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Ohne Filter

Text: Günther Bus Schweiger | Fotos: Press
Nick Cave and the Bad Seeds, Foto: Sam Barker

Nick Cave Hatte es sich nach dem Sturm und Drang der Jugendjahre gemütlich eingerichtet. Er war mit seinen Songs zum Begleiter mehrerer Generationen geworden, die Liebe, Romantik und Schmerz über seine Texte definierten. Er hatte seine eigenen Dämonen im Griff und die Frau getroffen, die sein Leben und seine Liebe teilte. Mit Brighton hatte er ein Städtchen entdeckt, das ihn in Ruhe ließ und seiner Familie einen gemeinsamen Ort gab. Und er hatte eine strenge Arbeitsweise gefunden, die seine Kreativität nie versiegen ließ. In seinem Büro arbeitete Cave sich am Klavier an seinen Lebensthemen Liebe, Verlust, Hoffnung, Mord, Totschlag und Erlösung ab. An die Stelle des treuen musikalischen Begleiters und Bändigers der jungen Bad Seeds, Mick Harvey, war schon seit geraumer Zeit Warren Ellis getreten, der als musikalische rechte Hand die Visionen Caves umsetzte und als künstlerisches Gegenüber ein Glücksfall war und ist (die beiden steuerten auch die Filmmusik zu Hell or High Water bei, siehe Seite 38). Caves Alben wurden stets sehnsüchtig erwartet und ernteten beinahe immer euphorische Kritiken. Soundrevolutionen fanden nie statt, aber er hatte mit den Bad Seeds eine Band um sich geschart, die ihm nicht nur blind folgte, sondern auch in ihrer Abgeklärtheit und jahrelangen Routine genau wusste, was zu spielen war. Es war ein gutes, verlässliches und künstlerisch höchst erfolgreiches Standing, dass Cave sich hart erarbeitet hatte. Er konnte zurückschauen auf Alben wie „The Firstborn Is Dead“, „The Good Son“ oder „No More Shall We Part“ und auf Songs wie „Into Your Arms“, „The Weeping Song“, „God is in the House“ oder „Oh Deanna“.

Und dann passierte das Undenkbare: Sein 15-jähriger Sohn Arthur stürzte im Juli 2015 von den Klippen bei Brighton und starb. Das Grauen war in das Leben von Cave und seiner Familie getreten, und es gab keinen Ausweg. Der Schicksalsschlag bestimmte die Songs, die im September auf „Skeleton Tree“ erschienen, ein Album, das einen Songschreiber und Menschen zeigte, der schmerzvoll mit sich rang und verzweifelt darum kämpfte, den letzten Rest Hoffnung nicht zu verlieren. Caves Stimme brach, den souveränen Dompteur der Gefühle gab es auf einmal nicht mehr. „Skeleton Tree“ ist ein Meisterwerk, das den Kampf einer Seele um Sinn und Hoffnung zeigt und den Umgang mit dem absoluten Schmerz und der absoluten Leere in einer Weise thematisiert, die den Zuhörer verstört und irritiert, aber letztendlich doch den Hut ziehen lässt.

Was Cave geritten hat, diese Aufnahmen von einem Filmteam rund um den neuseeländischen Spielfilmregisseur Andrew Dominik (u. a Killing Them Softly) dokumentieren zu lassen, bleibt ein Geheimnis. Nach der Uraufführung des Films bei den Filmfestspielen von Venedig wurde One More Time with Feeling einen Tag nach der Veröffentlichung von „Skeleton Tree“ einmalig in 800 Kinos weltweit gezeigt und erscheint nun als DVD.

Dominik wählt über weite Strecken eine Film-im-Film-Dramaturgie, die von Interviewszenen während einer Taxifahrt unterbrochen wird. Dem Zuschauer wird in der ersten Hälfte vor allem die gewohnte Selbstinszenierung des Routiniers Cave in naheliegendem Schwarz-weiß präsentiert; ob hier wirklich die Aufnahmen dokumentiert wurden, oder eine filmgerechte Nachstellung im abgewetzten Chic des Studios geboten wird, bleibt ein Rätsel, das nicht gelöst wird. Die Konzentration auf die um Cave kreisende Kamera lässt dem Zuschauer viel Spielraum bei der Beantwortung dieser Frage. Genau dann, wenn alles klar erscheint und man zwar die Verzweiflung der Songs fühlt, aber von der Coolness und Professionalität des Hauptdarstellers einigermaßen überrascht ist, sieht man plötzlich Cave mit seiner Frau Suzie im gemeinsamen Haus sitzen und über den Verlust reden. Der Name Arthur fällt zum ersten Mal, und plötzlich sitzt hier nicht der große Songwriter und Performer, sondern ein verzweifeltes Elternpaar, das um Worte ringt und sich schutzlos der Kamera ausliefert. Es bleibt dem Beobachter überlassen, wie er auf die Privatheit des Moments reagiert – auf jeden Fall ist diese Szene aber eine weitere Ausleuchtung der Songs auf „Skeleton Tree“. One More Time with Feeling wird so der wohl zwiespältigste, aber natürlich auch menschlichste Film mit und über Nick Cave.

Zeitgleich erscheint mit „Lovely Creatures“ auch der erste Karriere-rückblick, den der Songwriter mit seinem langjährigen Freund und nunmehrigen Ex-Bad-Seed Mick Harvey zusammengestellt hat. Ursprünglich schon für das Jahr 2013 geplant, verschlüsselt Cave den Grund so: „Es war wichtig und notwendig, ,Skeleton Tree‘ zu machen. ,Lovely Creatures‘ hat für eine Zeit seine Funktion in der Erzählung der Bad Seeds verloren, aber jetzt ist es an der Zeit, die Leistungen und Verdienste der Bad Seeds anzuerkennen und zu feiern.“ Auf Songs aus den Seitenarmen des reichen Werks verzichten die beiden Verantwortlichen und konzentrieren sich auf die Hits und die große Erzählung der Band von 1984 bis 2014. Der „Ship Song“ darf natürlich ebensowenig fehlen wie „Red Right Hand“ oder „Straight To You“. Kann man den Verantwortlichen vorwerfen, dass sie ihre Geschichte anhand der besten Songs erzählen wollen? Wohl kaum. So gibt es für Fans zwar nichts Neues zu entdecken, aber man kann ein Werk bestaunen, das von Anfang an keine Schwächen kannte.

 

DVD / Blu-ray: One More Time with Feeling (auch in 3D) Bad Seed Ltd / Rough Trade
CD: Lovely Creatures – The Best of Nick Cave and the Bad Seeds 1984–2014 Mute/ BMG
Live: Nick Cave and the Bad Seeds
26. Oktober 2017, Prag, O2 Arena
01. November 2017, Stadthalle Wien

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