FB: brand eins ist heute ein vielfach ausgezeichnetes Magazin mit einer verkauften Auflage von fast 100.000 Stück, das sowohl inhaltlich als auch visuell eine wahrscheinlich einzigartige Reputation hat. Wie darf man sich die Anfangszeit vorstellen?
AU: Es gibt ja das Gerücht, dass Sie in einem ersten Anlauf sogar gescheitert sind…
Das kommt auf den Blickwinkel an. Ich war in der Chefredaktion des manager magazins und hatte die Idee zu einem neuen Wirtschaftsmagazin, das später den Namen Econy bekam. Das habe ich dem Spiegel-Verlag im November 1997 vorgestellt. Wider Erwarten fand das die Verlagsleitung interessant und hat es relativ schnell, im April 98, auf den Markt gebracht. Die Fachpresse lobte damals ‚toll, endlich mal was ganz anderes‘. Nach der zweiten Ausgabe fand der Verlag es zwar auch immer noch ganz toll, aber weil die Verkaufserwartungen nicht erfüllt worden waren, wurde es eingestellt. Wir verkauften 25.000 Exemplare am Kiosk – was eigentlich sehr gut für ein ziemlich erklärungsbedürftiges Magazin ist. Zudem waren die Anzeigenbuchungen sensationell, wir hatten in der ersten Ausgabe 80 bezahlte Anzeigenseiten. Und als wir eingestellt wurden, lagen wir mit den Buchungen der nächsten Ausgaben bereits eine Million Mark über Plan. Aber für den Verlag war das offenbar zu wenig.
Wir sahen das anders und beschlossen: Dann machen wir halt allein weiter. Wir kauften dem Spiegel-Verlag die Rechte ab und brachten Econy im schnell gegründeten Eigenverlag heraus. Aber nach zwei Ausgaben waren wir pleite, denn die 80 Anzeigenseiten waren natürlich Geschichte: Im Anzeigenmarkt fehlte nach der Einstellung das Vertrauen. Deshalb mussten wir an einen mittelständischen Verlag verkaufen, mit dem wir uns dann vier Ausgaben lang missverstanden haben. Nach acht harten Monaten wollte uns der Käufer los werden – er glaubte, er könne Econy auch ohne uns, was aber aufgrund der Verträge nicht ganz so einfach war. Am Ende haben wir uns geeinigt: Sie bekamen Econy – im Gegenzug wurde meine Konkurrenzausschlussklausel aufgehoben.
Sind wir mit Econy gescheitert? Ich habe das nie so empfunden. Immerhin hatte Econy, als wir gingen, um die 70.000 Auflage – und der Verlag sah durchaus eine ökonomische Zukunft, sonst hätte er nicht so darum gekämpft. Was aber in punkto Magazinkultur meine wichtigste Erfahrung war: Die Leser haben sehr schnell gemerkt, dass wir ausgestiegen waren. Die Identität der Redaktionsmannschaft hatte sich verändert, und das hat der Leser gespürt. Das fand ich sehr ermutigend: Dieses Wissen, dass es eben doch einen Unterschied ausmacht…
FB: Was war der ideelle Sockel, auf dem man dann brand eins aufgebaut hat?
Die Idee von Econy war: Wir wenden den Scheinwerfer von den großen Unternehmen auf die gerade neu entstehenden kleinen Software-, Biotech- und andere Wissensunternehmen und geben ihnen dadurch ein Forum. Ein Jahr später aber war der neue Markt schon völlig überhitzt, und wir hatten das Gefühl: Die brauchen keinen Scheinwerfer mehr. Die brauchen eher einen kritischen Begleiter. Für brand eins gab es dann drei Grundbausteine. Erstens: Unser Thema ist Veränderung. Uns interessiert nicht der Status quo – es sei denn, aus ihm lässt sich etwas für die Veränderung lernen. Zweitens: Wir wollen Wirtschaft verstehen und nicht grundsätzlich verurteilen. Wir sind nicht angetreten, um einem Vorstandsvorsitzenden via Interview zu beweisen, dass wir sein Unternehmen besser leiten könnten. Wir wollen verstehen, warum er es so leitet, wie er es eben tut. Drittens: Wirtschaft ist Teil der Gesellschaft, sie beeinflusst zum Beispiel Kultur und Politik, wird aber auch von Politik und Kultur beeinflusst. Und Wirtschaft interessiert uns deshalb am meisten, weil sie in diesem Veränderungsprozess, in dem wir uns gerade befinden, die große treibende Kraft ist. Die Politik ist dafür in aller Regel zu langsam. Und schließlich haben wir uns noch vorgenommen, unsere Geschichten aus Perspektiven zu erzählen, die für Experten und Laien gleichermaßen spannend sind.
AU: Hatten Sie von Anfang an Kaufleute in Ihrem Team?
Nein. Wir hatten, als wir Econy gekauft haben, gar keine Verlagsleute. Eine Freundin, die bis dahin die Redaktion organisiert und die Fotoredaktion übernommen hatte, war zuvor Trainee in einem Ölkonzern – sie hat dann die Verlagsgeschäfte geleitet. Sehr familiär, nach dem Motto: Gib nur aus, was du hast, und ansonsten verlasse dich auf deinen gesunden Menschenverstand. Damit ist man in der Verlagsszene schon mal weit vorne. Denn aufgrund dieses Hausfrauenverstandes haben wir eine Menge anders gemacht. Bei uns gab es zum Beispiel nie Abogeschenke –wir konnten uns das schlicht nicht leisten. Und als wir es uns hätten leisten können, haben wir gesagt: Die ersten 10.000 Leser, die jetzt schon abonniert haben, die werden zu Recht beleidigt sein, wenn wir den nächsten 10.000 etwas schenken. So gab es eine Menge, was wir anders angepackt haben.
AU: Wie lief der Start von brand eins?
Der Anfang war weit mühsamer als erhofft. Über den Kampf um Econy war eine Menge geschrieben worden, und wir haben uns natürlich vorgestellt, dass wir einen Teil dieses „Ruhms“ mitnehmen könnten. Das funktionierte aber leider nicht: Wir durften keine Econy-Leser anschreiben, und im Grunde nicht einmal erwähnen, dass wir mal Econy gemacht haben. Wir haben einmal eine Anzeige geschaltet: Das Team von Econy macht jetzt brand eins. Da hatten wir sofort eine Einstweilige Verfügung im Haus.
Es hat einige Zeit gedauert, bis uns die inzwischen enttäuschten Econy-Leser gefunden haben – dann aber haben sie schnell abonniert. Denn viele glaubten, wir seien eingestellt worden, weil sie nicht sofort ein Abo bestellt hatten. Es gab also so ein Grundgefühl: ‚Wir müssen jetzt ganz schnell abonnieren, damit die das auf jeden Fall schaffen!‘
FB: Wissen Sie eigentlich, wer ihre Leser sind? Im wirtschaftspublizistischen Bereich hat man ja noch das Klischee vom Manager, der in der Business-Class sein Wirtschaftsmagazin liest. Wer sind die Leute, die brand eins lesen?
Ich glaube, dass wir ein ganz gutes Gefühl für unsere Leser haben. brand eins-Leser zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass sie extrem aktiv sind, was auch die Kommunikationsanforderungen an uns erhöht. Wenn wir Geschichten über irgendein Unternehmen bringen, sind die oft fassungslos, wie viel Resonanz das auslöst.
Ich muss ehrlich sagen, dass mich demografische Daten weniger interessieren – wir haben unsere Leserschaft immer nach ihrer Haltung definiert. Und danach sind unsere Leser Menschen, die offen sind, die vor Veränderungen nicht erschrecken und wissen, was sie wollen. Menschen, die wie wir grundsätzlich die Hoffnung haben, dass Veränderung auch zu etwas Besserem führen kann und dass Wirtschaft nicht per Definition schlecht ist.
Unsere Leser wissen aber auch, dass Veränderung auch einmal harte Zeiten mit sich bringen kann; deshalb haben sie sehr positiv – und auch sehr verantwortungsbewusst –auf unser Solidar-Abo reagiert, das Abonnenten, die, egal aus welchem Grund, in eine schwierige finanzielle Lage kommen, für ein Jahr ihr brand eins sichert.
FB: Ich hätte getippt, dass Sie – auch wegen der grafischen Aufmachung – viele Leser in der Kreativwirtschaft haben.
Die Frage ist, wie Sie Kreativwirtschaft interpretieren. Wir haben einmal einen Schwerpunkt zur Kreativwirtschaft gemacht, in dem wir versucht haben, den Rahmen abzustecken, der weit größer ist als man gemeinhin denkt. Denn „Kreativwirtschaft“ ist nicht nur Kunst, Kultur, Design. Kreativwirtschaft bedeutet in erster Linie, dass man mit Ideen sein Geld verdient, und zwar auch in der Produktion. So betrachtet haben wir sehr viele Leser aus der Kreativwirtschaft – versteht man darunter nur Kunst, Kultur und Design, ist das sicher keine Mehrheit mehr. Denn wenn man die Grundidee von brand eins mag, freut man sich in erster Linie über die unterschiedlichen Interpretationen und Geschichten. Wer nur an der Gestaltung interessiert ist und die Texte als Grauwert betrachtet, wird schnell zu anderen Magazinen wechseln.
AU: War der monothematische Zugang von Anfang an Teil des Konzepts?
Wir haben damit nach ungefähr einem Jahr angefangen. Wir hatten vorher bei Econy schon einmal ein Schwerpunktkonzept, das uns aber der Verlag aufs Auge gedrückt hat, um darüber Anzeigen zu verkaufen. Das fanden wir journalistisch fragwürdig und haben deshalb all unsere Kreativität darauf verwandt, ein anzeigenträchtiges Thema wie etwa „Mode“ so zu interpretieren, dass es dem Leser gefiel – auch wenn die Anzeigenkollegen sich etwas ganz Anderes erhofft hatten.
Dabei haben wir paradoxerweise gelernt, dass wir mit einem Themenschwerpunkt sehr kreativ umgehen können. Bei brand eins haben wir dann trotzdem erst einmal gar keine Schwerpunkte gemacht, weil wir uns vor allem über die neue Freiheit gefreut haben. Aber nach etwa einem Jahr haben wir dann festgestellt, dass es eigentlich ganz schön ist, wenn man sich auf ein Oberthema konzentrieren muss. Es ist wie eine Assoziationshilfe, eine Kreativitätsübung.
AU: Besteht dabei nicht die Gefahr, dass man sich wiederholt?
Ganz bestimmt. Das geht jedem Magazin so. Wir werden nicht zehn Jahre lang immer wieder ganz neue Schwerpunktthemen erfinden. Und wir haben keine Angst davor, uns mit einem Thema nochmal zu beschäftigen – vorausgesetzt, wir haben das Gefühl, dass wir es weiterdrehen können. Manche Schwerpunkte haben wir auch so abgehandelt, dass wir damit für lange Zeit durch sind. Wir haben zum Beispiel mal einen Schwerpunkt gemacht: „Bitte nicht helfen, das können wir selbst!“. Da ging es darum, die Doppelbödigkeit des ganzen Hilfsapparates zu beleuchten. Und solange wir dazu keine neue These haben, wäre alles nur eine Wiederholung – das hat wenig Sinn. Andere Themen sind dagegen latent immer wieder präsent und auch unter neue Thesen zu fassen: Führung, Management, Marketing.
FB: Sie pflegen ja ein sehr hohes journalistisches Ethos und lassen Ihre Autoren sogar ein eigenes Statut unterzeichnen. Inwiefern beeinflusst das die Machart des Magazins?
Für brand eins haben wir von Anfang an ein Autorenbriefing entwickelt, das allerdings ursprünglich ohne „Ethos-teil“ auskam. Das erste Ziel war, den freien Kollegen eine faire Basis zu bieten. Drei Jahre später erzählte uns jemand, dass Unternehmen immer häufiger freie Autoren bezahlten, damit sie Magazinen Geschichten über eben dieses Unternehmen anbieten – wir haben das glücklicherweise nie erlebt. Aber wir arbeiten mit so vielen, auch neuen, freien Autoren zusammen, dass wir die nicht jedesmal erst durchleuchten können. Und weil Glaubwürdigkeit unser höchstes Gut ist, haben wir den Ethosteil hinzugefügt. Darin steht auch, dass wir uns bei unseren Lesern online entschuldigen und den Namen des Autors veröffentlichen, wenn wir von solchen Praktiken erfahren. Das hat etwas von einem Pranger und ist nicht freundlich – aber es ist auch nicht freundlich, so etwas zu tun. Finden Sie das überzogen?
FB: Gar nicht. Wir haben diese Idee geklaut und auch für unsere Redaktion so ein Briefing formuliert. Das trägt zum ehrlichen und offenen Umgang miteinander bei.
Auch freie Autoren fühlen sich gut in dieser Struktur. Das ist einer von vielen Bausteinen, um gute Beziehungen zwischen autonomen Partnern aufzubauen. Und wir brauchen selbstbewusste Autoren.
AU: Woher rührt denn die große Begeisterung für Ihr Magazin? Ist das die Sehnsucht nach der Veränderbarkeit der Wirtschaft?
Ist das nur eine Sehnsucht? Ich denke, viele Menschen verändern ja tatsächlich etwas. Die Wirtschaftswelt besteht nicht nur aus gierigen Managern. Der weit größere Teil arbeitet verantwortungsbewusst, mit Blick auf die Zukunft, nicht nur auf den nächsten Quartalsbericht. Genau denen schenken wir Aufmerksamkeit.
Als wir angefangen haben, definierten wir als unser Ziel: Wir wollen zeigen, dass Wirtschaft genauso viele Emotionen hat wie Sport. Denn hier wie dort hat man Verlierer, Menschen, die hinfallen und wieder aufstehen, die das dritte, vierte, fünfte Mal neu anfangen. Große Siege, kleine Niederlagen. Große Niederlagen, kleine Siege.
Lange Zeit ist Wirtschaft als eine Geheimwissenschaft betrachtet worden. Aber das ist nicht so. Wir stecken alle drin, ob wir wollen oder nicht. Und wer sich darauf einlässt, stellt fest: Erstens, es ist kein Hexenwerk. Und zweitens, es ist sehr viel spannender als gedacht. Deutlich zu machen, dass so etwas wie Eigenverantwortung – eine Idee zu haben und sie umzusetzen – einfach auch ein gutes Leben sein kann, das hat uns getrieben und treibt auch viele unserer Leser.
AU: Mir geht es bei der Lektüre ganz oft so, dass ich mir denke: Aha, gewisse Dinge sind doch machbar. Man fühlt sich danach besser.
Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Dazu kommt: Die Leser spüren auch, dass wir nicht nur drüber schreiben, sondern genau das machen. Wir haben für brand eins gekämpft, und es ist noch immer ein großer Spaß, dieses Heft jeden Monat neu zu denken. Wir identifizieren uns mit unserer Arbeit – und sind deshalb auch eine Redaktion, die Reibungsflächen anbietet. Zum Beispiel, wenn wir den Standpunkt vertreten, dass Gentechnik nicht per se böse ist, sondern dass man erst einmal sehen muss, wer was damit macht. Da haben wir dann natürlich die ganze Front der Gentechnik-Gegner gegen uns.
Aber oft haben wir auch eine Vermittlerposition zwischen kontroversen Standpunkten. Sicher gibt es Menschen, die uns für neoliberale Agenten halten – oft, ohne sich genau mit unserer Position auseinandergesetzt zu haben. Denn tatsächlich vertreten wir eher den Weg dazwischen. Wir sagen nicht, dass der Markt alles und es völlig egal ist, ob Menschen auf der Strecke bleiben. Aber wir sagen genauso wenig, dass der Kapitalismus grundsätzlich Teufelswerk ist und wir am besten in eine kleine, sozialistische Kuschelwelt zurückkehren.
Was ich immer wieder bemerkenswert finde. Dass unsere Leser, wenn wir – etwa wie beim Grundeinkommen – ein Thema setzen, ernsthaft bereit sind, sich auf unsere Argumente einzulassen. Nicht unkritisch, oft lange per Leserbrief diskutierend, aber offen. Vor Jahren wollten wir mal in einer Leser-Umfrage wissen, ob brand eins schon mal die eigene Meinung verändert hat. Und knapp 60 Prozent haben das bejaht. Ich fand das erstaunlich und ein großes Kompliment, weil es von Glaubwürdigkeit zeugt.
FB: Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu den Wirtschaftstreibenden?
Wir haben sicher eine andere Positionierung als zum Beispiel das manager magazin. Wir haben nicht den Ruf, ständig auf der Suche nach Missmanagement zu sein. Das öffnet uns Türen zum Beispiel bei mittelständischen Unternehmen, die sonst jeden Journalisten mit Waffengewalt vom Hof fernhalten würden. Natürlich sind diese Mittelständler dann manchmal ein bisschen fassungslos, dass sie vorab keinen Text zu sehen kriegen und wir gründlich recherchieren, auch außerhalb des Unternehmens. Das ist für viele der eher Presse-abstinenten Unternehmer ungewohnt, aber selbst wenn sie mit dem Ergebnis nicht immer einverstanden sind: Sie haben selten das Gefühl, unfair behandelt worden zu sein.
Unsere Herangehensweise ist für den deutschen Journalismus eher untypisch. Denn da gibt es im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Entweder schreibt man kritische, also investigative Geschichten – dann hat man sein Schwein und schlachtet es. Oder man schreibt positive, also freundliche Geschichten – dann ist alles strahlend weiß. Wir haben uns vorgenommen, vom Schwarz-Weiß zu den Grautönen zu kommen. Denn wenn jemand ein guter Unternehmer ist, muss er nicht zwangsläufig ein guter Vater, ein guter Ehemann oder ein guter Autofahrer sein.
Manchmal wirft man uns vor, dass wir zu freundlich sind. Dabei gibt in unserem Heft deutlich mehr Insolvente und Gescheiterte als in anderen Blättern. Aber für uns ist das Scheitern eben nicht das Ende von allem, sondern ein Schritt auf einem langen Weg.
Vielleicht hat das mit unserer eigenen Geschichte zu tun. Wenn man selbst fünf Jahre am Rande des Abgrunds getanzt ist, weiß man, dass es niemanden weiter bringt, nur über die Schlechtigkeit der Welt zu reden.
FB: Sie haben mir erzählt, dass der Kiosk-Verkauf von brand eins nach wie vor ansteigt. Trifft hier das Paradoxon zu, dass sich die Krise für Sie positiv auswirkt, weil Wirtschaft plötzlich für jeden Relevanz hat?
Das kann man jetzt noch nicht sagen. Wir wachsen zwar im Vertrieb ungebrochen weiter, aber wir spüren wie alle anderen den Anzeigen-Rückgang. Immerhin hat uns die Krise nicht in unseren Grundfesten erschüttert. Einige unserer Leser schrieben uns, die Krise müsste uns eigentlich in die Tasche spielen, weil wir nichts zurücknehmen müssen. Wir haben nie Aktien-Tipps gegeben, wir haben nie gesagt, die Börse sei das Allheilmittel. Wir hatten sogar vor zweieinhalb Jahren einen Schwerpunkt: „Kapitalismus – mehr Geld als Verstand“, der viel von dem vorweggenommen hat, was jetzt Thema ist. Wir haben uns damals gefragt, wie lange es gut gehen kann, wenn sich Realwirtschaft und Finanzmarkt immer weiter auseinander entwickeln. Wir haben Werte wie Vertrauen eingefordert. Und zwar nicht, weil wir naive Gutmenschen sind. Dafür gibt es ein höchst rationales Argument: In einer Wirtschaft, die vor allem auf Ideen und Wissen baut, kommen Sie ohne Vertrauen keinen Schritt weiter.
Und was die Relevanz angeht: Wir selbst fanden, was wir da tun, von Anfang an wichtig – aber damit standen wir noch ziemlich allein. Nun spüren wir, dass sich das ein bisschen geändert hat. Dass uns mehr Leute kennen, dass wir plötzlich den Aufkleber „erfolgreich“ verpasst bekommen. Das ist schön, aber es verleitet uns nicht dazu, die Bodenhaftung zu verlieren. Dazu wissen wir zu gut, wie schnell Erfolg auch wieder vorbei sein kann. Deshalb spekulieren wir auch nicht darüber, ob unser Wachstum nun schneller geht, ob wir es nun geschafft haben. Immerhin: Die Zahlen sprechen dafür, dass es zumindest nicht langsamer geht.
FB: Sie haben einen sehr elaborierten Zugang zum Thema Wirtschaft. Sind Sie in Zeiten wie diesen nicht trotzdem manchmal fassungslos?
Fassungslos würde ich nicht sagen. Dass irgendetwas passieren würde, haben wir erwartet. Wir beschäftigen uns nun seit gut zehn Jahren mit der Wandlung von der Industriegesellschaft in eine neue Form der Ökonomie – und mit diesem etwas breiteren Blick sieht selbst die aktuelle Krise deutlich weniger aufregend aus, sondern wird zu einer Etappe auf einem langen Weg. Dass mit der ökonomischen Veränderung auch gesellschaftliche Veränderungen verbunden sind, ist logisch. Dass es zu Brüchen, auch zu herben Einschnitten kommen kann, auch. Die interessante Frage aber ist, ob wir klug genug sind, diesen Wandel zu sehen, zu akzeptieren und so zu begleiten, dass die Brüche abgemildert werden.
Was ganz sicher nicht hilft, ist Panik – aber genau dafür scheinen viele Menschen eine ganz besondere Leidenschaft zu hegen. Wo immer sie eine Fehlentwicklung entdecken, rufen sie: Achtung! Gefahr! Wenn wir jetzt nichts ändern, sind wir morgen alle tot! Wir halten nicht viel von solchen Katastrophenszenarien, auch nicht in der aktuellen Situation. Wir suchen lieber nach Auswegen, sehen, was zu tun ist, wo genau jetzt Chancen stecken könnten. Das scheint uns hilfreicher, als das nahende Ende zu prophezeien.
AU: Wie geht’s Ihnen mit Managern, die auf ihre Millionenabfertigungen nicht verzichten?
Ich finde das genauso unappetitlich wie jeder andere auch. Aber ich halte es bei privaten Betrieben für eine begrenzt gute Idee, die Gehaltsfrage politisch regeln zu wollen. Im Grunde genommen wäre das eine Schmälerung der Eigentumsrechte. Ein Unternehmen wie Porsche gehört nun mal Privatleuten. Und wenn die ihrem Top-Manager Wiedeking soviel Geld bezahlen wollen, weil der ihr Unternehmen vor der Insolvenz bewahrt und für sie eine Menge mehr Geld verdient hat, dann kann die Bundesregierung nicht sagen: Das wollen wir nicht, Manager dürfen nur 500.000 Euro verdienen. Das ist albern.
AU: Gab es schon einmal Begehrlichkeiten von großen Verlagen, brand eins zu übernehmen?
Naja, als es uns schlecht ging, da hätten uns einige gerne für einen Pappenstiel eingekauft. Denn Großverlage setzen zwar für ihre eigenen Gewächse unfassbare Millionenbeträge in den Sand – aber wenn sie dann ein Magazin kaufen, wollen sie gern ein Schnäppchen machen. Das ist eine eigene Mentalität. Die Angebote, die wir damals bekamen, waren so lächerlich, dass unsere Aktionäre gesagt haben: Nein, dann gehen wir lieber selbst noch eine Runde weiter. Und inzwischen sind sie ganz froh, dass brand eins unabhängig geblieben ist.
AU: Wie weit verfolgen Sie denn diesen neuen Magazinmarkt, der ja gerade in Deutschland sehr lebendig ist?
Wir verfolgen das schon. Manche Jungverleger kennen wir, weil wir oft gefragt werden, ob wir unsere Erfahrung mit ihnen teilen. Aber so ganz einfach ist es nicht, sich im Magazinmarkt zu etablieren. Manche Nachwuchsverleger gehen da schon… sagen wir es so: sehr ambitioniert ran. Grundsätzlich ist der Magazinmarkt in Deutschland noch immer ein überbesetzter Markt. Und viele der Magazine, die im Moment eingestellt werden, haben nur so lange gelebt, weil man sie sich in den fetten Verlagsjahren eben leisten konnte.
AU: Gerade in Anbetracht der vielen gescheiterten Magazine: Was hat das hundertste Heft über die bloße Zahl hinaus für Sie bedeutet?
Das war schon ein Moment, wo wir uns vor unsere Titel-Wand gestellt und gefragt haben: Hättet Ihr das gedacht? Für uns war brand hundert ein kleiner Gipfel, auf dem wir uns zumindest intern gefeiert haben. Wir werden jetzt im Oktober zehn Jahre alt, aber im Grunde war die 100. Ausgabe unser Jubiläum. Und ein klein wenig sorgen wir uns vor der nächsten Etappe: denn brand hundertfünzig klingt eher schräg – und außerdem passt es nicht mehr in die Titelzeile.
AU: Könnten Sie sich jetzt vorstellen, in punkto Magazin noch mal ganz etwas anderes zu machen?
Wir haben schon noch ein paar Ideen, aber uns treibt eigentlich nicht so sehr der Wunsch, ein Verlag wie einst die Milchstraße mit vielen Objekten zu werden. Uns treibt eher der Wille, dieses brand eins immer besser zu machen. Da sind wir noch lange nicht am Ende. Und da passiert auch immer wieder was, was uns in Bewegung hält, wie jetzt die aktuelle Krise.
FB: Gab es je einen Moment, in dem Sie sich durch die Wirtschaftsthematik eingeschränkt gefühlt haben?
Nein, weil wir Wirtschaft als ein sehr breites Thema verstehen. Im Grunde kann man darunter nahezu jedes Thema, das uns interessiert, aufbereiten. Man ist eben nur gezwungen, eine Runde länger darüber nachzudenken, wo der ökonomische, der besondere brand eins-Aspekt liegen könnte. Wirtschaft ist die Leitlinie, die uns auch dazu zwingt, konzentriert zu bleiben. Denn nur schöne Geschichten machen noch kein Magazin. Man braucht eine Idee, eine Leitplanke, die einen auf der Bahn hält. Sonst landet man im Graben.