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Momente der Umkehrung

Text: Michael-Franz Woels | Fotos: Die Fabrikanten

Wie bei einer Camera obscura steht auch beim Hotel Obscura einiges auf dem Kopf: Die zweitägige Live-Art-Darbietung lädt seine Gäste nämlich ein, in die Welt der One-to-One-Performances einzutauchen. Statt Ruhe und Abgeschiedenheit wird der Besucher im Veranstaltungsort, magdas Hotel im zweiten Wiener Gemeindebezirk, mit umgekehrten Rollen zwischen Innen und Außen, zwischen Künstler und Performer, zwischen Flucht und Zuflucht konfrontiert. Ein Hotel im Hotel also. Eine weitere Umkehrung mag man im Umstand erkennen, dass die Unterkunft quasi von Gästen geführt wird, denn magdas Hotel wird von Menschen, die in Österreich Asyl gefunden haben, betrieben. Hier wird man von Menschen willkommen geheißen, die ihre Heimat nicht freiwillig verlassen haben – ein Hotspot der Integration.

Zu diesem Zweck gestaltete die Caritas Anfang 2015 ein ehemaliges Pensionistenheim zu einem schicken Boutique-Hotel um. Mitgeholfen hat unter anderem das Architekturbüro AllesWirdGut, ehrenamtlich war eine illustre Reihe an Künstlerinnen und Künstlern beteiligt. Denn: „magdas mag Kunst“, wie ein Slogan auf der Website der fremdenfreundlichen Herberge informiert. Dass sich in unmittelbarer Nachbarschaft ein Gebäude der Akademie der bildenden Künste befindet, erscheint da nur folgerichtig. Und so haben diverse Werke in Form von Objekten oder Wandgestaltungen im magdas eine Bleibe gefunden. Eine überaus stilvolle Bleibe, wie schon im schicken, mit selbstgehäkelten und gestrickten Lampenschirmen versehenen Salon deutlich wird – übrigens auch ein Nachbarschaftsprojekt.

Und in dieser Bleibe finden im Oktober unter dem Deckmantel der Live Art obskure Ereignisse statt. Es fallen einem Begriffe ein, die so vielfärbig und divers sind wie die Herbstblätter im Prater, an dem das Hotel gelegen ist: Human Specific Art, Intervention, Site Specific Performance, One-to-One-Performance, Social Art, Community Art, Participatory Performance, Immersive Theatre, Urban Gaming. Ereignischarakter der darstellenden Künste versus Werkcharakter der bildenden Künste. Seit 25 Jahren ist die in Linz ansässige Agentur und Künstlerkooperative Die Fabrikanten, die das Hotel Obscura in Wien organisiert, den Phänomenen und Spielregeln der menschlichen Kommunikation auf der Spur. Das Eingangsstatement des Dokuvideos zu einem HOTEL OBSCURA Pilotprojet in Linz stellt klar: „Live Art kümmert sich wenig um kunstgeschichtliche Schubladisierungen, sondern versteht sich vielfach als Strategie, in die Lebensrealitäten von Menschen einzutauchen. Manchmal für kurze Momente, manchmal in lang anhaltenden Prozessen. One-to-one Live Art spitzt diese Strategie auf totale Intimität zu.“

Zur Auslotung der Grenzen dieses Genres initierten die Fabrikanten schon 2011 das Live-Art-Festival Exchange Radical Moments!, das in Berlin, Bitola, Chisinau, Linz, Liverpool, London, Paris, Prague, Riga, Slubfurt und Stockholm stattfand. Daraus entwickelte sich gemeinsam mit der in Melbourne beheimateten Gruppe triage live art collective die Zusammenarbeit am Projekt Hotel Obscura. Die Idee dafür hatte das australische Kollektiv bereits 2007, realisert werden konnte das Projekt aber erst dank der Unterstützung des europäischen Kulturprogramms Creative Europe. So ist Hotel Obscura nun ein zweijähriges Projekt, bei dem die internationale Vernetzung und Zusammenarbeit von Künstlerinnen und Künstlern aus den Bereichen Live Art, Performance Art, bildender Kunst und darstellende Kunst ermöglicht wird.

Kuratiert wird das Projekt von den genannten Fabrikanten und dem triage live art collective, in Zusammenarbeit mit den französischen Formationen Mezzanine Spectacles, La Transplanisphére, La Folie Kilométre und GK, der griechischen Theatergruppe Ohi Pezoume sowie anderen assoziiereten Partnern wie dem Wiener Urbanize Festival und dem Linzer Atelierhaus Salzamt. Ziel des Projekts ist ein Programm kollaborativer und interdisziplinärer Performances, außerdem beinhaltet es ein Kulturaustauschprogramm, Live Art Camps und Workshops, sowie intime partizipatorische Aktionen in verschiedenen Hotels und öffentlichen Räumen der einzelnen Partnerländer.

Im Hotel Obscura in magdas Hotel werden Anfang Oktober rund zwanzig Künstlerinnen und Künstler in einem konzeptionellen Zeitrahmen von fünfzehn Minuten individuelle Erfahrungen im direkten Austausch mit den einzelnen Besucherinnen und Besuchern schaffen. Ohne vorab das Setting oder das Gegenüber zu kennen tauchen die Teilnehmer in zwei oder mehr Szenen ein, an denen sie selbst mitwirken. Es emergieren außeralltägliche Erfahrungen, die Kooperation und Abgrenzung, das Verlassen von Komfortzone und individueller Grenze zwischen dem Kunstschaffenden und seinem Gast in einer 1:1-Performance ausloten. Mehr soll an dieser Stelle allerdings nicht verraten werden, denn das Projekt lebt von der Überraschung und vom unvoreingenommenen Moment der Begegnung. Deshalb (und auch hier steht das Hotel ein wenig Kopf) gibt es keine Wahlmöglichkeit eines bestimmten Künstlers – die Zimmer werden den Gästen zugeteilt.

HOTEL OBSCURA Künstlerinnenn und Künstler

Club Real (DE/AT), Alix Denambride (FR), Silk Fluegge (AT), Deborah Hazler (AT), Patrik Huber (AT), Martha Laschkolnig und Markus Zett (AT), Brian Lobel (GB), Veronika Merklein (DE/AT), Mandy Romero (GB), Mario Sinnhofer (AT), Chris Swoon (AT), Elise Terranova (AU), Time’s Up (AT), Katerina Kokkinos-Kennedy (AU), Katharina Wawrik & andakawa (AT), Your Cousin PIA (AT), Rea Zeccou (GR).

Teilnahme nur nach Voranmeldung: austria.hotelobscura.org

| FAQ 34 | | Text: Michael-Franz Woels | Fotos: Die Fabrikanten
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