Es ist dem Zufall geschuldet, dass der Augustinplatz in Wien ein wenig französisches Flair ausstrahlt. Vielleicht ist es seine Lage in der Senke zwischen Neubau und Josefstadt, vielleicht sind es die Stühle der Lokale, die wie vor Pariser Patisserien am Trottoir stehen. Vielleicht es auch nur der Eindruck, den man nach einem Besuch von „Sous Bois“ gewinnt. Wie auch immer: Es könnte keinen besseren Platz für Chloé Thomas’ kleinen Papeterie-Laden geben.
Lichtdurchflutet ist das kleine Ladenlokal. Das liegt neben den großen Schaufenstern auch am hellen Holz-Interieur. Chloé Thomas hat es selbst entworfen. Eine Collage aus Baumarktware und handelsüblichen Massenprodukten, mit findigen Hinzufügungen und Adaptionen wurde daraus Design. Das alles, um ihre Papierwaren aus aller Welt bestmöglich zu präsentieren. Jedes Stück ist von Hand ausgewählt. Gefächerte Aufbewahrungsmappen des dänischen Labels Hay liegen wohl drapiert neben Bleistiften von Koh-I-Noor und Füllern von Kaweco. Das Sortiment soll farblich in sich und mit dem Laden stimmig sein. Kein Concept Store gönnt seiner Ware mehr Aufmerksamkeit. An der Wand hängen Kinderbücher, die allesamt fast ohne Text auskommen. Haptik, Papier und Grafik erzählen hier die Geschichten. Etwa jene des japanischen Künstlers Katsumi Komagata.
Ein wenig hat das alles auch mit Nostalgie zu tun, gesteht die Französin. Papierwaren erzählen Kulturgeschichte. „Coccoina“ steht auf einer runden Metalldose. Italienische Schüler werden sich bei der Wiederentdeckung des Papierklebers ebenso an ihre Schulzeit erinnert fühlen, wie österreichische beim Anblick der jeweils zur Hälfte rot und blau schreibenden Farbstifte. In kaum einem anderen Feld liegen Warenförmigkeit und Fetisch, Kunst und Produkt näher beieinander als bei Grafik-Design und Illustration. Bei „Sous Bois“ sogar wortwörtlich.
An ihrem Schreibtisch im Geschäft arbeitet die Designerin an Auftragsillustrationen und finanziert so den Laden. Nur wenige Meter daneben liegt eine der raren Ausgaben ihres kunstvoll und in Handarbeit gestalteten Zines „½“. Das Magazin gründete sie während ihres Grafik- und Illustrations-Studiums in Paris. Danach verschlug sie natürlich die Liebe nach Wien. Nicht ohne Nuancen des Pariser Lebensgefühls mitzubringen.
Unweit der französischen Schule und in Gehweite zur frankophilen Bäckerei tart’a tata, wo sich Chloé Thomas gerne mal ein Pain au chocolat gönnt, verstärkt „Sous Bois“ den Eindruck eines Petit Paris mitten in Wien. Eines Paris selbstverständlich, das sich beschönigt und stereotyp mondän und urban gibt. Ein Paris, das man sich bestenfalls aufmalen kann. Womöglich mit einem Stift aus Chloé Thomas’ Laden auf pastellfarbenes koreanisches oder dänisches Papier.