Der Musikindustrie wird ja gern und oftmals völlig zurecht vorgeworfen, dass sie nur mehr alte eingetragene Marken, von den Rolling Stones bis Coldplay oder Metallica, verwaltet, um den Globus schickt und so noch immer Gewinne macht. Abgesehen davon, dass die biologische Uhr das in vielen Fällen nicht mehr lange zulassen wird und „geile“, gewinnbringende Touren mit obszönen Karten- und Merchandisingpreisen derzeit nicht möglich sind, gibt es ein paar vereinzelte Stars, die nach vorne schauen, deren Musik für die Gegenwart steht und keinen Hintergrund für Nostalgieabende abgibt.
Die New Yorker Soulsängerin Alicia Keys – in Hell’s Kitchen als Alicia Joseph Augello-Cook geboren – zählt zu dieser Kategorie. Sie hielt für Prince die Laudatio, als dieser in die Rock’n’Roll Hall of Fame aufgenommen wurde, und selten war die Wahl einer Rednerin so richtig. Sie teilt sein magisches musikalisches Talent und trägt die Fackel der lodernden Kreativität weiter, wenn auch auf ihre Weise. Sie arbeitete mit Timbaland, Kanye West, Ed Sheeran und vielen anderen zusammen, aber die Handschrift blieb immer die von Alicia Keys. Ihr Förderer Clive Davies, der auch für die Karrieren von Janis Joplin, Santana und vor allem Whitney Houston verantwortlich war, war wie immer intelligent genug, das Talent und die Kunst von Alicia Keys in Ruhe zu lassen. Aber er sorgte für ein Umfeld, in dem ihre Kunst prächtig gedeihen konnte und brachte auch schon der jungen Alicia bei, sich nicht übers Ohr hauen zu lassen. Denn auch einem Jahrhunderttalent schaden ein paar Lektionen in Sachen Verträge und Business nicht.
2016 erschien Keys’ bisheriges Opus Magnum, „Here“, das ihren Status als Superstar mit Gewissen zementierte: Das Coverfoto, das sie ungeschminkt zeigte, wurde zum Symbol für weibliche Selbstbestimmung.
Foto: Milan Zrnic / Sony Music
Auch abseits des Musikbetriebes zieht sich Keys nicht in die Millionenvilla einer Gated Community zurück, sondern versucht im Sinne einer Grass-Roots-Aktivistin ihren Namen und ihre Energie für Dinge, die ihr wichtig sind, einzusetzen. Als diesen März das Apartment von Breonna Taylor in Kentucky von der Polizei auf Basis eines No-Knock-Warrants (eines Hausdurchsuchungsbefehls, bei dem sofort gewaltsam in eine Wohnung eingedrungen werden kann) gestürmt wurde und sie in der Folge im Schlaf von einem blind von außen feuernden Polizisten getötet wurde, war das einer der grausamsten Übergriffe der Polizei in einer langen Reihe von ähnlich gelageren Untaten. Aus diesem Anlass unterstützte Keys die Organisation „Until Freedom“ der Aktivistin Tamika Mallory, die sie seit ihrer Kindheit kennt. „Wir versuchen zu erreichen, dass Breonna nicht vergessen wird und das Gerechtigkeit geschieht. In ihrem Fall besonders, weil es kein Video gab. Mit Videos könnte man diese einzigartige Schrecklichkeit nicht ignorieren, aber sie starb, als sie schlief, auf eine absolut abscheuliche Art und Weise. Wir decken auf, dass das ein sich wiederholendes Muster ist und vielleicht ist das der erste Schritt …
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Alicia Keys: Alicia (RCA / Sony Music)
Tipp: Die deutsche Ausgabe von Keys’ offizieller Autobiografie „More Myself“ ist im September erschienen. Darin reflektiert Keys u.a. darüber, wie sie Weiblichkeit für sich neu definiert.