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ONE MOMENT IN TIME

Cat Power wagt sich an eines der legendärsten Konzerte der Musikgeschichte.

Foto: Inez & Vinoodh

Man schreibt den 17. Mai 1966, Bob Dylan ist auf einer Englandtour, und die Besucher in der Manchester Free Trade Hall lieben mehrheitlich den Protestsänger Dylan, der mit der akustischen Gitarre als Nachfolger von Woody Guthrie die Missstände der Welt anprangert. Einige wissen schon, dass ihr Bild von „der Stimme der Generation“ hier und heute nicht ganz erfüllt werden wird, denn die Reaktionen auf dieser Tour waren immer gespalten. Die erste Konzerthälfte wird stürmisch akklamiert, denn hier erfüllt Dylan das Bild, das die Welt noch von ihm hat. In der zweiten Hälfte kommt dann wirklich Leben ins Publikum, die orthodoxen Folkies verlassen enttäuscht den Saal, Schmährufe und Applaus halten sich die Waage – und das alles, weil Dylan nach der Pause mit einer Band auf die Bühne kommt und sich mit vielen Dezibel seiner neuen Leidenschaft, dem Rock ’n’ Roll, hingibt. Die Begleitband ist „The Band“ minus Schlagzeuger Levon Helm, also der kürzlich verstorbene Robbie Robertson an der Gitarre, Rick Danko am Bass, Richard Manuel am Piano, der große Garth Hudson an den Keyborads und Mickey Jones am Schlagzeug. Dieses Konzert inklusive dem berühmten Ruf „Judas“ wurde mitgeschnitten und zirkulierte aufgrund einer Verwechslung lange als „Royal Albert Hall Concert“, bevor es 1998 regulär und in seiner ganzen Größe veröffentlicht wurde.
In ihrer Jugend hörte Cat Power das Bootleg dieses Konzertes und fühlte eine Wärme, die sie selten erfahren durfte, aber erst der Film Don’t Look Back von D.A. Pennebaker über diese Tour transportierte sie laut eigener Aussage an einen Punkt, an dem alles fließt, an dem sich die Gedanken und das Absurde treffen. Als sie das Angebot bekam, in der Royal Albert Hall zu spielen, kam sie dann auf die mutige, wie absurde Idee, dieses Konzert von Dylan, das mehr als fünf Jahre vor ihrer Geburt stattfand, Song für Song nachzuspielen. Cat
Power hat in ihrer Karriere schon drei Coveralben veröffentlicht, in denen sie die Vorlagen zu ihren eigenen Songs machte und teilweise bis ins Unkenntliche verfremdete. Am 5. November 2022 wählte sie in der berühmtesten Konzerthalle Englands einen anderen Zugang: Sie hält sich in allen Dingen – wie Songreihenfolge, Sounds oder Phrasierung – an das „Original“. Das ist natürlich legitim und zeigt die Liebe zu diesem Konzert und zu Dylans Werk – aber es ist auch klar, dass der bekiffte Furor, den Dylan und seine Band 1966, als sogar „Like a Rolling Stone“ noch neu war, entfachten, einmalig war und niemals wiederauferstehen wird. Doch Cat Power findet den Spagat, sie wird nicht zur perfekten, aber letztlich seelenlosen Coverband, sondern legt sich selbst und ihre Zuneigung in die Songs des Altmeisters.
Warum man solch ein Vorhaben startet, bleibt im Dunkeln. Aber warum steigt man auf Berge? Weil sie da sind.

Cat Power: Cat Power Sings Dylan: The 1966 Royal Albert Hall Concert (Domino Records)

 

| | Text: Günther Bus Schweiger
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