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Reden ist Gold

Text: Ruth Schink | Fotos: Illustration: Franz Suess

Für viele ist „ Thadeusz “ Kult. Mario Adorf, Hans-Dietrich Genscher und Marcel Reich-Ranicki gaben sich im charmanten deutschen Talk-Format bereits die Ehre. Hauptschuldig daran ist er: Jörg Thadeusz, der 1,88 m große Grimme-Preisträger mit der schnellen Zunge und dem noch schnelleren Verstand. Seit mittlerweile fünf Jahren fragt er sich in die Herzen seiner Zuschauer und Gäste. Manchmal frech und provokant. Manchmal geradezu naiv direkt. Aber stets respektvoll und mit Krawatte – genau so, wie er sich auch beim Interview in Charlottenburg zeigte.

Für alle, die Sie nicht so gut kennen: Moderieren Sie sich bitte mal selber an.

Meine Damen und Herren, erleben Sie den sympathischen Westfalen, der in verschiedenen dritten Programmen des deutschen Fernsehens auf spektakuläre Art und Weise seit eineinhalb Jahrzehnten erfolglos ist. (Pausiert.) Nein! (Korrigiert.) Nicht total erfolglos. Das ist gemein zu sagen, weil meine Intendantin sich darüber ärgert, wenn ich behaupte, ich sei erfolglos.

Dann jetzt die Intendantenversion bitte.

Genießen Sie, meine Damen und Herren, einen erlesenen Moderator, denn er ist nur wenigen bekannt.

Jetzt kokettieren Sie aber mit Ihrem Selbstbild.

Nein.

Entspricht Ihr TV-Bild denn sonst Ihrem Selbstbild?

Nein.

Inwiefern weicht es ab?

Wir sitzen ja heute Abend hier zusammen, ich habe noch die Fernsehschminke auf dem Kopf. Das heißt, ich wirke heute wie ein vollhaariges Geschöpf. Allein das ist Illusion. Und das nächste ist, wenn ich mich normalerweise mit Menschen unterhalte, ist natürlich alles viel konfuser, als es da im Fernsehen läuft. Und selbst da ist es so konfus, dass viele Leute anrufen und sagen, es soll nicht so konfus sein. Und auch der Rest – das entspricht nicht meinem Selbstbild. Da immer hochgeschnürt rumzusitzen, sich die ganze Zeit Gedanken zu machen, wo fuchtle ich jetzt mit den Händen rum und wo lasse ich es lieber sein, das ist ja alles kontrollierter, als ich es im Alltag ertragen könnte.

Wer legt denn fest, dass Sie hochgeschnürt in Anzug und Krawatte im Studio sitzen?

Das empfinde ich natürlich auch als respektvolle Geste gegenüber meinen Gästen. Und mir würde jetzt auch nichts anderes einfallen. Wenn ich zum Beispiel im Schwanenkostüm viel hinreißender aussehen würde oder der Gast sich dadurch geschmeichelt fühlen könnte, dann würde ich ein Schwanenkostüm tragen.

Aber Anzug und Krawatte sind kein Muss des Senders, weil der Durchschnittszuschauer bei rbb 63 Jahre alt ist?

Nein, nein. Üblicherweise verfällt der Fernsehredakteur, der in einer öffentlich-rechtlichen Anstalt arbeitet, dem Gefühl, man müsse ein Format jünger machen, und dann zieht er einem Moderator, der über seine besten Jahre deutlich hinaus ist, gerne ein T-Shirt mit einem Y drauf an. Das würde ich in jedem Fall ablehnen, weil ich finde, es gibt gewisse Stilregeln für Männer, die sind sehr einfach zu befolgen. Das ist viel einfacher, als sich als Frau zu überlegen, wie kriege ich Sex-Appeal. Und an diese Regeln kann man sich einfach mal halten. Man lässt sich keine freche Oliver-Geissen-Frisur machen. Man zieht vernünftige Schuhe an, ein vernünftiges Hemd und hat eine vernünftige Krawatte um.

Und wer wählt die Krawatten aus? Die sind ja interessanterweise fast immer diagonal gestreift, wie ich feststellen konnte.

Die wähle ich aus. Und die Streifen deuten auf meine Kindheit zurück. Das mit den Streifen war mir allerdings nicht bewusst. Ich fange erst jetzt an, wo Sie es sagen, mich dafür zu schämen.

Das war keine Kritik, nur eine Feststellung.

Trotzdem, wie Sie es gesagt haben, hatte es was Therapeutisches. (Wohltemperiertes Lächeln.)

Dann zu schöneren Themen. Reden wir über Frauen. Sie sind berühmt für Ihre Flirtattacken: Wie oft haben Sie sich schon während der Sendung in Ihre Interviewpartnerin verliebt?

Noch nicht oft. Und ich weiß auch nicht … Wer behauptet das mit den Flirtattacken?

Ich behaupte das. Und einige ihrer Kollegen auch.

Und auf welcher Grundlage?

Das ist unübersehbar in all Ihren Sendungen mit attraktiven, interessanten Frauen.

Das ist unübersehbar?!

Ja, natürlich.

Was meinen Sie denn damit, Flirtattacken? Das hieße ja, dass ich denen Avancen mache. Das tue ich nicht, sondern ich verbeuge mich vor deren Anmut. Das ist doch noch kein Flirt.

Aber Sie sind ein Charmeur, Sie hof eren die Frauen, Sie machen gerne Komplimente. Auch das nennt man Flirten.

Na gut, dann nennen wir Namen. Iris Berben. Ich verehre Iris Berben. Sie hat mir bei der Berlinale-Eröffnung dieses Jahr einen Kuss gegeben. Da war ich stolz wie Bolle. Weil ich dachte, da im Berlinale-Palast, da kommt Iris Berben, und der muss ich jetzt kein „Guten Tag“ aufdrängen, die ist ja immer so umkränzt von Menschen. Dann kommt die von sich aus und gibt mir ein Küsschen. Und ich hatte Lippenstift auf der Wange, und den habe ich, das ist natürlich auch ein wenig geschmacklos, gleich allen gezeigt und gesagt: Der ist von Iris Berben. (Genießerische Pause.) … und verliebt war ich noch in Julia Jentsch, Gesine Cukrowski, Esther Schweins, Sarah Kuttner – ich bin immer wieder einmal in Sarah Kuttner verliebt, genauso wie in Bettina Rust.

Hilft Ihnen bei den Damen der „Ganovencharme Ihres Vaters“, den Sie in einem Ihrer Bücher erwähnen? Haben Sie den geerbt?

Den Ganovencharme meines Vaters? Na bitte! Den habe ich eindeutig geerbt. Das ganze ganovenhafte Gebaren.

Wie entwickelt sich so ein Gebaren in Dortmund?

Wie sich so etwas in Dortmund entwickelt? Was soll man denn in Dortmund anderes werden als Ganove oder was anderes Unseriöses? (Lacht.) Also, da gibt’s keinen Grund, das nicht zu werden in Dortmund.

Ist es das Neapel Deutschlands?

Nein, es ist noch nicht mal das. Das ist ja das Schlimme. Weil das Neapel Deutschlands ist Frankfurt am Main. Dortmund ist irgendwie so etwas, wo man sich nicht im Kreise von anderen Nobelpreisträgern wähnt. Sowas wie Leeds in England, Liverpool oder Manchester – und wenn die zum Fußballspielen kommen, haben sich da schon Brüder im Geiste erkannt. Man sympathisiert.

Von welchem Ihrer prominenten Gäste könnten Sie das auch behaupten?

(Pause.) Da waren einige.

Oder von wem hatten Sie am Ende des Gesprächs eine andere Meinung als vorher?

Heiner Lauterbach. Allerdings hatte ich da seine Autobiografie noch nicht gelesen. Dabei ist es nicht so gewesen, dass Heiner Lauterbach sich mir hätte offenbaren wollen. Aber ich war nachher voller Respekt für ihn. Es war ähnlich wie mit Gunter Gabriel. Es scheint eine Gruppe Männer zu geben, die treffen, wenn sie an einer Weggabelung stehen, die falsche Entscheidung. Stellen wir uns vor: Wir sind in Indien, Heiner Lauterbach fährt mit seinem Kumpel durch Afghanistan und Pakistan nach Indien, und die beiden haben kein Geld mehr. Und was machen die beiden dann? Sie nehmen nicht irgendwo einen Job an oder wenden sich an die Botschaft. Sie überlegen sich: Mit Drogen kann man schnell Geld machen. Das machen sie dann, und Lauterbach bezahlt das mit einer dreimonatigen Gefängnishaft in einem Käfig in New Delhi. Und das finde ich so faszinierend. Wie man auf den falschen Gedanken kommt und das dann auch so 150- prozentig lebt. Und er hat längst nicht immer gewonnen und dass er dazu steht, das hat mich sehr beeindruckt.

Hat eigentlich schon mal jemand ein Interview mit Ihnen abgelehnt?

Joschka Fischer. Der wollte nicht in die Sendung kommen. Er betrachtete die Einladung als Scherz. Er hat auf unsere Anfrage nur mit „grotesk!“ geantwortet.

Unschön.

Naja, der hatte das zu dem Zeitpunkt einfach nicht mehr nötig.

Oder er wäre lieber bei den „Großen“, einem Günther Jauch oder Harald Schmidt zu Gast gewesen. Können die Herren etwas besser als Sie?

Harald Schmidt ist präziser und schlicht und einfach brillanter. Jauch ist anständiger als ich und ehrgeiziger und wahrscheinlich in vieler Beziehung auch klüger.

Mit Roger Willemsen und Sarah Kuttner haben Sie schon gearbeitet. Wer ist der bessere Ko-Moderator?

Iiih! Das ist eine gemeine Frage. Das ist eine hässliche Frage. Das ist ja von hinten in die Beine.

Dann bestrafen Sie dieses Foul bitte mit einer diplomatischen Antwort!

Ich würde lieber in einer langfristigen Beziehung mit Sarah Kuttner sein, aber mit Roger Willemsen zusammen eine Fernsehsendung zu moderieren, das ist, als würde man an den sensibelsten Nervenenden auf das Schönste gereizt. Und deswegen kann ich mich da nicht entscheiden.

Und wenn Sie sich entscheiden müssten: Wissenschafts- oder Satiremagazin? Was hat mehr Spaß gemacht?

Wissenschaftsmagazin! Beim Wissenschaftsmagazin ist der Unterschied, da wissen die anderen Leute was, was ich nicht weiß. Und bei Satire muss ich die ganze Zeit vorgeben, ich wüsste etwas, was die anderen Leute nicht wissen. Vom eigenen Vergnügen her ein großer Unterschied.

Als Fernsehmensch ist man nicht nur von der Quote abhängig, sondern auch von der Medienberichterstattung. Darum möchte ich Sie jetzt mit einigen Aussagen von Kollegen konfrontieren, die wir dann gemeinsam auf ihren Wahrheitsgehalt untersuchen. Okay?

Gut.

Wären Sie lieber der „frühe Roger Willemsen“ oder der „Kulenkampff der Zukunft“?

(Ohne Zögern.) Der Kulenkampff der Zukunft.

Erkennen Sie sich mehr im „Von hinten durch die Brust ins Auge fragen“ oder im Moderator mit dem „treuen Berner Sennenhund-Blick“?

Das sind einfach zwei zu entsetzliche Alternativen …

Ich hätte da noch den „mit dem Sezierblick“.

(Genervtes Stöhnen.) Journalistenzuschreibungen.

Keine zutreffend?

Nein. Natürlich nicht! Berner Sennenhund-Blick. (Ironisches Blitzen in den blauen Augen.) Da ist die Zuschreibung einer deutschen Kollegin als Bauer viel passender!

Es schmeichelt Ihnen also mehr, wenn Andrea Ritter über Sie schreibt: „Würde er keinen Anzug tragen, könnte man ihn sich gut in einer norddeutschen Ackerfurche vorstellen.“

100 Prozent, das trifft. Bauer. Ich bin ein totaler Bauer.

Der Tagesspiegel rügte Sie einmal mit der Feststellung „Frechheit kann Intelligenz nicht ersetzen“.

Richtig. Total richtig. Joachim Huber war das. Und er hat total recht damit.

Mit Ihnen oder generell?

Auch generell natürlich. Würden alle Leute, die nur frech sind, einfach die Klappe halten, würden wir schon sehr viel weniger belästigt. Und für mich gilt das Gleiche.

Mit frechen Aussagen haben Sie aber jede Menge Erfahrung. Ihre „Fiesen Sieben“ sind ja bereits legendär. Und die kommen jetzt natürlich auch.

Oh Gott, wie erschütternd. (Sarkasmus pur.)

Zum Aufwärmen drei schnelle Ballübungen: Warum zieht man als beken¬nender Borussia-Dortmund-Fan, aus dem Fußballmekka Ruhrpott ausge¬rechnet nach Berlin?

Dafür gibt es zu Recht keinen guten Grund. Es ist unerklärlich. Fußballerisch wäre es besser, zuhause geblieben zu sein. Es ist schlimm. Wenn man so weit weg ist, wird man irgendwie sentimental, und ich vergesse dann zwischendurch, Schalke zu hassen.

Wer ist besser angezogen: Jogi Löw oder Sie?

Jogi Löw. Aber er ist auch der hinreißendere Mann, so optisch.

Und wer hat die bessere Frisur: Günter Netzer oder Sie?

(siegesbewusst) Ich! Günter Netzer hat eine Geht-gar-nicht-Frisur. Günter Netzer hat eine Nicht-Frisur.

Gut. Weiter. Jetzt kommt das Best of, das Grande Finale, denn diese Fragen kommen Ihnen sicher bekannt vor.

Aha.

Werden Sie lieber als unglaublich begabt oder unglaublich unwiderstehlich beschrieben? (Originalfrage an Heike Makatsch.)

(Freut sich.) Weil mir das noch nie passiert ist, würde ich gern als unglaublich unwiderstehlich beschrieben werden. Das wäre ja mal geil!

Wie weit wären Sie als Frau gekommen? (Originalfrage an Alice Schwarzer, natürlich mit „ als Mann“.)

In meiner Verfasstheit könnte das sehr schwer werden. Aber mit dem Wissen um die Verführbarkeit und die Dummheit der Männer, und wenn ich dazu ein paar wunderschöne Brüste, einen tollen Popo und ein hübsches Gesicht hätte, dann würde ich es sehr weit bringen.

Was könnte Frauen an Ihnen gefallen? (Originalfrage an Claus Peymann.)

Oh, vieles. Ich bin seit 26 Jahren im Bügelgeschäft, ich kann hervorragend bügeln. Ich kann vertretbar kochen. Ich bin gewaschen, meistens. Ich hab tolle Beine, finde ich. Das könnte Frauen an mir gefallen. Außerdem bin ich einigermaßen zuverlässig, ich habe einen nachvollziehbaren Alltag, bin kein Desperado. Außer Alkohol und Nikotin nehme ich keine Drogen. Ich kann vernünftig vorlesen, das kann abends ganz schön sein. Und ich kann, wenn man mich dazu auffordert, die Klappe halten. Es braucht eine Aufforderung, aber ich kann das.

Wann haben Sie das letzte Mal zu viel geredet? (Originalfrage an Harald Krassnitzer.)

(Lacht.) Heute schon.

 

Jörg Thadeusz

Geboren 1968 in Dortmund. Journalist, Moderator und Schriftsteller. Wahlberliner und Teilzeitamerikaner. Adolf-Grimme-Preisträger. Auszeichnung als Radiojournalist des Jahres. Sein dritter Roman erscheint demnächst.

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