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Robert Frank

Text: Schöny Roland | Fotos: Press
© Robert Frank und Albertina, Wien

Bis heute setzt Robert Franks großangelegte Bildreportage „The Americans“ Markierungen in der Bildkultur unserer Zeit. Sie formulierte neue Paradigmen für die Abbildung des Alltags im Medium der Fotografie. Es ist ein visueller Bericht über eine von Verstörung und Unsicherheit geprägte Gesellschaft, die – auseinandergerissen durch soziale Gegensätze – ihres oberflächlichen Glanzes beraubt ist. Viele der Porträtierten wirken vereinzelt und vom Leben ramponiert. Währenddessen haftet selbst Landschaften, Straßenzügen oder Stadtansichten etwas Trostloses an. Erst vor wenigen Jahrzehnten entstanden, beschreiben diese Fotoarbeiten, mit denen Robert Frank weltweit berühmt wurde, mittlerweile auch eine andere, vergangene Epoche. Um die wegweisende Wirkung des Werks aus dem Kontext seiner Entstehung heraus besser verstehen zu können, müsste man fast die Geschichte der visuellen Medien zurück kurbeln.

Der heute selbstverständlich gewordene Modus unentwegter Selbstinszenierung über massenhaft sozial geteilte Bilder, der seit Etablierung des Smartphones im Alltag um sich greift, lag noch in unvorstellbarer Ferne, als Robert Frank in den 1950er Jahren mit der Fotokamera nach einer Form suchte, ein aus seinem Blickwinkel gültiges Bild der Gesellschaft zu entwerfen. Im Gegensatz zu heute hatte die dem fotografischen Bild innewohnende Botschaft als Aussage über unsere Gegenwart eine wesentlich grundsätzlichere und nachhaltig prägende Wirkung.

Hochkonjunktur der Bild-Reportage

Es war dies die Blütezeit der qualitativ hochstehenden Foto-Reportage, während sich das Fernsehen als Konkurrenzmedium in den USA und den westlichen Industrienationen erst langsam ausbreitete. Mit dem Beginn der Verwendung von Transistoren war es technisch gerade in Weiterentwicklung begriffen, als die Fotografie im Printsektor einen außerordentlichen Boom erlebte. Von Ausgabe zu Ausgabe eröffnete sie ihrem Publikum neue Welten.

Jedoch entsprachen Franks inhaltliche Vorstellungen und fotografischen Konzepte immer weniger dem Selbstbild der USA, außerdem glichen sie nicht jenem strahlenden Image, welches die tonangebenden Magazine im Großformat wie „LIFE“ in Amerika und „magnum – die Zeitschrift für das moderne Leben“ im deutschsprachigen Raum, transportieren wollten. So ähnlich wie die heute bloß auf schnelle Effekte und Info-Häppchen hingetrimmten Bilder des Online-Alltags wohl in ihm Abscheu erregen würden, so sehr haderte Frank zunehmend mit den Vorgaben genau jener Magazine, mit denen er zunächst noch die Zusammenarbeit gesucht hatte.

Dass er keine Aufnahme bei Magnum fand, hatte sowohl ästhetische wie auch menschliche Motive. Sicher scheint, dass Frank einen Widerwillen dagegen empfunden hatte, Stories zu fotografieren, die einer ganz konventionellen Dramaturgie folgen. Wie im Buch „The Americans“ für die damaligen Verhältnisse radikal auf die Spitze getrieben, konzentrierte sich Frank zunehmend auf Details, die seine Kollegen im Hintergrund belassen hätten. Darin lenkte er den Blick auf Bänder im Haar, auf Falten im Gesicht, zeigte Hoffnungslosigkeit in den Augen, fotografierte Präsidentenporträts in einer Bar in Detroit oder fokussierte einen aufgepflockten Briefkasten im Vordergrund einer Landschaft in Nebraska, während anderswo die Zapfsäulen einer Tankstelle wie vereinsamte Figuren eines Brettspiels herumstehen. Auf diese Weise begann Frank in seinem ersten zentralen Projekt bis dato übliche Muster der visuellen Inszenierung zu durchbrechen.

Widersprüche der Fashionfotografie

Der Beginn der Laufbahn des 1924 in Zürich geborenen Robert Frank fiel in die Zeit des Zweiten Weltkriegs. Vor dem Hintergrund seiner jüdischen Herkunft aber hatte er sich wegen der zögerlichen Haltung der Schweiz bei der Ausstellung der Staatsbürgerschaft, sowie auch der unklaren Politik der Eidgenossenschaft gegenüber dem NS-Regime im Jahr 1947 endgültig entschlossen, in die USA auszuwandern. Mit einer Reihe von Empfehlungen ausgestattet, arbeitete Frank in New York anfangs für prominente Zeitschriften wie „LIFE“, „Look“, „Fortune“, für das Modemagazin „Harper’s Bazaar“ oder für „VOGUE“. Daraus wiederum resultierten Aufträge, die ihm sogar Reisen durch Bolivien, Peru, Italien, Südfrankreich oder England ermöglicht hatten.

Doch nur die äußeren Koordinaten deuten auf die Leiter des Erfolgs. In der Schweiz mental heimatlos geworden, und in den USA allem Anschein nach noch nicht wirklich angekommen, bleibt Franks Sicht auf die Welt kritisch distanziert. Während er als Reaktion auf seinen Stil aus der Art Direktion von „Harper’s Bazaar“ vernehmen musste, seine Arbeit sei zu analytisch und ernsthaft, steigerte sich seine eigene Skepsis gegenüber einer allzu affirmativen Auffassung seines Berufs. Für den Fashion-Bereich konstatierte er, in der Modefotografie gehe es letztlich doch nur ums Geld.

Diesem evidenten Widerspruch zwischen künstlerischem Wollen und kommerziellen Vorgaben, der sich da pointiert zuspitzte, würde kaum irgend etwas Besonderes anhaften, wäre er nicht Ausdruck eines allgemeinen politischen Trends gewesen. In der rigiden Nachkriegsgesellschaft zur Zeit des Kalten Krieges und der lautstarken Jagd auf echte oder vermeintliche Kommunisten unter Senator Joseph McCarthy sollte das veröffentlichte Bild eine positive Atmosphäre vermitteln und strahlend in die Zukunft hineinwirken. Im drückenden Klima permanenter Ermittlungen gegen Künstler, Schauspieler, Komponisten oder Theaterautoren diente die Fotografie als Argument für den Erfolg des „New Deal“ unter Präsident Roosevelt. Bilder einer biederen, weißen und kleinfamiliären US-Gesellschaft sollten Perspektiven entlang des wirtschaftlichen Aufschwungs der Nation entrollen.

Zwar war es verwunderlich, dass Robert Frank sich da noch weiter in Widersprüche hinein gearbeitet hat, bevor er endgültig seine eigene künstlerische Laufbahn einschlug. Allerdings steigerte seine nun folgende Assistenz bei der Vorbereitung des bis dato umfangreichsten Fotoausstellungsprojekts seine Aufmerksamkeit für die Beobachtung von Ähnlichkeiten und Kategorisierungen, von Bildthemen und Motiven. Es handelte sich um das Monster-Projekt „The Family of Man“, das der Foto-Spezialist und Kurator Edward Steichen mit Werken der sogenannten „Post-War Photographers“ ab 1951 am Museum of Modern Art vorbereitete. Ausgerechnet nach der Erfahrung von Weltkrieg und Holocaust war die Wanderausstellung darauf ausgerichtet, in 37 Stationen ein glattes, sentimentales und schön gefärbtes Bild von der Menschheit unter Headlines wie „Liebe“, „Glaube“, „Geburt“, „Arbeit“ oder „Frieden“ zu entfalten. 

In nahezu noble Worte gekleidet hatte der poststrukturalistische Philosoph Roland Barthes dieses problematische Projekt, das gesellschaftliche Verhältnisse, Differenzen und Konfliktpotenziale als mehr oder weniger naturgegeben darstellte, als „Mystifkation“ kritisiert, „die seit jeher darin besteht, auf den Grund der Geschichte die Natur zu setzen.“ Insgesamt standen Robert Frank also eine Reihe unterschiedlicher Reibungspunkte entgegen, was ihn schließlich zur Idee einer alternativen Auseinandersetzung mit Lebenswelt und Alltag führte. Während die Doktrin der imposant aufgemachten Magazine nach strahlenden und sensationellen Abbildungen verlangte und die linke, engagierte Fotografie andererseits die Typologie der Klassengegensätze betonte, indem sie etwa Kohlearbeiter oder die Monotonie am Fließband zeigte. Im Gegensatz dazu wählte Frank am Beginn seiner Arbeit den dritten Weg eines subjektiv dokumentarischen Stils. 

Terrain der konzeptuellen Anfänge

Dessen erste Phase absolvierte Frank im Zuge einer kurzen Rückreise in die Schweiz 1949. Nun nicht mehr mit der ursprünglich üblichen 6×6 Mittelformatkamera, sondern mit einer Kleinbild Leica 3 (Modell F, 1934) ausgestattet, die ihn auch technisch auf das Terrain der Reportage-Fotografie führt, porträtiert er die Eigenheiten in der kleinen Appenzeller Landgemeinde Hundwil. Biografisch mit ihr zumindest in einem lokalen Nahverhältnis stehend, und aus New York mit dem ethnografischen Blick eines Fremden kommend, verfolgt Frank die öffentliche Versammlung der stimmberechtigten Bürger (bis 1990 ausschließlich Männer). Keineswegs ist es der Versuch eines objektiven Soziogramms; auch keine teilnehmende Innensicht. Vielmehr bleibt der Abstand spürbar, aus dem heraus der Fotograf an die vornehmlich männlichen Bewohner in der Öffentlichkeit heranrückt. Dabei entsteht ein Oszillieren zwischen Einfühlsamkeit und bleibender Fremdheit. Frank hebt Details wie Zylinderhüte, Kappen der Musikapelle, Posaunen oder Biergläser auf einem Gasthaustisch hervor, während andernorts zahlreich erhobene Hände ihre Stimme abgeben.

Hier liegen Urgrund und Experimentierstrecke für Robert Franks zutiefst persönlich gefärbte, 1958 zuerst in Frankreich und dann in den USA erschienene Studie „The Americans“, mit der er die zeitgenössische Fotografie neu determinierte.  Anfangs verrissen und mit deutlicher Abwehr scharf kritisiert, gilt das Buch nun als ein zentrales kulturelles Dokument. Dass es die „street photography“ begründete, stimmt zwar. Auch manifestiert sich darin ein spontaner Zugang, der befreit ist von technischem Perfektionismus. Ganz instinktiv und aus dem Bauch heraus entstanden die in dem Bildband enthaltenen 83 Bilder jedoch nicht. Es handelt sich nämlich um eine präzise Auswahl aus mehr als 20.000 belichteten Negativen. Bereits in dem unter Mithilfe des Fotografen Walker Evans formulierten Finanzierungsantrag an die Guggenheim-Foundation war genau angegeben, welche Themen Frank auf seiner Reise durcharbeiten wollte. Wie jetzt aus den Kontaktabzügen, welche in der Albertina als Teil der Robert Frank Retrospektive gezeigt werden, hervorgeht, basieren die wenigen – für die Öffentlichkeit gedachten – Fotografien auf einer langwierigen Auseinandersetzung mit dem extrem reichhaltigen Material und teilweise auch auf reflektierten Entscheidungen für bewusst gesetzte Bildausschnitte; selbst da, wo Fotos durch Unschärfen, scheinbar abgeschnittene Ränder, Schieflage der Linse oder unkonventionelle Größenverhältnisse charakterisiert sind. Was rigide ästhetische Konstruktion im Zuge der Postproduktion ist, wirkt wie die Annäherung mit versteckter Kamera. So entsteht der Eindruck einer oft schonungslosen dokumentarischen Authentizität. Die Annäherung erfolgte von der Gegenseite der sonst geglätteten Lifestyle-Welt her.

Bilder von den Rändern her

Wie beiläufig zieht Robert Frank Vergleiche und legt Gegensätze offen, wenn er die Upper Class mit Champagnerschalen in der Hand zeigt und eine junge schwarze Frau als Bedienerin in einem Imbissladen. Er durchkämmt die Arbeiterstadt Detroit ebenso wie die rassistischen Südstaaten. Nicht aber das Auto als großen Mythos auf dem Highway zeigt Frank, sondern ein älteres Ehepaar, dem der Wagen fast zu klein geraten ist. Mehrmals setzt er Schwarze ins Bild und verschafft ihnen so eine visuelle Stimme. Selbstverständlich kommen bei Frank auch Babies oder – umgekehrt – Bilder von einem Friedhof vor. Dokumente einer persönlichen existenziellen Erfahrung. Das Prinzip des Seriellen, das bereits seine Schweizer Fotoserie gekennzeichnet hat, setzt er hier fort, als Zeichensystem in einer abweisenden und düsteren Welt, in der immer wieder Fahnenstangen oder Paraden vorkommen. In jenen Jahren, in denen zuerst R&B und dann der Hüftschwung des Elvis Presley den Beginn von Popkultur und Aufbegehren einleiten, rückt Frank auch die Jukebox als alternatives kulturelles Symbol ins Bild; doch mehr wie einen existenziellen Rettungsanker in einer vereinsamten Welt. Er selbst, für dessen erstes Buch Jack Kerouac ein Vorwort verfasst hatte, bewegte sich mehr in der Subkultur der Hipster und Beatniks.

Sein aufwendig vorbereiteter, ästhetischer Befreiungsschlag macht Robert Frank zu einer Schlüsselfigur der Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Noch weitere Male widmet er sich in Fotobüchern der sozialen Topologie signifikanter Orte wie Paris oder Wales. Bildbände, die für sich stehenden Werkcharakter haben, weil die darin enthaltenen Textpassagen aufs Äußerste reduziert bleiben. Nicht weit war der Weg von hier aus zu ersten filmischen Arbeiten, worin Regisseur Richard Linklater einen der zahlreichen Anfänge des Independent-Kinos sah. Schon ab 1959 – im Sog des Erfolgs seiner Publikationen – fing Robert Frank an Filme zu drehen. Sein erster Streifen Pull My Daisy bezieht sich auf Szenen aus einem von Jack Kerouacs nie vollendetem Theaterstück mit dem bezeichnenden Titel „The Beat Generation“. Als Fortsetzung der Ideen im Bereich der Fotografie, wurde Pull My Daisy tatsächlich spontan und mit einfachstem Equipment unter Mitwirkung von Freunden und Schauspielern gedreht. Es wesentlich härteres Zeitdokument ist der trashig wirkende und von sexuellen Anspielungen durchdrungene Streifen Cocksucker Blues mit den Rolling Stones (1972). 

Entscheidend aber bleibt, dass Robert Frank, der größtenteils zurückgezogen in der kleinen Ortschaft Mabou in Nova Scotia (Kanada) lebte, stets danach strebte, Wiederholungen zu vermeiden und versuchte, neue experimentelle Routen zu erkunden. Bis in die letzten Jahre seines Schaffens blieb er daher offen für neue technologische Verfahren, ohne dem Fortschrittsglauben seiner Zeit zu erliegen. Sogar in der Phase tiefer Traurigkeit nach dem tödlichen Unfall seiner Tochter und dem Selbstmord seines erkrankten Sohnes reflektierte er die Möglichkeiten fotografischer Aufzeichnung, indem er – unter Einbeziehung von Polaroids – mit Text bekritzelte Bildmontagen anfertigte. In einer persönlich dramatischen Lebenssituation wurden sie zum Ausdruck seiner explizit antiästhetischen Haltung, die Robert Frank seit seiner Abwendung von der visuellen Inszenierung des American Way of Life bis zuletzt konsequent weiter verfolgte.

 

Die Amerikaner. Fotografien von Robert Frank

Steidl Verlag, Göttingen 2008

Robert Delpire 1958

Grove Press 1959

Robert Frank. Photographs

Parkett/Der Alltag Publishers. Zürich 1989

Essays über Robert Frank

Herausgegeben von Martin Gasser, Urs Stahel, Peter Pfrunder und Thomas Seelig

Steidl Verlag, Göttingen 2005

Don’t Blink – Robert Frank

Biografie, Dokumentation. Frankreich, Kanada, USA 2015

Regie: Laura Israel, 82 Minuten.

Filmstart: 10. November 2017 

Robert Frank 

Albertina , 25. Oktober. 2017 – 21. Januar 2018 

Albertina, Albertinaplatz 1, 1010 Wien 

Dialogführung – 17. Jänner 2018 | 17.30 Uhr 

Walter Moser, Kurator der Ausstellung gemeinsam mit Michael Loebenstein, Direktor des Österreichischen Filmmuseums 

www.albertina.at 

| FAQ 44 | | Text: Schöny Roland | Fotos: Press
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