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FAQ – Music #59

Text: Günther Bus Schweiger | Fotos: Universal Music
Mumford & Sons © Universal

Für die Disco haben Kruder & Dorfmeister wohl nie ihre Musik produziert. Sie waren eines der großen Aushängeschilder des Wiener Downtempobooms in den Neunzigern und brachten so das von Pop-Phänomenen weitgehend verschonte Wien auf die Landkarte der Popkultur. Sie hatten viele Mitstreiter, aber sie schafften es, aus der damaligen Innovation eine lange Karriere zu basteln. Das Album „1995“ (Recordjet) wurde tatsächlich vor einem Vierteljahrhundert aufgenommen und wurde damals archiviert. Jetzt meinten die beiden Urheber, dass die Zeit dafür reif sei. Sie entstaubten die Aufnahmen und pressten sie auf das Musikmedium ihrer Wahl: Vinyl. Erstaunlich ist, mit welcher Souveränität sie damals die geliehenen Basslininen und Fundstücke aus allen Genres mixten und doch als Kruder & Dorfmeister erkenntlich blieben. Sie waren die ersten DJs, die zu Stars wurden und wenn man „1995“ durchhört, ist man erstaunt, wie wenig dieses Genre seither weitergebracht hat und wie diese Elemente mit den Jahren von anderen Bearbeitern zur alltäglichen Hintergrundbeschallung in diversen Konsumtempeln gemacht wurden. „1995“ ist somit eine damals unterdrückte Pioniertat und ein Blick in eine weit weniger fantasievolle Zukunft.

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Beim Versandhändler Ihres Vertrauens kann man Discokugeln bereits zu Preisen um die 20 Euro erstehen und sie dann in die Küche oder das Kellerstüberl hängen, um mit der entsprechenden akustischen Begleitung den lockdown- oder vielleicht doch ferienbedingten Bewegungsmangel zu bekämpfen. Um dabei zu unterstützen, verabschiedet sich Kylie Minogue von den sparsam eingesetzten Countryklängen ihres letzten Albums und beamt mit allem, was dazugehört, wie zum Beispiel einem wirklich hässlichen Cover, in die Discohölle, oder besser gesagt in die fiktive Discohölle eines Stars, der gerade 52 geworden ist. Jüngere Zeitgenossen könnten vielleicht von einer Oldiesause sprechen. Vom „Perfect Body“ über „Dancing All Night Long“, dem „Moonlight“ bis zum Morgen danach werden alle Themen in ordentlich schwungvollen Vorlagen abgearbeitet. Da und dort werden Anleihen beim Phillysound der Siebziger genommen, aber alles in allem kann man nur zweimal gratulieren: Zum perfekten Handwerk und zu der am meisten aus der Zeit gefallenen Veröffentlichung dieser Tage.

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Lassen wir kurz die alten Helden hinter uns und kommen wir zu The New Madness. Die haben natürlich nichts mit englischen Ska-Pionieren zu tun, sondern sind die Band des gebürtigen Dänen Bjarke Sörensen, der inzwischen natürlich nach Berlin ausgewandert ist und dort eine internationale Musikerschar um sich versammelt hat. Diese Rasselbande widmet sich auf dem Debüt „After Hours“ (Crunchy Frog) dem guten alten Garagenrock, der nur nach vorne will, bei dem die Knochen durchgeschüttelt werden und an dem die Black Keys und deren Vorläufer natürlich auch ihre Freude hätten. Kein Ton, keine Idee ist neu, aber was zählt, ist die Begeisterung, mit der hier dahingeknüppelt und gelitten wird und natürlich gibt es nur eine Erlösung: Noch eine verlorene Liebe, um daraus noch ein Riff und noch einen Song zu basteln um ihn dann der Welt möglichst laut um die Ohren zu hauen.

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Das Knüppeln war bei Gott nie die Kernkompetenz von Lambchop. Seit Jahr und Tag stehen sie und ihr kreativer Kopf Kurt Wagner für leise, aber dafür umso klarere Töne und die Kunst des Zuhörens. Auf den letzten beiden Alben verabschiedete sich Wagner von der Band und trat allein den Weg in Richtung Elektronik an, der ein Album lang spannend war, aber dann auch in einer gewissen Ermüdung von Wagner und seinem Publikum endete. Da derzeit keine Tour gespielt werden kann, besann sich Wagner, der Mann einer demokratischen Politikerin, seiner Verantwortung für seine Musiker und lud sie ein Covers unter folgenden Bedingungen aufzunehmen: Jede Aufnahme durfte einen Tag dauern und jedes der sechs Mitglieder sollte einen Song aussuchen. Damit war auf „Trip“ (City Slang) erstens dafür gesorgt, dass die ansonsten gewohnte Perfektion nicht zu erreichen war und zweitens, dass Songs aus allen Ecken ins Universum von Lambchop Einzug hielten. Wer hätte gedacht, dass „Shirley“ der Clevelander Siebziger-Legenden The Mirrors es je zu Lambchop schaffen würde? Oder gar Stevie Wonders „Golden Lady“ vom Album „Innervisions“, einem seiner frühen Meisterwerke, nach der kreativen Loslösung von Motown. Den meisten Raum nimmt mit 13 Minuten der von Schlagzeuger Matthew McCaughan ausgewählte Song ein: „Reservations“, ein Kernstück von Wilcos „Yankee Hotel Foxtrot“. Diesen Song zelebrieren Lambchop bis in alle Einzelteile und lassen ihn nicht enden. Immer wieder nimmt er leicht Fahrt auf, wie eine Beziehung, die sich nicht entscheiden kann, in welche Richtung es nun gehen soll. Das Verlassen von eingetretenen Pfaden ist immer ein Wagnis, aber jedes Wagnis ist besser als kreativer Stillstand und so ist es dann schon stringent, dass dem beinahe endlosen Ausklingen die Stille folgt. Wie Lambchop hier auch in alte Countryklassiker wie „Where Grass Won’t Grow“ eintauchen und in die Gegenwart ziehen, zeigt, dass sich die Hausaufgabe gelohnt hat und die Band wieder eine einzigartige Einheit geworden sind. Zumindest auf der künstlerischen Seite sind sie damit absolute Coronagewinner.

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Mumford & Sons denken ebenfalls an ihre Freunde. Auf ihrer „Delta Tour EP“ erinnern sie an Höhepunkt ihrer letzten Tour, die sie mit fremdem Songs und/oder befreundeten Musikern erlebt haben. Und dabei erlebt der Zuhörer, der die Band in die Schublade der folklastigen Romantiker gesteckt hat, durchaus einige Überraschungen. Denn wer hätte gedacht, dass sich ausgerechnet diese Band an Trent Raznors größtem Song „Hurt“ versucht? Ein Song, der nach der Version von Johnny Cash wohl für alle Zeiten mit ihm verwachsen sein wird. Aber Marcus Mumford erfasst die Tragik und den Trotz des Songs und findet zwischen den Monolithen Cash und Raznor einen eigenen Weg, ihn zu interpretieren. Beim abschließenden „With A Little Help From My Friends“ lehnt sich die Band sehr an die breite und überbordende Hitversion von Joe Cocker an und gewinnt auch hier locker das Publikum.

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Anfang Jänner erscheint das offiziell erste Soloalbum „Better Way“ von Casper Clausen. Der gebürtige Däne war und ist Frontmann von Efterklang und hat seine Zelte mittlerweile in Lissabon aufgeschlagen. Die acht Songs wurden alle in der neuen Heimat komponiert. Umso erstaunlicher ist es, dass die Klangwelt der portugiesischen Metropole außen vor bleibt und er sich bei Mustern der deutschen Elektronik der frühen Siebziger bedient. Vor allem Sounds von Neu! und Cluster scheinen ihn sehr inspiriert zu haben. Was erstaunt ist, dass er sich solo weitgehend von den Songstrukturen seiner Stammband verabschiedet und so eigentlich ins ideenarme Soundbasteln abdriftet. Aber vielleicht ist „Better Way“ ja auch nur eine Bewerbung, um noch Aufträge für seine Tätigkeit als Filmkomponist zu bekommen.

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