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Politisch durchs Leben tanzen

Text: Schöny Roland | Fotos: Marco Delogu

Es war diesmal anders als seinerzeit, Anfang der 1990er Jahre, als ich Yoko Ono einen ganzen Vormittag lang zur Aufnahme für ein Radio-Feature traf. Diesmal war auch wesentlich weniger Zeit für Tratsch in dieser exterritorialen Sphäre des Interviews abseits der Tageshektik. Damals waren verschiedene Stationen ihrer Laufbahn ausführlich reflektiert worden; und Yoko Onos künstlerische Präsenz durchmisst immerhin das halbe 20. Jahrhundert. Die Begegnung jetzt – wenige Wochen vor ihrem 80. Geburtstag – war vielmehr vom Gefühl des Luxus gekennzeichnet, Platz in einem freien Kästchen des rigiden Zeitplans einer unentwegt global präsenten Künstlerin errungen zu haben. Ständig eröffnet sie neue Ausstellungen, gibt Konzerte und hält Lectures. Als Performance-Künstlerin re-inszeniert und re-interpretiert sie historische Arbeiten live auf der Bühne.

Mitte Februar präsentierte sie mit ihrer Plastic Ono Band neue Songs und klangliche Experimente auf der Berliner Volksbühne gemeinsam mit Ausschnitten aus ihrem Album „Between My Head And The Sky“ von 2009. Unmittelbar danach feierte sie ihren 80. Geburtstag im amerikanischen Südosten im Georgia Museum of Art, während ihre Teilnahme am Fluxfest in Chicago vorbereitet wurde und die Schirn Kunsthalle Frankfurt eine der umfangreichsten Retrospektiven aus den 60 Jahren ihres Schaffens eröffnete.

Trotzdem: Obwohl die Anbahnung des Treffens in der Suite eines Wiener Hotels mit engagierter Unterstützung von außen durch die Schirn Kunsthalle anfangs einem Staatsakt glich und dann noch eine weitere zeitliche Adjustierung mit ihrem stets präsenten Assistenten erforderte, deutete überhaupt nichts auf irgendwelche Allüren hin. Natürlich wirkt die Aura dieser einzigartigen Persönlichkeit der Kunst- und Pop-Geschichte raumfüllend. Das Gespräch wurde jedoch letztlich durch ein völlig unprätentiöses „Hi, good evening“ eingeläutet. Ein wacher interessierter Dialog, dessen Koordinaten zunächst offen bleiben, als sich Yoko Ono unvermutet sogar für die politischen Entwicklungen in Ungarn und die Hintergründe für den Rechtsruck unter Viktor Orbán interessiert. In den USA zweifellos ein Randthema, doch besonders für eine seit jeher emanzipatorisch und gesellschaftskritisch eingestellte Künstlerin, die aktuell auch ökologische Initiativen aktiv unterstützt, ein erschreckender Rückschritt.

Im Moment agiert Yoko Ono selbst im Verein mit Lady Gaga, mit Lee Ranaldo von Sonic Youth, den Beastie Boys, dem Kronos Quartett, B-52, Liv Tyler oder Ryu¯ichi Sakamoto gegen „Fracking“, die weltweit umstrittene und ökologisch höchst gefährliche Methode der Erdgas- bzw. Schiefergas-Gewinnung, bei der hohe Mengen an Sand und Chemikalien in den Untergrund gepresst werden. Ihre Brandrede gegen die Ausbeutung des Bodens bot sich schließlich für einen Schwenk in Richtung ihrer künstlerischen Arbeit an, die sie stets als politisch versteht. Yoko Onos Wien-Besuch im vergangenen November kam nämlich auf Einladung der Universität für Angewandte Kunst zustande, deren Rektor Gerald Bast ihr, 2011 bereits, im Wiener Gartenbaukino den renommierten Oskar-Kokoschka-Preis als Anerkennung für ihr Lebenswerk verliehen hat. Diesmal war Yoko Ono zum ELIA Kongress, dem internationalen Treffen europäischer Kunstakademien und -universitäten, angereist und hatte ihren Auftritt dort in eine Performance mit deutlicher Botschaft verwandelt. Die Perfomance fand am Vorabend des Gesprächs statt.

In einem schwarzen Sack, aus dem sie sich erst langsam befreien hatte müssen, war sie auf dem Kongress im Museums-quartier auf die Bühne gerobbt. So nach und nach kam dann die Künstlerin zum Vorschein. „Es schien so, als würde eine Frau um ihre Sichtbarkeit kämpfen.“ „Ja, genau!“, bestätigte Yoko die Bemerkung. „Immer noch ist es ein mühsamer Prozess, bis die Leistungen von Frauen wahrgenommen werden. Auch wenn sich in den vergangenen Jahrzehnten enorm viel geändert hat.“ „Selbst wenn es einen ernsthaften Diskurs unter dem Paradigma des Postfeminismus gibt, ist es bemerkenswert, dass zahlreiche junge Frauen heute meinen, Feminismus würde nerven und sei etwas für die Mütter.“ Zum ersten Mal wirkt es, als würde Yoko Ono weise Lächeln. Dann kommt einer der für sie geradezu typischen, sparsam, kurz und prägnant formulierten Kommentare zu dieser Beobachtung: „Okay, wenn Mädchen heute wirklich glauben, Feminismus sei vorbei, dann: ,Good Luck!‘“

Ihre eigene Karriere und Entwicklung als Frau ist dementsprechend erstaunlich und untypisch. 1933 in Tokio geboren, erlangte die Komponistin, Musikerin und Performance-Künstlerin Yoko Ono bereits Mitte der fünfziger Jahre im Bereich der Avantgarde- bzw. Performancekunst große Bekanntheit. Später zählte sie gemeinsam mit dem wegweisenden Erneuerer des Verständnisses von Musik als Klang, Geräusch und Sound, John Cage, zu den treibenden Kräften der anarchisch-radikalen Fluxusbewegung; einer aktionistischen und transmedialen Kunstströmung, die mit Video, mit Geräuschen, Licht und Bewegung sowie mit Gegenständen aus dem Alltag arbeitete und die Grenzen zwischen Kunst und Leben subversiv unterlief. Dafür war Yoko Ono prädestiniert. Als Tochter einer Tokioter Oberschichtfamilie zwischen Japan und den USA lebend, studierte sie Gesang und Philosophie und trachtete danach, die Konventionen zu durchbrechen. Ihre Heirat mit dem Musiker Toshi Ichiyanagi, ein John Cage Schüler, war ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Dass sie danach, ab 1967, mit dem Beatle John Lennon liiert war, der 1980 vor dem Dakota Building in New York von einem geistig unzurechnungsfähigen Attentäter erschossen wurde, bleibt unumgänglich zu erwähnen. Während nämlich anfangs Ressentiments gegen sie als vermeintliche Zerstörerin der Beatles geschürt wurden, muss sie jetzt immer noch mit Schlagzeilen wie „Yoko Ono tritt aus dem Schatten ihres Mannes“ leben, wenn sie eine ihrer Ausstellungen eröffnet.

Mit John Lennon verband sie nicht nur eine intensive Liebesbeziehung, die beide offensiv öffentlich lebten, sondern zugleich auch eine künstlerisch und politisch hochproduktive Kooperation. Daraus entwickelte sich ein revolutionärer Brückenschlag zwischen Rock, Pop und Avantgarde, dokumentiert beispielsweise auf der gemeinsam mit Phil Spector produzierten Doppel-LP „Some Time in New York City“, 1972. Der Studioteil der beiden Langspielplatten enthielt – selbst für diese Zeit des Aufbruchs – radikal politische Popsongs wie „Woman Is the Nigger of the World“ (Lennon/Ono) oder „Attica State“ (Lennon/Ono), wo die gewaltsame Niederschlagung der Revolte im New Yorker Gefängnis „Attica Correctional Facility“ mit letztlich fast 40 Todesopfern thematisiert wurde. Der Song „The Luck of the Irish“ (Lennon/Ono) wiederum nahm den Einmarsch der Briten in Nordirland textlich aufs Korn. Dies wurde außerdem noch ergänzt durch eine orgiastische Live-Aufnahme auf der zweiten Platte, an der auch Frank Zappa mitwirkte. Signifikant dafür: Yoko Onos modulationsreiche Stimme in durchgehendem Schrei-Gesang. Musik, Rhythmus, Melodie gehen sukzessive über in eruptiven Sound. Das war die Auflösung von Musik in Sound aus dem Kontext von Pop heraus, womit wieder der Einfluss von John Cage ins Spiel kommt. „Ja, John Cage und ich befruchteten uns gegenseitig“, meint Yoko Ono heute im Rückblick.

Wie bedeutend der Einfluss von Cage als Vordenker von Musik und Sound im 20. Jahrhundert war, zeigt eine Episode von nachhaltiger Wirkung. Jörg Heiser, der Chefredakteur der Londoner Kunstzeitschrift „frieze“ analysiert sie im Katalogbuch zur Ausstellung „Half-A-Wind Show“ in der Schirn Kunsthalle minutiös und geht dabei von einem Foto aus, das eine Aufführung des John-Cage-Stücks „Music Walk“ in Tokio 1962 dokumentiert. Der Idee nach erzeugten mehrere Protagonistinnen und Protagonisten frei orientiert an mehr oder weniger spontan vorgezeigten Plastik-Kärtchen, unterschiedliche Klänge durch verschiedene Quellen; also zum Beispiel mit Klavier, durch Gesang oder einfach durch das Einschalten eines Radioapparats. Sowohl John Cage als auch Yoko Ono wirkten an einer solchen Aufführung mit.

Einem anderen Konzept nach saß Ono zwar am Flügel, drückte aber nicht die Tasten, sondern zündete stattdessen ein Streichholz an und ließ es abbrennen. Dies war eine Aufführung nach einer Anweisung aus dem Jahr 1955: „LIGHTING PIECE“. Spekulationen darüber anzustellen, wer zuerst die Idee hatte, die bestehenden Konventionen humoristisch, ironisch ad absurdum zu führen, mag müßig sein. Entscheidend aber ist, wie Heiser herausarbeitet, dass hier die bis heute historisch bedeutsamen Transferzonen zwischen musikalischer Avantgarde und konzeptuell fundierter Handlung in der Kunst liegen. Und Handlung, Dramaturgie in der Kunst könnte man aus heutiger Sicht auch anders nennen: Performance.

Wie revolutionär solche Ideen sowohl in Japan nach den Jahren der wirtschaftlichen Konsolidierung nach 1945 wie in den konservativen Kunstkreisen der USA nur kurz nach der McCarthy-Ära waren, lässt sich aus heutiger Sicht kaum noch ermessen. Dass Yoko Ono aber 1952 als erste Frau überhaupt zum Philosophiestudium an der Gakushu¯in-Universität in Tokio zugelassen wurde und es noch mindestens ein Jahrzehnt bis zur Studenten-Revolte in den USA dauern sollte, mag ein Licht auf die Atmosphäre der Zeit werfen. Umso eher lässt sich auch nachvollziehen, warum Yoko Ono anlässlich der Eröffnung ihrer „Half-A-Wind Show“ in Frankfurt eine historische Performance, nämlich „Sky Piece to Jesus Christ“ wiederaufführte. Zur Musik der Jungen Deutschen Philharmonie wurden sie und andere Performer mit zahlreichen Mullbinden umwickelt. Diese Performance wurde erstmals 1965 in der Carnegie Recital Hall, New York aufgeführt. Ihr Titel bezieht sich wiederum auf John Cage, der im Kreis der Avantgardemusik manchmal als JC oder Jesus Christ bezeichnet wurde, während die Bandagen den Inbegriff von Freiheit im Gegensatz zu inneren und äußeren Fesseln symbolisierten. Außerdem gehört das Einbeziehen anderer, ebenso wie die Aufforderung, Kunstwerke mittels eigener Handlungen zu vervollständigen oder überhaupt erst zur Gänze zu realisieren, zum grundlegenden Konzept der Kunst Yoko Onos.

In Bezug auf solche Werke betont die Kuratorin der Ausstellung Ingrid Pfeiffer zwar, dass ein Œuvre, das häufig zur Immaterialität neigt und weniger aus Objekten und Installationen, sondern eher in großen Teilen aus Ideen und Texten besteht, gar nicht so einfach zu präsentieren sei. Umso erstaunlicher daher der Reichtum und die Vielzahl an Werken und Dokumentationen von Performances und Interventionen in dieser einzigartigen Retrospektive. Zu den frühesten der gezeigten Installationen zählt „Half-A-Room“ (1967), ein fragmentarisches Zimmer mit in Hälften geschnittenen und weiß gestrichenen Möbelstücken, die ein poetisches Ensemble bilden. Eindringlich evoziert das Werk Gefühle vom Verlust einer „Ganzheit“ und vielleicht die Sehnsucht nach Vervollständigung. Viele Objekte Yoko Onos, viele ihrer Filme wie auch die Performances appellieren an den spontanen Impuls der Betrachter und Betrachterinnen, gedanklich – zu reagieren. Immer wieder stellen Yoko Onos künstlerische Arbeiten sehr direkt Grundsatzfragen des menschlichen Daseins, wobei die Folie des Gesellschaftspolitischen und die kritische, skeptische Weltsicht der Künstlerin, grundiert von einer positiven, versöhnlichen Einstellung eine tragende Rolle spielen. Denn verbissener Kampf war nie ihre Sache, eher die subtil angelegte Subversion, eine dialektische Philosophie aus Zerstörung und Heilung, woraus schließlich so etwas wie „Balance“ erwachsen könnte.

YOKO ONO

HALF-A-WIND SHOW. EINE RETROSPEKTIVE 

SCHIRN KUNSTHALLE FRANKFURT 

bis 12. Mai 2013

Danach:    

Louisiana Museum of Modern Art in Humblebæk

1. Juni bis 15. September

Kunsthalle Krems

20. Oktober bis 23. Februar 2014

Guggenheim Museum Bilbao

18. März bis 17. September 2014     

Katalogbuch deutsch oder englisch im Prestel Verlag, München

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