Kengo Kuma, Jahrgang 1954, ist neben Kazuyo Sejima und Shigeru Ban der wohl bekannteste japanische Architekt der Gegenwart. Renommiert sind nicht nur seine eindrucksvollen Bauten, die oft von Holz, Stein oder Aluminium geprägt sind, auch seine Schriften zur Architekturtheorie gelten als bedeutend. Nach Abschluss seines Architekturstudiums an der Universität von Tokio widmete sich Kuma an der Columbia University in New York weiterführenden Studien. Zurück in Japan unternahm er Reisen durch das Land, um sich mit traditionellem Handwerk auseinanderzusetzen und gründete in den achtziger Jahren die Firma Kengo Kuma & Associates. Der Rest ist Geschichte: Zu seinen bekanntesten Bauten gehören so unterschiedliche Gebäude wie das Nationalstadion Japans, das Einkaufszentrum The Exchange in Sydney oder das China Academy of Arts’ Folk Art Museum. In bewusster Abkehr vom Modernismus sind für Kuma Nachhaltigkeit und die Besinnung auf Traditionen zentral. In seinen haptisch wirkenden Gebäuden – zu den Trademarks zählen Licht- und Luftdurchlässigkeit – treffen sich Innovation und Fluidität: Der Mensch geht nicht in Gigantomanie verloren, sondern spürt eine Verbindung zum Bauwerk.
Eine bei Taschen erschienene, prächtige XXL-Monografie versammelt Kumas Werke von 1988 bis heute auf 460 Seiten. 500 Fotos, Skizzen und Pläne lassen seine beispiellose Karriere, aber auch seine Philosophie lebendig werden. An diesen Gedanken lässt der Meister, der stets ein feines Gespür für Zeitgeist und gesellschaftliche Veränderungen hatte, den Leser im Vorwort teilhaben: „Als ich mein Architekturstudium aufnahm, hatte sich Japan von Grund auf verändert. Man diskutierte Fragen des Umweltschutzes. Man erachtete große öffentliche Bauprojekte nicht nur als eine Verschwendung von Steuergeldern, sondern auch als Ursache für Umweltschäden. (…) Auf der Suche nach Alternativen für die Baumaterialien Stahl und Beton bereiste ich verschiedene Teile der Welt. Ich sah mir Häuser aus luftgetrockneten Lehmziegeln in der Sahara an. Ich reiste zu den japanischen Inseln und versuchte dort die Frage zu ergründen, warum die kleinen Holzhäuser einen so großen Reiz auf mich ausübten. (…) Was für mich zählte und was mich bereicherte, war der Umgang mit den Materia-lien und den Handwerkstechniken, die ich an den jeweiligen Standorten vorfand. Ich war zum Schluss gekommen, dass es darauf ankam, die Spezifik der lokalen Gegebenheiten in den Blick zu nehmen und eng mit den Ortsansässigen zusammenzuarbeiten.“
Kuma, der sich als „Materialist“ im physikalischen Sinn bezeichnet, ließ also Nachhaltigkeit und ein Miteinander zu – eine überaus humane Methode: „Während meiner Reisen begegnete ich einer ganzen Reihe von Menschen, die nach wie vor ein traditionelles Handwerk ausübten. Wenn ich mit ihnen zusammenarbeitete, lernte ich dazu. Ich eignete mir umfangreiche Kenntnisse über Naturmaterialien wie Holz, Papier und Lehm an. Solche Dinge erfuhr man nicht im Studium. Gelernt habe ich von den Handwerkern, bei der gemeinsamen Arbeit, beim gemeinsamen Nachdenken.“
Kuma verfolgt seinen besonderen Ansatz bei allen Projekten, egal ob es um Aufträge der öffentlichen Hand geht oder ob er Häuser für Privatpersonen entwirft. So auch beim Feriendomizil Lotus House aus dem Jahr 2005 (Grundfläche: 530 Quadratmeter), das sich in den Bergen im Osten Japans befindet. Künstliche, mit Lotus bepflanzte Wasserflächen verbinden das Haus mit einem nahen Fluss und durch die Terrassenöffnung zwischen den beiden Flügeln kommuniziert der Wald auf der Gebäude-Rückseite mit dem Wald am gegenüberliegenden Ufer. Schachbrettartige Muster aus Travertin-Tafeln wirken modern, greifen jedoch auf japanische Bautraditionen zurück. Eine Erholungsoase als Gesamtkunstwerk.
Weitaus größer ist das zur China Academy of Art in Hang-zhou gehörende Folk Art Museum, das sich auf einem 9500 Quadratmeter großen Areal befindet: Laut Kuma soll das Museum mit seiner „Umwelt im Einklang stehen und durch nahtlose und vielfältige Ausstellungsräumlichkeiten ein neues Verhältnis zwischen Mensch und Kunst anregen“. Das Hanggrundstück wurde nur minimal eingeebnet, damit sich das Museum an den Berg schmiegen kann. Vor der Fassade schweben gekrümmte Ziegel in einem Edelstahlnetz, das einen Vorhang bildet. Im Inneren dominiert Zedernholz, terrassenartige Galerien sind mittels Holz- und Steinrampen verbunden. Ein eindrucksvolles Beispiel für organisch anmutende Architektur, die aus der Ferne wie ein chinesisches Dorf wirkt …
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KUMA
Complete Works 1988–Today
Kengo Kuma, Philip Jodidio
Hardcover, 30,8 x 39 cm, 460 Seiten
Taschen Verlag, Köln 2024
www.taschen.com