Anfang dieses Jahres titelte die „New York Times“ in einem Artikel über den Industriedesigner Marc Newson: „Gibt es eigentlich irgendetwas, was dieser Mann noch nicht designt hat?“ Und tatsächlich, diese Frage scheint mehr als berechtigt. Marc Newson, am Sydney College of the Arts ausgebildeter Schmuckdesigner und Bildhauer, scheint für alles eine designtechnische Lösung parat zu haben. Möbel stellen dabei nur einen überschaubaren Teil seines gesamten Schaffens über die letzten 25 Jahre hinweg dar. Ob Interieurs für Restaurants in London, Köln oder Manhattan, Salz- und Pfefferstreuer für Alessi, ein Einpersonenjet für die Fondation Cartier, das quietschbunte kleine O21C Concept Car für Ford (benannt nach der Pantone-Nummer für die Farbe Orange) oder der Innenraum eines Space Plane für Astrium, Newson scheint die bunten Ideen quasi seriell auszuspucken. Doch damit nicht genug, da wären mindestens noch seine Sonnenbrillen für Lanvin, Klamotten für G-Star, Sneaker für Nike oder Koffer für Samsonite zu erwähnen – Newsons futuristische wie zugängliche Designideen kennen kein Halten. Doch nicht nur die Betätigungsfelder des Designers sind weit gestreut, auch die Vielfalt der Materialien, mit denen er arbeitet, beeindruckt: Stahl, Aluminium, Marmor, genarbtes Leder, Materialien aus der Raumfahrt, Carbonfaser oder Polyäthylen. Dabei kommen die Ideen für seine Objekte oft aus der Natur: Die gelöcherten Sneaker für Nike wurden von der organischen Struktur kleiner im Wasser lebender Strahlentierchen angeregt. Der fast 50-Jährige aus Sidney, der mit seinem halblangen Haar immer noch ein wenig etwas von dem jungenhaften australischen Surferjungen hat, der er vor Beginn seiner kometenhaften Karriere mal gewesen sein soll, lebt und arbeitet mittlerweile seit Ende der neunziger Jahre in London. Und sein bekanntestes Stück, die Mitte der 1980er Jahre in Anlehnung an Le Corbusiers Liege entwickelte, silbrig glänzende Lockheed Lounge, die Madonna 1993 im Videoclip zu „Rain“ verewigte, bricht auf Auktionen alle Rekorde: Für zwei Millionen Dollar wechselte das biomorphe Sitzstück aus Aluminium, an dem der damals noch völlig unbekannte Designer ein halbes Jahr lang arbeitete und dessen erstes Exemplar Newson nach Beendigung seines Studiums in der Roslyn Oxley Gallery in Sydney ausstellte, zuletzt den Besitzer – für einen lebenden Designer ein Rekordergebnis. Nun ist die Liege neben einem Großteil seiner Arbeiten von den Achzigern bis heute in einem 600 Seiten dicken Wälzer im Taschen-Verlag vereint erschienen. Und wie es sich für ein Verkaufsgenie wie Newson gehört, versteht sich die auf 1000 Stück limitierte und handsignierte Edition über die Arbeit als bibliophile Investition: 750 Euro kostet sein Œuvre, in dem es für Fans von Newson sicher einiges zu entdecken gibt. Ein ausführliches Interview mit Louise Neri, Direktorin der New Yorker Gagosian Gallery, die immer wieder Ausstellungen mit dem Ausnahmedesigner, dessen Stücke mittlerweile in 23 musealen Sammlungen weltweit zu finden sind, organisiert. Neri kommt innerhalb von Newsons Schaffen möglicherweise eine Schlüsselrolle zu: Die Präsentation seiner Arbeiten in ihrer einflussreichen Galerie und damit im Kunstkontext haben dem Designer, der, wie er selbst sagt, mittlerweile bekannt ist für seine „Limited Editions“, eine neue Rezeption ermöglicht. Marc Newsons Design-objekte sind jetzt zumindest teilweise erklärtermaßen Kunst. Der umtriebige Designer, das dürfen wir vermuten, weiß also ganz genau, was er tut, wenn er ein Buch in limitierter Edition herausbringt.