When you go from a normal glass to this, it modifies your behavior. You become more graceful. – And that’s an extraordinary thing to get for seventy dollars“, sagt jemand, der es wissen muss: Murray Moss, Gründer des laut „Herald Tribune“ „besten Design-Shops der Welt“ im New Yorker Stadtteil Soho. This bezeichnet die in beinahe 190 Jahren Firmengeschichte erreichte Perfektion im Umgang mit dem Werkstoff Glas (und dessen vielfältigen Formen als Gebrauchs- und Beleuchtungsobjekt), für die der Name Lobmeyr weltweit bekannt ist. Die Firmen- und Familiengeschichte begann 1823 mit Josef Lobmeyr und einem ersten Glaserladen in der Wiener Weihburggasse und lebt heute in sechster Generation unter der Führung von Andreas, Johannes und Leonid Rath fort. Als diese den Betrieb Ende der Neunziger Jahre übernahmen, machte man sich Gedanken, was das Wesentliche von Lobmeyr ausmache, erzählt Leonid Rath, und kam zu der Antwort, dass das Interesse, die anhaltende Neugier darin liege, das Material Glas in seinen Archetypen und Eigenschaften zu optimieren. „Es ist so, dass unsere Kunden uns die Möglichkeit geben, bis zu einem gewissen Grad das zu machen, was wir wollen. Wir lassen uns nicht zwingen, irgendwo in China eine Billigserie zu fertigen, mit der wir den Markt erobern wollen. Es gibt so viele starke Entwürfe, so viele Fans international, die gerade genug kaufen, dass wir von dieser verrückten Qualität leben können.“ Begeisterung an der Sache sieht und hört man in jedem Moment. Ein Grund für den Erfolg liege darin, die Strukturen des Betriebs klein zu halten und in die meisten Produktions- und Vertriebsprozesse eingebunden zu sein. Was bei Lobmeyr zwischen 1823 und 2011 geschah, ist in umfangreichen Chroniken nachzulesen, füllt unzählige Regale in Museen, Seiten in Design-Büchern und schmückt Opern in Wien, New York und Washington, Theater auf drei Kontinenten, Regierungsgebäude von Brunei bis Sofia, Paläste und Schlösser in Kuala Lumpur, Manila, Mexiko, Kabul, Addis Abeba oder Kathmandu sowie Hotels, Restaurants, sakrale und private Bauten. Und das ist nur eine kleine Auswahl.
Die betrieblichen Archive sind im Bezug auf ihr Ausmaß kaum vorstellbar und bringen immer wieder Schätze zum Vorschein, wie die Korrespondenz mit dem in seinen Verdikten oftmals paradoxen, kritisch-satirischen Architekten-Genie Adolf Loos aus dem Jahr 1931. Die Zusammenarbeit mit namhaften Architekten, bildenden Künstlerinnen und Künstlern sowie Designern – die Innovation als solches – hat bei Lobmeyr Tradition. Die Kooperation von Adolf Loos und dem damaligen Firmenleiter Stefan Rath begann allerdings nicht völlig reibungsfrei. Als Antwort auf eine sehr rohe Skizze schlichter Trinkgläser schrieb Rath: „Gestern abends erhielt ich ihre Entwürfe für Wasser-, Bier-, Champagner-, Wein-, Likörgläser, ohne weitere Mitteilung. (…) Nun scheint mir hier doch eine Art Mißverständnis vorzuliegen, da ich mir nicht bewußt bin, Sie, hochgeehrter Architekt um Entwürfe für ein solches Service gebeten zu haben. Sicher aber in der letzten Zeit kein Schreiben an Sie gerichtet habe.“ Wie es scheint, dürfte sich Loos einfach selbst eingeladen haben. „Kunst an den Gebrauchsgegenstand zu verschwenden, ist Unkultur.“ postulierte er 1924. Vorbilder fand er in der Kultur des antiken Griechenland (bzw. dem, was man damals noch darunter zu verstehen glaubte) und seinem persönlichen gelobten Land: „Ich war so glücklich, drei Jahre in Amerika zu leben und westliche Kulturformen kennen zu lernen. Da ich von deren Überlegenheit überzeugt bin, halte ich es für charakterlos, auf das österreichische Niveau – subjektiv gesprochen – herabzusteigen. Das führt zu Kämpfen. Und in diesen Kämpfen stehe ich einsam da.“ Von da an predigte er Vernunft, Wahrhaftigkeit, Hygiene, Zeitersparnis und anständige Lebensführung gegen die Vorherrschaft seines Erzfeindes, der Kultur des Fin de Siècle. Stefan Rath ließ Loos in dem erwähnten Brief selbstverständlich nicht abblitzen, und trotz der Schwierigkeiten in der Folge der Weltwirtschaftskrise wurde die Diskussion über die Ausführung dessen, was als Trinkservice No.248 in die Designgeschichte eingehen sollte, immer konkreter. Nachdem in der Originalskizze bereits der Steindl- oder Napoleonschliff (einzeln per Hand am Glasboden eingeschliffene, einander kreuzende Strahlen) eingezeichnet war, hatte Loos am 22. Mai 1931 plötzlich einen neuen Vorschlag. Er wünsche gefärbtes Überfangglas mit eingeschliffenen kleinen Motiven: „Schmetterling, Fliege, menschliche nackte Figur, kleine Tiere usw.“ Das verwundert, gelinde gesagt. Auch Leonid Rath überlegte zwischendurch, ob es sich um einen Fehler oder gar einen Scherz gehandelt haben könnte, und seinem Urgroßvater schien das alles gar nicht geheuer gewesen zu sein, er redete dem Architekten die Idee aus und ermöglichte die Geburtsstunde des in seiner Qualität unerreichten Vorläufers der klassischen Industriegläser, den heute viele der großen Architekten dieser Welt zu Hause haben, so Rath. Mehr zur Entstehungsgeschichte des zwölfteiligen Trinkservice inklusive originaler Zeichnungen und Dokumente verspricht das Ende dieses Jahres im Metro-Verlag erscheinende Buch „Änderungen sind der Zeit vorbehalten“.
Damit war dem Innovationsgeist von Lobmeyr allerdings noch nicht Genüge getan. Die Überraschung des Briefes wich dem Wunsch nach Umsetzung, und die Suche nach einem starken Grafiker, der das Thema radikal übersetzen könnte, führte Rath schnell zu Stefan Sagmeister. Dessen Credo: „Design that needs guts from the creator and still carries the ghost of these guts in the final execution.“ Und wenn jemand the guts, los cojones, die Eier, oder einfach den Mut hat, den manche Projekte erfordern, dann dürfte das Sagmeister sein. Sein Name steht für intelligentes Design, oft mit Witz und manchmal sogar dem (nicht immer schmerzfreien) Einsatz des eigenen Körpers. Der gebürtige Bregenzer studierte in Wien und in New York und gründete ebendort 1993 sein Designstudio Sagmeister Inc. Anfangs fokussiert auf CD-Artwork (gekrönt von zwei Grammys), arbeiten er und sein kleines Team – ein verbindendes Ethos zwischen ihm und Lobmeyr – an vielfältigen Konzepten für Unternehmen, kulturelle, soziale und eigene Projekte. Die Querverbindungen und Gemeinsamkeiten von Lobmeyr, Loos und Sagmeister häufen sich bei näherer Betrachtung. Nicht nur der kulturelle Austausch zwischen Österreich und den USA spielt eine Rolle, vor allem sind es das Augenmerk und die Wertschätzung des Handwerks und dessen (kritischer) Erneuerung, die immer wieder zum Vorschein kommen. Aus der Briefzeile von Loos entstand das Konzept der „seven deadly sins / seven heavenly virtues“. „Die sieben Sünden und Tugenden erschienen uns hier als ideales Thema, da sie nicht nur die Darstellung von Tier und der menschlichen Figur ermöglichen, aber darüberhinaus beim Essen und Trinken eine Diskussion über Gut und Böse entstehen kann. Das ist gut“, meint Sagmeister. Auf schwarzem bzw. weißem Untergrund sind auf den im Zuge der Vienna Design Week präsentierten Gläsern (in ihrer Einfachheit und Wörtlichkeit raffinierte) Bilder gemalt, die die kardinalen Sünden und Tugenden symbolisieren. „Eine komplett freie Interpretation hätte mit großer Wahrscheinlichkeit die Verwendung von Text notwendig gemacht“, was Sagmeister unpassend und problematisch erschien. Loos hätte wohl seine Freude, bestimmt aber seinen Spaß an der NeuInterpretation seines Klassikers, und Rath und Sagmeister haben in ihrer bevorzugten Sünde eine letzte Gemeinsamkeit gefunden, oder, um es mit Sagmeister zu formulieren: „Es ist immer schön, Brüste zu sehen.“