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MAXIMAL MONUMENTAL

Brutal brillant oder einfach nur prätenziös? An Brady Corbet scheiden sich die Geister. Auch in seinem neuen Film geht er keine Kompromisse ein.

Schon der Titel hat es in sich: The Brutalist. Man ist gewarnt. Hier kommt ein Film, der sein Inneres mit aller Macht nach außen trägt. Der 36-jährige Regisseur lässt keinen Zweifel daran, dass jedem, der sich auf das Werk einlässt, etwas bevorsteht. Nur was genau und in welcher Dimension vermag niemand so genau zu erahnen. Dreieinhalb Stunden später ist klar: Bei Brady Corbet ist Kino noch „bigger than life“, im übertragenen wie wörtlichen Sinn.

Ja, was ist das bloß für ein Film? Was für ein „irres Ding“, wie es in „Die Zeit“ hieß. Monumental in der Form, maximal in der Wirkung. Das fiktive Biopic über einen ungarischen Juden, der – vom Holocaust gezeichnet – nach Amerika flieht, geht weit über die einfache Darstellung eines entwürdigten Immigrantenlebens hinaus. Sogar Corbet selbst wirkt im Gespräch überwältigt von der eigenen Leistung: „Die Produktion war unglaublich schwierig“, erklärt er. Aus seinen Augen sprechen Erschöpfung und Euphorie. „Sieben Jahre lang habe ich pausenlos daran gearbeitet. Jeder einzelne Tag hatte etwas Akutes, etwas Dringliches.“

The Brutalist ist durchzogen von dieser Fiebrigkeit. Der künstlerische Anspruch ist enorm. Jedes Bild hat sein eigenes Gewicht. Jedes Wort zählt. Jeder Ton schmerzt. Erzählt wird eine Leidensgeschichte, die der US-Schauspieler Adrien Brody bedingungslos auf seinen schmalen Schultern trägt. In Philadelphia angekommen, will László Tóth ein neues Leben beginnen, wieder als Architekt arbeiten, wie in seiner Heimat vor dem Krieg. Doch der Antisemitismus und die Jahre im KZ haben ihn gezeichnet. Ohne viel zu erklären, macht Brody sichtbar, was diese zutiefst gebrochene und dabei vollkommen integre Figur im Europa der 1930er- und 1940er-Jahre erlitten hat – und wie auch seine Erfahrungen als Einwanderer in den USA davon geprägt bleiben, von dem Moment an, wo er mit dem Schiff in New York ankommt und die Freiheitsstatue sich schräg über seinem Kopf ins Bild schiebt.

Man muss unweigerlich an The Pianist (2002) denken, wenn man Brodys eingefallenen Körper in dem viel zu großen Mantel sieht. Mit 29 Jahren spielte er in Roman Polanskis Film, der auf den Memoiren des polnischen Musikers Wladyslaw Szpilman basiert, schon einmal einen Holocaust-Überlebenden und bekam prompt einen Oscar als Bester Hauptdarsteller dafür. In den mehr als zwei Jahrzehnten, die seither vergangen sind, hat der 1973 geborene New Yorker mit polnisch-jüdischen und ungarischen Wurzeln sich eine Karriere als versierter Charakterdarsteller aufgebaut. Dazu gehören seine wandelnden Auftritte in den Werken von Wes Anderson ebenso wie kleinere Rollen in TV-Hit-Serien (Winning Time: The Rise of the Lakers Dynasty, Succession). Dazwischen drehte er mit Steven Soderbergh, Terrence Mallick, Barry Levinson, Spike Lee, Woody Allen, Peter Jackson und Ken Loach.

Keiner jener namenhaften Regisseure hat Brody jedoch abverlangt, was Corbet im Sinn hatte, als er ihm die Hauptrolle anbot. Eine „Tour-de-Force-Darstellung“, wie es immer so schön heißt, greift dafür zu kurz. László mag ein Opfer seiner Zeit sein und für ein bisschen Freiheit und Würde durch die Hölle gehen. Aber Corbet, der das Drehbuch gemeinsam mit seiner Partnerin Mona Fastvold geschrieben hat, legt die Figur nicht auf Sympathie an. „Es gibt dieses Klischee, dass alle Holocaust-Überlebenden selbstlose Engel sind“, gibt er zu bedenken. „Ich halte das für wenig hilfreich, weil es suggeriert, dass wir uns nicht in jemanden einfühlen können, der fehlerhaft, unvollkommen und einfach nur menschlich ist. Ich sage meinen Schauspielern immer, dass sie keine Angst haben sollen, richtige Arschlöcher zu sein. Das ist in Ordnung. Sie müssen das Publikum nicht mit unnötiger Gefühlsduselei auf ihre Seite zu ziehen.“

Brody selbst, der seine Figur mit kantiger Wildheit und aufbrausender Leidenschaft spielt, war es ein persönliches Anliegen, László Tóth in all seiner Ambivalenz und Verwundbarkeit zu verkörpern. Er vergleicht die Geschichte von The Brutalist gern mit der seiner eigenen Mutter, einer Fotografin, die während der ungarischen Revolution von 1956 in die USA auswanderte. „Ähnlich wie László verlor sie ihr Zuhause und folgte ihrem Traum, Künstlerin zu werden. Ich verstehe sehr gut, welche Auswirkungen das auf ihr Leben und ihre kreative Arbeit hatte. Zwar erzählen wir im Film eine fiktive Biografie, aber sie fühlt sich für mich sehr real an“ …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 78

 

THE BRUTALIST
Drama, USA/Großbritannien/Ungarn 2024
Regie: Brady Corbet; Drehbuch: Brady Corbet, Mona Fastvold; Kamera: Lol Crawley; Schnitt: Dávid Jancsó; Musik: Daniel Blumberg; Production Design: Judy Becker Kostüm Kate Forbes
Mit: Adrien Brody, Felicity Jones, Guy Pearce, Joe Alwyn, Raffey Cassidy, Stacy Martin, Emma Laird, Jonathan Hyde, Isaach De Bankolé, Alessandro Nivola, Jeremy Wheeler, Michael Epp, Natalie Shinnick
Verleih: Universal Pictures, 215 Minuten
Kinostart: 30. Jänner 2025

 

| FAQ 78 | | Text: Pamela Jahn
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