Im „Le Memphis“ ist beinahe täglich jede Menge los. Bereits in den Nachmittagsstunden drängen die Besucher in die Räumlichkeiten des Tanzclubs mitten in Paris. Das in schummriges Licht getauchte Dekor erinnert an längst vergangene Zeiten, auch die Musikauswahl orientiert sich primär an Melodien aus den fünfziger- und sechziger Jahren. Doch der Intensität der Veranstaltung tut der Retro-Charme keinen Abbruch – es wird mit Hingabe getanzt und aufs heftigste geflirtet. Auf den ersten Blick ein wenig überraschend mögen dann doch die Gäste sein. Denn die Besucher und Besucherinnen des „Le Memphis“ gehören jener Generation an, die zur Kategorie der „Best Agers“ gerechnet werden. Oder, um es präziser zu formulieren, die Protagonisten von Parcours d’amour haben ihren 60. Geburtstag bereits hinter sich gelassen.
Größer könnte der Kontrast in Bettina Blümners neuem Film nicht sein, porträtierte die Regisseurin in ihrem hochgelobten Dokumentarfilm Prinzessinnenbad (2007) doch drei 15-jährige Mädchen aus Berlin-Kreuzberg. Das Milieu, in das sich Blümner mit Parcours d’amour begibt, mag ein völlig anderes sein, ihre gestalterische Linie als Dokumentaristin hat sie konsequent fortgesetzt. Auch in Parcours d’amour beobachtet Bettina Blümner die Protagonisten ohne intervenierende Elemente, räumt ihnen die notwendige Zeit ein, um sie ausführlich bezüglich ihrer Erfahrungen, Träume und Wünsche in Sachen Beziehungen zu Wort kommen zu lassen. Dass sich zwischen Erinnerungen an die eigene Vergangenheit – das Durchblättern von Fotoalben mit Aufnahmen von Familienmitgliedern und Lebensabschnittspartnern wird dabei zu einem wiederkehrenden Motiv – und dem Leben im Heute der angesprochenen Tanzclubs das Bild von Menschen formt, die auch im fortgeschrittenen Alter Sehnsüchte im Hinblick auf Beziehungen haben, die kaum anders sind als die von deutlich jüngeren Leuten, mag keine große Überraschung sein. Doch es ist auch nicht Blümners Intention, unbedingt Sensationelles oder Spektakuläres in jedem Kader zu Tage zu fördern.
Ihre Beobachtungen bleiben oftmals an ganz gewöhnlichen Dingen oder Sätzen hängen, wie sie der Alltag eben hervorzubringen pflegt. Daraus lässt sich – das gelingt in Parcours d’amour trefflich – ein dahinterstehendes großes Ganzes herausarbeiten oder aber auch bloß die Vielfalt der menschlichen Natur. Möglich wird das durch den Respekt und jenes grundsätzliche Interesse an den Protagonisten in all ihren Facetten, mit dem sich Blümners Arbeit fundamental unterscheidet von der im österreichischen Fernsehen jahrelang gelaufenen und unverständlicherweise ebenso lang bejubelten Reihe, die im Titel vorgab, alltägliche Geschichten zu erzählen, sich jedoch weitgehend darauf beschränkte, verhaltensauffällige Menschen vor der Kamera auszustellen und sie der Lächerlichkeit preiszugeben wie Objekte in einem Panoptikum.
Der Text ist in ray Filmmagazin Juni 2015 erschienen
Parcours d’amour
Dokumentarfilm, Deutschland 2014
Regie, Drehbuch Bettina Blümner Kamera Mathias Schöningh,
Axel Schneppat Schnitt Denise Vindevogel, Isabel Meier
Verleih Filmdelights, 77 Minuten
Kinostart 3. Juni