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Metamorphosen im Club

© Andre Breinbauer

Es ist nach Mitternacht und der 16. April 2015 ist gerade vorüber – doch die Abschiedsshow des Cotton Candy Club im Wiener Traditionslokal Fledermaus dauert an. Eben haben drei Burlesque-Künstlerinnen ihre Nummern präsentiert, diese Mischung aus Theater, Witz und Striptease: Ruby Tuesday beispielsweise spielte eine doppeldeutige Nummer von AC/DC nach. In „The Jack“ erzählt der Sänger vordergründig von einer Pokerspielerin, die jede Partie beherrscht, und von seinen Versuchen, einen Stich zu machen. Doch schmerzhaft muss er erkennen: „She’s Got The Jack“, sie hat den Buben . Diese Mehrdeutigkeit wurde sehr eindeutig umgesetzt, und dass sich die Performerin nebenbei fast völlig auszieht, wird tatsächlich zur Nebensache. Nach zwei weiteren Nummern und einer Moderation von „The Client“ ist eine kurze Pause entstanden, und ein junger Typ mit Bierflasche hat den Sessel auf der Bühne in Beschlag genommen. Als die am Club beteiligten Frauen dann auf die Bühne zurückkehren und tanzen, um den „Zuckerwatte Klub“ zu verabschieden, macht der Typ weder Anstalten zu gehen, noch beteiligt er sich am Geschehen (er könnte ja mittanzen). Vielmehr lehnt er sich zurück und grinst selbstgefällig, als ließe er hier die Puppen tanzen. Die Mädels ignorieren ihn ihrerseits, nur „The Client“ fragt ihn irgendwann, was er denn hier wolle – wozu dem Jungen auch nicht viel einfällt. Vielleicht, weil die Figur, die durch den Abend führt, betont asexuell auftritt? Wenn man als Manderl auf Weiberl steht, kann es schon verwirrend sein in der Sub- und Clubkultur.

Erotik und Tradition

Aber für den guten Geschmack der schweigenden Mehrheit hält die Medien- und Unterhaltungsindustrie ja ohnehin feine Modelcastingshows und launige Musiktitel bereit, in denen die Rehlein weiblich und die Jäger männlich konnotiert sind. Zwar macht mit Dita von Teese eine prominente Vertreterin die Stilrichtung New Burlesque einer breiten Öffentlichkeit bekannt und erklärte ihre Kunst in einem Buch – ob ihre Auftritte im Playboy verdeutlicht haben, dass sich Burlesque-Nummern von einer Sexshow unterscheiden, lässt sich schwer sagen. Selbst beim Cotton Candy Club in der Fledermaus bemäkelten einzelne Gäste die Körper der auftretenden Künstlerinnen, doch dieselben Gäste wunderten sich vermutlich auch, dass das Lokal „Cabaret“ heißt, obwohl dort Clubs stattfinden und keine Comedy. Die Mehrzahl der Anwesenden war jedoch vertraut mit den Codes, trug durch die eigene Aufmachung zur Atmosphäre bei und wollte sich über die Nummern amüsieren, nicht bloß daran aufgeilen.

Nicht so stark wie der Trachtenboom der letzten Jahre, aber ebenso traditionell ausgerichtet war New Burlesque. Hier ging es um die Wurzeln der Popkultur. In den Metropolen Europas und Amerikas boomten neue Formen, denen eines gemein ist: New Burlesque, Queere Performer und viele kleine Underground-Popacts (auch größere, wie die Tiger Lillies oder die Dresden Dolls) beziehen sich auf Varieté und Revuetheater. Man muss den Betreibern der Fledermaus hoch anrechnen, dass sie dem Cotton Candy Club eine Bühne boten – im wörtlichen Sinne, die Kombination von kleiner Kellerbühne, Bar, Disco und plüschigem Ambiente ist wie geschaffen für ein Burlesque-Event. Hier fand der Club nach seinen verspielten Anfängen im Wirr Untergrund zu einer klaren Form.

Ursprünglich wollte Sabina Leitner als DJ mazery ja eigentlich bloß Dancefloor ohne Elektronik in ihrem Club spielen, von den Zwanzigern aufwärts, mit wechselnden Einlagen: Bands, Comedy, Performance. Dem Zeitgeist entsprechend fanden sich viele Fans von Rockabilly und Swing Style im Publikum. Die Einlagen übernahmen ambitionierte Amateure, die in Wien noch kein Forum für ihre Burlesque-Leidenschaft hatten und im Cotton Candy Club den geeigneten Rahmen erkannten. Kitty Willenbruch, Bayou Mystère und Henrietta Weintraub entwickelten ihren Stil kontinuierlich weiter. Später wurden auch internationale Künstlerinnen eingeladen. Von Kunst muss man allein schon deshalb sprechen, weil Einsatz und Verdienst in keiner Relation stehen.

Handwerk, Erzählung, Queere Künste

Wie jede schaustellerische Disziplin erfordert eine Burlesque Nummer das Sychronisieren vieler Techniken und große Körperbeherrschung. Zum Handwerk des geschmeidigen Ausziehens kommt die Erzählung der Nummer, deren genaues Timing von einem Musikstück getragen wird. Ein Hänger, ein Fehler, und die Spannung reißt ab, der Witz kippt ins Lächerliche – alles war umsonst. Wie überall gilt: Übung macht den Meister. Und Übung braucht Zeit. Zudem wollen auch Kostüme und Accessoires erdacht und gefertigt werden.

Prinzipiell gilt: Die Künstlerinnen schälen sich aus mehreren Schichten von Kleidung und sind doch nie nackt. Was einst als künstlerische Verbrämung von Erotik im Zeichen des Varietés begann, wurde in seiner Renaissance zum Ausdruck der viel zitierten weiblichen Selbstermächtigung. Parallel zu den ästhetischen Zwängen von „schlanker Fitness“ und Photoshop-Makellosigkeit, wie sie die Supermodels der 1990er ausstrahlten, wucherten andere Ideale: Üppige Kurven statt flachen Bäuchen, Oberweiten unter und über der Norm, doch stets mit ironischen Quasten kaschiert. Weiße Haut und Tätowierungen erinnern oft an die SuicideGirls, je nach Sichtweise eine weibliche Subkultur oder alternative Pornografie, jedenfalls ein Trend aus der Mitte der Nullerjahre, an dem sich wieder einmal die Frage entzündete, wie weit sich die erotische Darstellung dem Objektcharakter entziehen kann. Was sich bei Bildern im Netz schwer sagen lässt, ist bei den Auftritten im Cotton Candy Club wesentlich klarer. Frech, witzig, skurril, geheimnisvoll, pompös, wie auch immer: Die Künstlerinnen treten selbstbewusst auf, mitunter gar Ehrfurcht gebietend. Dafür steht Burlesque heute, auch beim Cotton Candy Club.

Freilich war die Show immer nur ein Element, und der universelle „Zuckerwatte Klub“ verlor Publikum an andere Veranstaltungsreihen: Swingtänzer und Rockabillies fanden spezielle Angebote für genau ihren Musikgeschmack, mit dem Wachsen der Szene wurde auch das Angebot an Burlesque Events größer. So entstand eine regelmäßige Salon Kitty Revue mit durchgehendem Programm, andere interpretierten Burlesque stärker als künstlerische oder queere Ausdrucksform. Von dort kamen auch Inspirationen zurück, gingen die Umdeutungen weiter, in der Wiener Szene und international; Burlesque und queere Performance haben sich zu „Boyleske“ verbunden. Das Spiel mit Attributen aller Art, das Verwischen der Geschlechtergrenzen legte diese Entwicklung nahe. Im ewigen Revuetheater waren Burlesque und Travestie schon immer Geschwister.

Conchita kommt, Cotton Candy geht: Subkultur & Erfolg

Der Abschied des Cotton Candy Clubs erfolgt ohne Rücksicht auf aktuelle Hypes, denn eigentlich wäre man persönlich mit Conchita Wurst und damit dem Eurovision Song Contest verbunden, der doch heuer nach Wien kommt. Tatsächlich fand Conchitas Bühnen-Ehemann Jacques Patriaque in den Anfangstagen des Cotton Candy Club als Comedian und Moderator auf die Bühne, bevor er seine ersten „Boylesque“-Nummern entwickelte und präsentierte. „Boyleske Nummern sind freier und weniger der Tradition verpflichtet“, erklärt Jacques Patriaque, der auch schon mal als Tannenbaum die Bühne betrat, bevor er zum Strip ansetzte – oder sollte man von Transformation sprechen?

Tatsächlich liegt Burleske, Boyleske, Travestie und Subkultur der Wunsch nach Verwandlung zugrunde. Auch wenn nicht alle Menschen mit ihrem Geschlecht oder ihrer Sexualität unglücklich sind, sehnen sich viele nach Entwicklung und Veränderung. Daraus erklärt sich der Reiz von Popstars, die asexuell erscheinen: Als Figuren stehen und standen Conchita Wurst, Ziggy Stardust, Michael Jackson, und vielleicht auch Lady Gaga oder die barocken Kastraten über den grundlegenden Kategorien des Seins. Wenn diese Kategorien überwunden werden können, besteht die Hoffnung, dass sich auch die persönlichen Probleme lösen lassen, sich quasi jede und jeder zu einem unbeschwerteren Menschen entwickeln kann.

Entwicklung als Perspektive mag verheißungsvoll sein, Entwicklung zu verwirklichen geht in der Praxis mit Anstrengungen einher, mit Unsicherheiten und Risken. So stieß die Cotton Candy Crew zunehmend an ihre Grenzen. Ein Wachsen in der bisherigen Dimension der Subkultur erschien kaum möglich, denn der Club ist bereits auf allen Seiten von den erwähnten Spezialangeboten umgeben. Ein Sprung in eine größere Dimension hätte aus der Subkultur hinausgeführt, dorthin wo man sich an den Next Top Models orientiert und sich dann vielleicht Burlesque und Bodypainting verbinden. Aber wie gesagt: ein Weitermachen in der bisherigen Dimension hätte Stillstand und ein Versanden in der Folkore bedeutet.

Subkultur und Erfolg als paradoxe Paarung zu bezeichnen, würde nun aber ein unsinniges Klischee bedienen. Szenen und Subkulturen verändern sich. Manche Elemente entwickeln sich weiter, andere verschwinden ganz einfach (bis zu ihrem Revival …). Insofern kann man nach knapp sieben Jahren – immerhin! – den Cotton Candy Club als sehr erfolgreich bezeichnen, hat diese Reihe doch viele andere Projekte inspiriert. So kuratiert Jacques Patriaque 2015 zum zweiten Mal ein jährliches Boyleske-Festival. Das heurige Motto lautet „The Sound Of Boyleske“, in Anlehnung an einen amerikanischen Musicalfilm, der viel mit österreichischer Folklore zu tun hat.

Wenn das mal die Manderl und Weiberl nicht durcheinander bringt.

PS: Im Herbst wollen Sabina Leitner und die DJs Dent und Stompin’ Wolfman eine andere Linie des Cotton Candy Club weiterführen und sich der Live-Musik widmen.

stadtsaal.com/spielplan/boylesquefestival.html

www.salon-kitty.net

| FAQ 32 | | Text: Lohberger Paul
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