1981, Dallas, Fort Worth, Texas: Der ältere Herr mit der Aura des Gentleman nimmt die lederne Brieftasche in Empfang, bedankt sich höflich und verlässt die Bank; ein wenig verunsichert blickt ihm die Angestellte hinterher, die ihn bedient hat, beziehungsweise: Die gerade von ihm überfallen wurde. Der Mann ist nämlich gar kein Gentleman, er ist ein Bankräuber, und der Knopf in seinem Ohr ist auch kein Hörgerät, sondern dient ihm dazu, den Polizeifunk zu belauschen. Solcherart im Vorteil entkommt er den Nachstellungen der Staatsgewalt und sitzt alsbald in einem Diner beim Kaffee, zusammen mit einer rüstigen Witwe, deren Autopanne ihm auf der Flucht die perfekte Tarnung bot. So also lernt Forrest Tucker Jewel kennen; und etwas später werden die beiden gemeinsam auf der Veranda von Jewels Bilderbuch-Farmhaus sitzen und darüber reminiszieren, wie schnell das Leben doch vorbei geht und wie flüchtig das Glück ist und alles, was einem bleibt, ist dranzubleiben und sich nicht unterkriegen zu lassen. So ungefähr. Wahrlich keine neuen Erkenntnisse, aber wahr nichtsdestotrotz. Und von eigenartiger melancholischer Wirkmacht, weil es Sissy Spacek ist, die sie äußert, und der, der dazu nickt, ist Robert Redford. Und es fällt einem ein, dass man Sissy Spacek eigentlich grundsätzlich viel zu selten sieht auf der Leinwand und dass es immer eine Freude ist, wenn sie sich einmal wieder für eine Rolle entscheidet. Und der Blick in Robert Redfords strahlend blaue Augen erinnert einen an „The Sundance Kid“ und zieht die Frage nach sich, wie es sein kann, dass dieser Mann immer noch dieses jungenhaft schelmische Blitzen im Blick hat und von einer Sekunde auf die nächste dieses allesniederschmelzende Lächeln anknipsen kann? Wo er doch im August diesen Jahres seinen 82. Geburtstag feierte. Und dann wird man gleich noch viel melancholischer.
Sollte David Lowerys The Old Man & The Gun tatsächlich, wie von diesem angekündigt, Robert Redfords letzter Film sein, dann ist das ein ziemlich lässiger Abgang. Eine unaufgeregte Story über einen alten Knacker, der Banken mehr aus Vergnügen, genauer: Freude am Nervenkitzel, denn aus Notwendigkeit überfällt, in Szene gesetzt und auf 16mm-Material gefilmt wie aus dem Handgelenk und im Vorübergehen, vor allem aber: in aller Ruhe, denn ein alter Mann ist kein D-Zug. Entschleunigung ist das Gebot der eineinhalb Stunden, die dieser Film dauert, und das gemächliche Tempo ist ebenso wie die Aufmerksamkeit für die Dinge an den Rändern und die Vorkommnisse im Hintergrund auch ein Statement inmitten des Effizienzprimats eines auf Überwältigung angelegten gegenwärtigen Mainstream-Kinos. Ein Plädoyer für etwas mehr Besinnung, Geduld und Sorgfalt, in jedem Fall aber ein geglücktes Beispiel für eine etwas aus der Mode gekommene Art des Filmemachens, die das schöne Handwerk gegenüber dem bloß Machbaren betont. Es gibt Verfolgungsjagden und Fluchtsequenzen, und Waffen sind zu sehen, feuern aber keine Kugeln ab. Und immer ist Zeit für Abschweifungen, die eben nur vermeintlich Abschweifungen sind. Weil sie in Wahrheit dafür sorgen, dass die Welt, die gezeigt wird, sich vollständig anfühlt und warm und authentisch. Und wieder möchte man melancholisch werden.
In seiner Eigenschaft als quasi immer schon dagewesene Leinwand-Ikone – seine Karriere währt mittlerweile knappe sechzig Jahre – repräsentiert Robert Redford genau dieses altmodische, entschleunigte Filmemachen, ja, verkörpert es geradezu. Zum einen steht er als Schauspieler, der mit dem New Hollywood Kino in den sechziger/siebziger Jahren groß geworden ist für ein sich seiner gesellschaftlichen Funktion bewusstes, mit den Konventionen und Formen freudig experimentierendes Filmschaffen, das sich in die lebhaften politischen Debatten der Zeit einbrachte. Zum anderen erkor er sich als Initiator und Gründer des Sundance-Festivals & -Institutes früh schon die Ausbildung des Nachwuchses zur Aufgabe – ein Engagement, das ihm unter anderem den Ehrentitel „Godfather of Indiefilm“ eintrug.
David Lowery wiederum, der Redfords elegischen Abschied hier inszeniert, hat mit seinem bisherigen Schaffen – unter anderem dem herzergreifenden Kinder-Fantasyfilm Pete’s Dragon (2016), in dem Redford eine Nebenrolle übernahm, und dem profunden Horror-Essay A Ghost Story (2017), in dem Casey Affleck ein Leintuch-Gespenst verkörperte – nicht nur eine bemerkenswerte Sensibilität in der Behandlung des jeweiligen Stoffes bewiesen, sondern auch ein profundes Verständnis für und Interesse an existenziellen Fragen gezeigt. Denn natürlich läuft die Geschichte des Bankräubers, der nicht aufhören kann, obwohl alles gegen ein Weitermachen spricht, auch auf die Frage zu, was diesen Mann eigentlich antreibt und ob er ein glücklicher Mensch ist? Und so steckt in der Figur Forrest Tuckers auch die symbolhafte Verdichtung der mythischen US-amerikanischen Gestalt des Loners. In diesem Zusammenhang ist es kein Zufall, dass Forrest, als er einmal mit Jewel ins Kino geht, dort Two-Lane Blacktop (Monte Hellman, 1971) anschaut. Ein Schlüsselwerk New Hollywoods mit dem viel zu früh verstorbenen Warren Oates, der in der Rolle des ikonisch gewordenen G.T.O.-Man eine seiner ergreifendsten schauspielerischen Leistungen lieferte: Ein Mann in seinem Auto unterwegs, allein, ein einsamer Außenseiter, der doch irgendwie immer von der Zugehörigkeit träumt, wohl wissend, dass er nicht für sie geschaffen ist; ein Wiedergänger jenes Lonesome Cowboy, vor dem sich am Ende die Türe schließt und der draußen bleiben muss.
The Old Man & The Gun beruht im Übrigen auf einem in „The New Yorker“ erschienenen Artikel von David Grann, in dem dieser die wahre Lebensgeschichte des Karrierekriminellen Forrest Tucker schildert, der mit 15 Jahren das erste Mal wegen Fahrraddiebstahls bestraft wird, auf dessen Konto über 80 Überfälle gehen, der es auf die stattliche Anzahl von 18 erfolgreichen Ausbrüchen aus diversen Gefängnissen gebracht hat, der mehrere Frauen und Kinder hat sitzen lassen und immer wieder Menschen verängstigt und in Gefahr gebracht hat, und der eben einfach nicht aufhören konnte. Man kann sich überlegen, ob man das romantisch findet.
Wir sind hier aber zum Glück nicht im wirklichen Leben, sondern im Kino, und da ist Verklärung erlaubt; erst recht, wenn es sich um Robert Redfords möglicherweise letzten Film handelt.Wo es einen Räuber gibt, muss es naturgemäß auch einen Gendarm geben. Der trägt hier den sprechenden Nachnamen Hunt, John Hunt, ist soeben 40 Jahre alt geworden und seines Sisyphos-Kampfes gegen das Verbrechen mittlerweile offenbar derart überdrüssig, dass er so alt wirkt, wie Forrest tatsächlich ist. Eine Figur, wie geschaffen für Casey Affleck, der es so wunderbar versteht, Intelligenz und Sensibilität mit einer Trägheit zu tarnen, die Zurückhaltung mit gründlich durchdringender Wahrnehmung paart. Das abgeklärt-angeödete Phlegma Hunts und das jugendliche Charisma Tuckers bilden einen einander reflektierenden Kontrast, in den bald schon Dynamik gerät: Als nämlich Tucker ausgerechnet jene Bank überfällt, in der Hunt eben in der Schlange steht – und nichts davon mitbekommt. Der solcherart düpierte Gendarm kann gar nicht anders, als sich an die Fährte des Räubers zu heften.
Der im Übrigen nicht immer allein agiert; bald schon tauft Hunt Tucker und seine beiden Spießgesellen Teddy Green (Danny Glover) und Waller (Tom Waits) „The Over The Hill Gang“, was diese eher belustigt zur Kenntnis nehmen und als nächstes dreist eine Kiste Gold rauben. Die gemeinsamen Szenen von Redford, Glover und Waits sind von besonderer Strahlkraft, weil in ihnen die Schauspielerei gänzlich in den Hintergrund zu treten scheint und lediglich drei ältere Herren beisammen sitzen, die einander schon ewig kennen und prächtig verstehen. Keiner muss den anderen mehr irgendetwas beweisen oder vormachen, keiner drängt sich in den Vordergrund – und Tom Waits erzählt mit wunderbarer Intonation eine Weihnachtsgeschichte der besonderen Art. Robert Redford lächelt. Er ist unter Freunden. Und wir dürfen zuschauen.
THE OLD MAN & THE GUN
Drama/Krimi/Komödie, USA 2018 – Regie David Lowery
Drehbuch David Lowery (nach einem Artikel in „The New Yorker“ von
David Grann) Kamera Joe Anderson Schnitt Lisa Zeno Churgin
Musik Daniel Hart Produktionsdesign Scott Kuzio Kostüm Annell Brodeur
Mit Robert Redford, Casey Affleck, Sissy Spacek, Tom Waits, Tika Sumpter, Danny Glover
Verleih Thimfilm, 93 Minuten
Kinostart 1. Februar 2019