Autobusse, Lastkraftwagen, Baumaschinen, Bootsmotoren: Das 1927 in Schweden gegründete Unternehmen Volvo ist in vielen Sparten zuhause. Der Marke werden dabei zuallererst Attribute wie Sicherheit und Verlässlichkeit zugeschrieben, doch auch an Innovationen ist Volvo nicht arm – im Bereich der Seefahrt etwa sind Z-Antrieb und Duoprop legendäre Entwicklungen. Und dann ist da natürlich noch das klare und funktionale skandinavische Design, mit dem man vor allem die PKW verbindet. Doch finden sich in der Designgeschichte dieser Sparte durchaus extravagante Kreationen: Der PV444 (1944 vorgestellt) etwa war wegen seiner markanten Dachlinie bald unter dem Spitznamen „Buckelvolvo“ bekannt. Er war der erste PKW, den das Unternehmen in Massenproduktion herstellte und wurde 20 Jahre lang unverändert produziert. Von italienischem Design inspiriert war der von 1956–1967 produzierte P120 Amazon, der aufgrund von Geräumigkeit und Sicherheitsaspekten Verkaufserfolge als Familienauto feierte. Absoluter Kult ist der von 1960–1973 produzierte P1800, der durch die Abenteuer- und Agentenserie The Saint (Simon Templar) mit Roger Moore in der Titelrolle weltberühmt wurde. Die Produzenten der Serie wünschten sich zunächst einen Jaguar als Dienstauto des Lebemannes, doch der legendäre Sportwagenhersteller stellte keinen zur Verfügung – Werbung hatte man seinerzeit offenbar nicht nötig. Volvo sprang gerne ein und konnte sich über weltweite, lang anhaltende Werbung freuen (die Serie lief von1962–1969 und wurde in über 70 Ländern ausgestrahlt). Ebenso Kult wurde die modifizierte Variante P1800 ES, die als Kombi-Coupé daherkam und sich wegen der außergewöhnlichen Form den Spitznamen „Schneewittchensarg“ verdiente. Bis heute sind Volvos ein fixer Bestandteil amerikanischer Filme und TV-Serien, wobei hier allerdings eher die Modelle schlichten, skandinavischen Designs dominieren.
Darüber könnte man beinahe vergessen, dass ausgerechnet das PKW-Segment schon länger nicht mehr in schwedischer Hand ist. Denn bereits 1999 wurde Volvo Personvagnar für einen Gegenwert von 6,45 Milliarden Dollar an Ford verkauft. Nachdem die Amerikaner in die Krise gerieten und rote Zahlen schrieben, übernahm im Jahr 2010 die chinesische Zhejian Geely Holding Group um 1,3 Milliarden Euro das Unternehmen. Eine Übernahme, die geradezu sinnbildlich für den Wandel globaler Wirtschaftsverhältnisse steht, schickt sich China doch an, die USA als wichtigsten Absatzmarkt nicht nur für Volvo, sondern generell im Bereich von Oberklasseautos zu überholen. Der Wechsel der Besitzverhältnisse scheint jedenfalls zu einer Stärkung des Selbstbewusstseins bei Volvo geführt zu haben, wie sich an der neuen Generation des SUV XC90 erkennen lässt. Nicht nur prangt ein aktualisiertes Logo auf dem Kühlergrill, der Neue ist mit 4,95 Metern auch um 15 cm länger als der Vorgänger. Stärker ins Gewicht fällt jedoch der Umstand, dass die neue Generation des SUV XC90 vollkommen eigenständig, ganz ohne Ford-Komponenten, entwickelt wurde und mit dem Vorgänger so gut wie nichts gemeinsam hat. Die erstmals eingesetzte skalierbare Produkt-Architektur macht es möglich, künftige Modelle auf einer Produktionslinie zu fertigen. Eine effiziente Technologie, die den Designern größere Freiheiten verschafft, da Einschränkungen bei Überhang oder Radstand wegfallen. Das reduzierte Gewicht des Wagens, das sich einer modifizierten Chassiskonstruktion verdankt, sorgt für größere Agilität im Fahrverhalten.
Um den Neuanfang zu unterstreichen, kommt der XC90 zunächst in einer limitierten First Edition in Vollausstattung auf den Markt und die Lackierung Onyx Schwarz-Metallic und 21 Zoll große 8-Speichen-Leichtmetallfelgen passen gut zu dieser Exklusivität. Das Äußere des Wagens hat zunächst gemischte Reaktionen hervorgerufen („Der Spiegel“ etwa verwendete das Attribut konservativ) doch ist das klare, minimalistische Design nur konsequent und fügt sich in die „skandinavische“, von bewusster Reduktion geprägte Designgeschichte der Marke. Und dann hat das Äußere auch etwas ganz Besonderes zu bieten: Für die Voll-LED-Scheinwerfer „Thors Hammer“ ließ man sich von der magischen Waffe des nordischen Donnergottes inspirieren. Diese Scheinwerfer dienen ebenso als Blickfang, wie man sie als Hinweis auf die nordeuropäischen Wurzeln der Marke verstehen kann (dazu passend findet sich eine Miniaturversion der schwedischen Flagge am Sitzleder). Im Inneren demonstriert Volvo, dass sich die Übersichtlichkeit und Klarheit des skandinavischen Designs trefflich mit Luxus verbinden lässt: So finden sich hier ein Wählhebel aus Kristallglas, diverse Echtholzeinlagen und die individuelle Seriennummer auf den Einstiegsleisten. Belüftete und beheizte Komfortsitze bieten sieben Personen Platz und sind mit Nappaleder überzogen. Durch Umlegen der Sitze lässt sich außerdem großzügiger Raum zu Transportzwecken schaffen.
Richtig gelungen ist das Cockpit, das mit Touch-Display und Übersichtlichkeit beeindruckt. So cool das Aussehen dieser Kommandozentrale ist, so innovativ sind die damit verbundenen technischen Neuerungen: Beim Einparken kann man wahlweise eine 360-Grad-Rundumsicht auswählen oder den Vorgang aus der Vogelperspektive beobachten. Auch kann der Wagen selbstständig ein- und ausparken. Am wichtigsten (und für Volvo eine Frage der Ehre) sind aber Sicherheitsaspekte – und hier trumpft man mit zwei absoluten Neuheiten auf: Die sogenannte Run-off-Protection erkennt, wenn das Auto von der Straße abkommt und strafft die Gurte; ein energieabsorbierender Bereich zwischen Sitzrahmen und Sitz soll zudem Wirbelsäulenverletzungen vorbeugen. Innovation Nummer zwei: Ein Notbremssystem erkennt Gegenverkehr und bremst das Fahrzeug im Fall einer drohenden Kollision ab. Neuerungen wie diese weisen auf jene Fahrautonomie voraus, mit denen die Testphase von Googles Driverless Cars bereits in den Schlagzeilen war. Bleibt Volvo hier dran, könnte man dem Internetriesen (oder anderen Konkurrenten wie BMW, die ebenfalls in diese Richtung forschen) in einigen Jahren Konkurrenz machen.
Auch in Sachen Motorisierung geht der XC90 eigene Wege: Den Vorgänger etwa gab es in der „extremsten“ Variante als Achtzylinder, der neue wird nur noch als Vierzylinder (wahlweise Benziner oder Diesel) erhältlich sein. Eine Strategie, die man bei anderen SUV-Herstellern nicht findet. Volvo hat sich mit diesem Schritt für eine Reduzierung der CO2-Emissionen und somit für Nachhaltigkeit entschieden. Ein durchaus sympathischer Zug. Ein spezielles Modell der Baureihe wird erst im Juli 2015 erscheinen: Der XC90 T8 Twin Engine. Dabei handelt es sich um einen 320-PS-Vierzylinderbenziner, der an der Hinterachse von einer 80 PS starken Elektromaschine unterstützt wird. Der Plug-in-Hybrid fährt die ersten 40 Kilometer elektrisch und soll nur 2,7 Liter verbrauchen. Die limitierte First Edition hat mit 99.640,- Euro naturgemäß ihren Preis, die zum Markstart im Frühjahr erhältliche „reguläre“ Variante des Wagens gibt es um 53.800,- Euro. Mit dem XC90 scheint Volvo für die unmittelbare Zukunft gerüstet zu sein.