Befindlichkeiten, sondern vielmehr um Dramatis Personae in die sich jeder hineinfinden kann. Um Einsame, um Unverstandene, um Außenseiter jeglichen Naturells.

Im Video zu „Formidable“, einem seiner neuen Songs, mimt der auf der Bühne sehr asketisch wirkende Stromae die Rolle eines obdachlosen Trunkenbolds.Was das soll? „Der Mann ist einsam und traurig. In dieses Szenario können sich viele hineinfinden, weil Einsamkeit die große Krankheit unserer Zeit ist“, sagt er in vielen Interviews. In anderen Liedern thematisiert er Krebs und AIDS. Stets zu fröhlich hoppelnden Beats. Dieser Kontrast ist genau das, was ihn erfolgreich macht. In seinen Konzerten spielte er gerne mit belgischen Referenzen. Seine Musiker tragen Hüte, wie einst die von Magritte gemalten Figuren. René Magritte gleich, liebt Stromae die Spannung zwischen Gegensätzen. Sein fröhlich wirkender musikalischer Minimalismus transportiert ernste Botschaften. Was oberflächlich betrachtet wie funktionale Tanzmusik anmutet, bringt Desillusion und Unmut der heutigen Jugend in die sonst bloß hedonistische Disco. Vor etwas mehr als drei Jahren eroberte Stromae die Herzen mit „Alors on danse“, einer spartanischen Kombination von Synthie-Beat, quäkender Trompete und erstaunlich kritischem Text. Plötzlich wehte echte Message durch die Großraumdiscos der sozial problematischen Vorstädte. „Wer Kredit sagt, sagt Gläubiger; wer Schulden sagt, sagt Gerichtsvollzieher“, quietschte Stromae mit seltsam trauriger Stimme zu flockigen Beats. Das Lied hatte einen Nerv getroffen. Es brachte 2010 die Eurokrise in die Disco und verkaufte sich über 3 Millionen Mal. Wer damals an eine Pop-Eintagsfliege gedacht hat, hat sich gründlich getäuscht. Stromae, Sohn einer Belgierin und eines aus Ruanda gebürtigen Vaters, ist an die Chartspitzen von halb Europa gekommen, um zu bleiben. Auch im französischen Teil Kanadas feierte er große Erfolge. Nach seinem zweiten, großartigen Album Racine Carrée ist es keine Übertreibung, ihn Ikone des frankofonen Pop zu nennen. Sein aktueller Hit „Papaoutai“ („Papa, wo bist du?“) erzählt von den Auswirkungen einer vaterlosen Kindheit, wie sie Stromae erlebt hat.

Dennoch schwört er, dass seine Lieder höchstens zu 10 oder 20 Prozent autobiografisch seien. Bei Liveacts liebt er das Element der Verfremdung. Geometrische Muster und strikte Choreografie beherrschen die Szene. Und doch strahlt dieser schlaksige Mann auf der Bühne eine Elektrizität aus, die ganz offensichtlich unbekannte Nervenspitzen zu mobilisieren in der Lage ist. In der Wiener Arena gellten die Schreie vieler Mädels. Nicht nur das Lycée Français de Vienne hatte ganz offensichtlich vollzählig Ausgang. Die vorwiegend jungen Fans klatschten rhythmisch zu „Batard“, einem entrückten Beat-Chanson, das mit der sozial festgelegten Geschlechtsidentität hadert. In „Quand c’est“, sang Stromae zu zart blubbernden Maschinenrhythmen Reime über die Angst vor tödlicher Krebserkrankung. Die Idee zu diesem Song ist ihm in einer dieser gläseren Rauchkabinen auf einem Flughafen gekommen. Nein, Stromae ist nicht makellos. Er tschickt. Durchaus humorvoll präsentiert Stromae seine „Belgitude“ auf Tournee. Im Intro zu „Moules frites“ erzählt er launig vom Ursprung der Pommes Frites in Belgien. Bald beginnt das Lied trotz seiner ernsten Aids-Botschaft zu schaukeln wie eine trunkene Hafen-Polka. Solche Kontraste sind das Bezwingende an seiner Kunst. Stromae selbst bewegt sich dazu mal geschmeidig, mal kunstvoll eckig. Angetan mit Mascherl und Hochwasserhosen hat er eine reizvolle Bühnenfigur entwickelt, die alle pantomimischen Stückerln spielt. Sehr anrührend entfaltet sich auch „Ave Cesária“, die Hommage an die verstorbene Morna-Sängerin Cesária Èvora. Stromae tändelt trotz viel Electro-Geklingels neuerdings vermehrt mit Calypso, Rumba und Samba.

Den totalen Dammbruch löst er regelmäßig mit seinen Millionenhits „Formidable“ und „Papaoutai“ aus. Beides gute Beispiele für seine Gabe, Daseinsschwere seltsam leicht klingen zu lassen. Er selbst macht es sich indes nicht leicht. Er kontrolliert jedes Level seiner Kreativität. Er macht die Musik, er performt sie, er entwirft seine Marketingkampagnen selbst und führt Regie in seinen Videos. Ist er ein Kontrollfreak? Er bejaht. „In mir ist da etwas Strenges, ein Zwang alles zu kontrollieren. Es ist eine Schwäche, ja. Aber auf der anderen Seite entsteht einfach zu wenig aus reinem Zufall. Es ist die Hingabe an die Arbeit, die die schönen Dinge entstehen lässt.“

 

 

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