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FAQ – Music #57

Text: Günther Bus Schweiger | Fotos: Carlos Cruz Sol
Car Seat Headrest © Carlos Cruz Sol

Hinter Car Seat Headrest versteckt sich Will Toledo, der mit seinen 27 Jahren schon 13 Alben in Welt gesetzt hat und mit seinem letzten Album „Teens of Denial“ zumindest in Amerika bejubelt wurde. Vier Jahre gingen ins Land und der sonst so umtriebige Tolede machte sich ungewohnt rar. Es wurden keine Krisen oder andere Dramen überliefert, und so konnte man guten Gewissens annehmen, dass er an seinem Meisterwerk bastelte, das den Vorgänger weit in den Schatten stellen und ihn auf der Musikerlandkarte noch prominenter positionieren sollte. „Making a Door Less Open“ ist nun das Ergebnis, und was als erstes auffällt, ist, dass sich Toledo jetzt unter einer Maske versteckt und sich Trait nennt. Das ist zufällig auch der Name seines Elektroprojekts und so teilt er uns mit, dass er mit sich selbst zusamenarbeitet. Toledos Popbegriff ist weit und so nimmt er alles auf, was in der Vergangenheit als Erfolgsbestandteil für einen echten glaubwürdigen Popstar gegolten hat. Die coole, leicht müde, aber vielleicht doch gelangweilte Stimme, die Beats zwischen Radiohead, Depeche Mode und INXS, zwischen-durch die Gitarrenwände der frühen Neunziger, das kurze akustische Einsprengsel, alles wird geliefert, mixtechnisch da und dort aufgefettet, aber bei all den Zutaten fehlt es dann doch am zündenden Song, der nicht um die Ecke kommen will. Und so ist „Making a Door Less Open“ ein unglaublich üppiges Menü, bei dem doch am Schluss etwas fehlt.
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Die Australierin Sophie Payton, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Gordi, hat gerade ihren Beruf als Ärtzin wieder aufgenommen, um auch abseits ihrer Musik konkrete und wahrscheinlich notwendige Hilfe zu leisten. Gordi ist mit einer jener Stimmen ausgestattet, die nicht nur Coolness und Rauheit vermitteln, sondern auch ein Gefühl der Kontrolle und Sicherheit, denn es nicht ihre Sache, alles zu verraten. Ein Geheimnis bleibt hier immer zurück. „Our Two Sins“ wurde auf dem Familiengrundstück weit weg von Trubel und High-Speed-Verbindungen mit zwei Mitgliedern von Bon Ivers’ Band aufgenommen und die äußerliche Abgeschiedenheit in breite Hymnen wie „Sandwiches“ übersetzt. Gordi lässt sich mit ihren Songs Zeit – die Zeit, die ihre Balladen und Midtempo-Stücke brauchen, um ihre Meisterschaft entfalten zu können. Bei allen elektronischen Effekten ist Geschmackssicherheit Trumpf, aber wenn man ihre akustischen Konzerte gesehen hat, sehnt man sich von Zeit zu Teit nach der absolut puren Gordi.
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Was uns zu Wolfgang Möstl führt, einem der meistbeschäftigten Produzenten, der seit früher Jugend für Gitarrensounds in allen Lautstärken, die Magie des Moments und Melodien hinter all dem Lärn steht. Dafür steht sein Wirken mit den famosen Sex Jams, seiner Stoner Rock Band Melt Downer und vor allem seine Veröffentlichungen mit Mile Me Deaf. Nichts liegt also näher, als bei „Ecco“ eine Fortsetzung dieses Weges zu erwarten und sich auf fette Gitarrenwände und hingerotzte Melodien zu freuen – aber was kümmert Wolfgang Möstl das Naheliegende? Wenig bis gar nichts, denn er biegt hier in das Land der Sythesizer, der Sampler, der Loops, der Repetition ab und nimmt aus seinem musikalischen Vorleben nur die Melodien mit. Die Vorabsingle „Holodeck“ aus dem Vorjahr ließ den Schritt schon erahnen, aber der Bruch mit der eigenen Vergangenheit wird mit aller Konsequenz vollzogen. Was Möstl damit verliert, ist seine Einmaligkeit als Gitarrist, was er gewinnt, ist ein neuer Klangkörper, der seinen Songs wie z.B. „The Plan“ die neue Lässigkeit verleiht, nach der er sich sehnt.
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Sehnsucht ist das Stichwort für den Schotten Marc Pilley. Er veröffentlichte mit seiner damaligen Band Hobotalk Anfang der 2010er Jahre zwei wunderbare Alben voller sanfter Songs, die das Leben und die Liebe in all seinen Schattierungen hochleben ließen und die den Test der Zeit bestanden haben. So gut und zeitlos diese Alben waren, so erfolglos waren sie am Ende; Pilley verschwand von der Bildfläche. Jetzt veröffentlich er unter dem Namen Arksong mit „This Blessed Unrest“ schon sein zweites Album in kurzer Zeit. Die Magie der Stimme aus den einsamen Highlands hat nichts an ihrer Wirkung verloren. Pilley wurde zum Troubadour, der fernab vom Getöse des Alltags und der Metropolen seine Songs schreibt und so etwas ganz Seltenes in unsere Seelen bringt: Frieden und den Glauben, dass es nicht nur Wahnsinnige auf dieser Welt gibt.
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Seit dem Tod von David Bowie hat sich um seinen Namen, sein Werk und seine diversen Figuren eine Industrie entwickelt und das hat auch seine guten Seiten. „The Bowie Years“ ist eine 7-CD-Box, die die Zusammenarbeit des ewigen Derwisch Iggy Pop mit Bowie dokumentiert. Neben neu remasterten Versionen der Klassiker „The Idiot“ und „Lust For Life“ mit den Hits „China Girl“, „The Passenger“ oder „Nightclubbing“ gibt es Outtakes und gleich 3 Liveshows aus dem Jahr 1977, in denen sich Iggy natürlich auch bei seinem Repertoire aus den Zeit mit den Stooges bedient. Und Hand aufs Herz: Kann es genug großartige Versionen von „No Fun“ oder „I Wanna Be Your Dog“ geben? Bis auf Iggys großartiges Alterswerk in den letzten Jahren war diese hier umfassend dokumentierte Phase seiner Solokarriere sicher die prägendste für sein Profil als ewiger Bühnenberserker. Wenn schon Geschichte, dann bitte in dieser Form.
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Einem kleinen Genre gönnt Scott Matthew mit „Adorned“ einen Neuzugang. Einer der herausragenden Jammerer der Singer/Songwritergarde nimmt nach seinem absolut gelungenen Coveralbum „Ode To Others“ Schätze aus seinem eigenen Werk her und interpretiert sie neu. Diesen Schritt hat schon Bonnie „Prince“ Billy gemacht, und auch Bob Dylan zerstörte auf „Self Portrait“ seine eigenen und fremde Klassiker. Aber Matthew geht es nicht ums Zerstören, er erfindet seine Songs radikal neu und führt sie gewissermaßen aus den Tiefen der Depression ans Licht. Dafür lässt er die Gitarre auch öfter im Koffer und arbeitet mit elektronischen Klängen. So schafft er das Kunststück, seine alten Songs wirklich neu zu entdecken und ihnen ein zweites, gänzlich umgedeutetes Leben zu geben. Aus der Stimme und der Musik strömen auf einmal Spuren von Hoffnung und vielleicht kann der Australier mit Wohnsitz New York ja doch noch seinen Traum vom Antiquitätengeschäft verwirklichen. Neue Songs schreiben kann er dann immer noch.
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