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Meister aller Klassen

Herwig „Fuzzman“ Zamernik im Gespräch über Abwechslung als Notwendigkeit, Überraschung als Lebenselixier und das richtige Maß.

Foto: Ingo Pertramer

Was kann Herwig Zamernik, also der Fuzzman, nicht? Das ist sicher eine berechtigte Frage. Er ist Mitbetreiber des Lotterlabels, Herr über sein Studio, immer öfter für die Musik in Filmen und TV-Produktionen zuständig, in Zusammenarbeit mit seiner Band Singin’ Rebels ein begnadeter Live-Performer, der niemanden (außer vielleicht in Dresden) kalt lässt. Vor allem aber ist er einer der großen Songschreiber, um nicht zu sagen Liederdichter, dieses Landes. Er war mitverantwortlich für die Naked-Lunch-Hymnen wie „Military of the Heart“, aber sein Solowerk ließ ihn neue Höhen erklimmen. Lieder fürs Leben wie „Hände weg von Allem“, „Und ich träume vom Meer“, „Ein Stern der keinen Namen trägt“. Auch das beste Lied über das Vatersein von Kindern, die auf diesem Planeten flügge werden – „Komm wir drehn noch eine Runde“ – stammt aus seiner Feder. Und da sind große Abschiedssongs wie „Leb wohl Cherie“ noch gar nicht erwähnt.

Zamernik ist ein Meister im Aufspüren und Aussprechen von Sehnsüchten aller Art, und seine Songs sind völlig unfähig, nicht zu berühren. Dabei ist er Lichtjahre davon entfernt, ein Jammerer zu sein, denn das Leben ist schön, es passieren tolle Dinge und dieser Spaß am Dasein durchflutet jede Note. Zuletzt schrieb er nicht nur die Hymne für die Wiener Festwochen, sondern war auch der musikalische Leiter der Eröffnungsfeier auf dem Wiener Rathausplatz. Es gibt also viele Gründe, um den Mann mit den vielen Talenten endlich zum Gespräch zu bitten.

Foto: Ingo Pertramer

Sie waren heuer der musikalische Leiter der Eröffnung der Wiener Festwochen und haben auch die Hymne „Steht auf, steht auf“ für die ausgerufene „Freie Republik“ geschrieben. Wie war es für Sie, in und mit einem großen Apparat und einem nicht zu kleinen Budget zu arbeiten?

Herwig Zamernik: Das Budget ist jetzt nicht so, dass man damit herumwerfen kann. Für das, was es ist, ist es eigentlich knapp, also haushalten ist schon angesagt. Aber die Festwochen sind einfach ein Riesenapparat und man muss auf vielen Ebenen kommunizieren, was für mich eine Herausforderung war – weil in meinem kleinen Punk-Rock-Universum reden wir mit ein paar Leuten und dann sind wir uns einig oder machen eben nichts. Bei so einem Apparat muss man lernen, wer wann welche Information bekommen sollte und wer nicht. Und am besten auch noch, warum nicht. Es braucht Zeit zu lernen, wie man mit dem Apparat so arbeitet, dass es am Ende auch Sinn macht. Die Welt ist eben sehr gefinkelt, wenn es um Kommunikation geht. Dazu passt ein Zitat der Sterne: „Wir wussten es vorher schon, nur zum Lohn haben wir jetzt auch den Beweis.“

Wie sind Sie zu diesem Auftrag gekommen?

Ich wurde im August 2023 von Milo Rau, den ich vorher nicht kannte, gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, eine Hymne zu komponieren. Dann haben wir geskypt. Es war bei uns so etwas wie Liebe auf den ersten Blick und ich habe ohne groß nachzudenken zugesagt. Da bin ich erst draufgekommen, dass es gar nicht so einfach ist, eine Hymne zu schreiben. Ich bin lange herumspaziert – der Denkprozess war schlussendlich viel länger als das Aufschreiben. Dann kam die Frage, ob ich bei der Musikauswahl helfen könnte, und am Ende hatte ich die musikalische Leitung für die Eröffnung.

Vom großen Apparat zum kleinen Club. Sie haben mit Ihrer Band, den Singin’ Rebels, vor kurzer Zeit eine lange Deutschlandtour gespielt, die Sie quer durchs Land und für Sie neue Städte geführt hat. Wie kam es dazu?

Erlebt habe ich die Zeit als sehr angenehm. Ich habe zu den Rebels gesagt, dass wir „Tourlaub“ machen, weil wir ja schon ältere Herren sind und sicher nicht auf Punk-Rock-Tour fah-ren. Die Konzerte waren super gebucht, den Booker Daniel Kempf kenne ich noch aus Naked-Lunch-Zeiten. Er war auch als Tourbegleiter mit uns unterwegs. Den habe ich zufällig bei einem Konzert von mir in Saalfelden getroffen und er hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, zu spielen. Ich hab’ mich nie um Deutschland gekümmert und ihm gesagt, wenn er Lust hat, dann spielen wir. Und so war es dann auch. Er bucht gerade die nächste Tour.

Wie war die Reaktion?

Weiter südlich und nach Berlin hinauf kennt man mich, teilweise spielten wir in Mini-Buden. In Dresden war ich völlig unbekannt, da spielten wir „Haltet Abstand“ und die Reaktion war ein zurückhaltendes „Aha“. Für mich war das schon interessant, vor einem Publikum zu spielen, das für mich ein weißes Blatt ist.

Bei Ihren Auftritten gibt es immer wieder Augenblicke, wo Sie ins Unbekannte aufbrechen, wenn Sie etwa einem Zuschauer die Möglichkeit einer kurzen Rede geben, wo keiner eine Ahnung hat, wohin die Reise geht. Suchen Sie diese Momente?

Die Bühne ist zwar schon mein natürlicher Lebensraum, aber ich halte mir die Sache frisch, indem es etwa nie eine Setlist gibt. Die Rebels wissen auch nicht, welches Lied als nächstes kommt. Wenn sich Dinge einschleichen, dann nervt mich das und ich breche damit – nicht nur, um mich zu überraschen, sondern auch die Band und das Publikum. Wenn man hinhört und hinschaut, merkt man, glaube ich, dass es mir darum geht, diese Momente im Konzert zu haben. Wenn wir heute eine Setlist hätten, würde ich am zweiten Tag der Tour heimfahren.

Was würden Sie machen, wenn das Konzert tatsächlich kippt?

Dann hätte ich auch dafür das richtige Lied.

Oft ist die „Segnung“, ein mehrmaliges exzessives, lautes und immer bejubeltes Halleluja, Bestandteil Ihrer Auftritte. Wie ist dieses Ritual entstanden?

Ich glaube, das erste Mal haben wir es in Ebensee gespielt. Einer der Rebels musste aufs Klo und wir spielten dann halt irgendetwas. Das hat sich dann aber entwickelt und verändert, und mir ist ja schon fad, wenn ich zweimal das Gleiche bei der Segnung erzähle. Nachdem sie jeder schon erwartet, muss ich sie vielleicht abschaffen, andererseits hat mir meine Liebste beigebracht, dass Rituale auch was Schönes sein können. Aber am 1. Mai im Stadtsaal haben wir sie ausgelassen.

Foto: Ingo Pertramer

Eine der Wiesen, die Sie bespielen, ist das Lotterlabel. Aktuell gibt es einen Aufschrei in der Branche, weil aufgrund des Trends hin zum Streaming die Einnahmen wegbrechen. Wie sieht das bei Ihnen aus?

Gleich vorweg: Das Lotterlabel ist Teamwork und ich mache nicht die Geschäfte. Stefan (Redelsteiner, Anm.) und ich sind bescheidene Menschen. Das Ziel ist, dass wir die Infrastruktur halten können und sich das Label selber trägt. Aktuell schaffen wir das, wobei wir mit Voodoo Jürgens, Ansa Sauermann und mir ja nur drei Künstler betreuen. Aber klar, generell sind die Einkünfte zusammengebrochen, die großen Player zentralisieren sich immer mehr. Aber in Wahrheit kommen kleine Labels, die ihr Ding machen, immer wieder. In den letzten Jahrzehnten haben sich in Wellen immer wieder neue Indielabels gegründet und sich selbst organisiert. Ich glaube, die Chance ist immer da. Kapitalismus ist nicht der beste Mond, auf den man schauen soll. Für uns geht es darum, dass Leute wie Voodoo oder ich gut betreut sind und dass wir die Kontrolle haben über das, was wir machen. Das war immer schon der Gedanke hinter allem, was sich independent nennt.

Sie sind auch Schirmherr und Namensgeber des Fuzzstock, eines kleinen Festivals in Kärnten, das im letzten Jahr vom Klippitztörl an den Fuß der Petzen weitergezogen ist und heuer von 23. bis 25. August stattfindet. Wie ist die Idee zum Festival entstanden?

Ich wollte immer schon ein Bergfestival machen. Mein Bruder hat mit Georg Hochegger geredet, der ein Hotel oben am Klippitz hatte, und das war der Startschuss. Georg war ein cooler, verlässlicher und gut organisierter Partner. Aber dann kam es zu Veränderungen. Es war Zeit, einen neuen Ort zu finden, und seit letztem Jahr sind wir am Fuße der Petzen. Am Klippitz hatten wir fast jedes Jahr Schnee oder Schneeregen, und ich habe gelernt, dass das eine Wetterscheide ist. Letztes Jahr sahen wir von unten auf das Wetterleuchten oben auf der Saualpe und am Klippitz und wir hatten herunten 35 Grad. Das Fuzzstock ist ja ein Festival. Es soll und darf kein Event sein, deswegen sind vor Ort vom Bürgermeister über die Feuerwehr alle eingebunden – und so soll es auch bleiben. Unser Ziel ist es definitiv, nicht zum Megafestival zu werden. Ich bilde mir ein, man kann das über das Booking steuern. Jetzt kommen ungefähr tausend Leute und das fühlt sich gut an.

Ein paar Tage nach dem Gespräch setzen Fuzzman und seine singenden Rebellen den Schlusspunkt der Abrissparty auf dem Platz des Wiener Sportklubs. Natürlich wird sowohl die viel geliebte, legendäre Friedhofstribüne, die nun weichen muss, mit Inbrunst gesegnet als auch die Tribüne, die da kommen wird. Wobei den Fans gesagt sei, dass das spezielle Flair nicht das Gemäuer ausmacht, sondern die Menschen, die den Beton zu einem speziellen Ort werden lassen.

Im Spätherbst wird „Gold“ auf dem Lotterlabel erscheinen: der erste Rückblick auf das imposante Schaffen Fuzzmans. Noch sind keine Songs bekannt, aber bei dieser Vergangenheit kann man einfach nicht in den Gatsch greifen. Die Doppel-LP wird ein Fest, und wer bereits vorfeiern will, sollte sein Zelt einpacken, sich nach Kärnten aufmachen und dem Fuzzstock einen Besuch abstatten.

 

Fuzzstock: 23. bis 25. August 2024
www.fuzzstock.at

Fuzzman live: 12. Dezember – ppc
Graz; 14. Dezember – Arena Wien
Dezember 2024 – ARGEkultur Salzburg

 

| FAQ 76 | | Text: Günther Bus Schweiger
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