Der stoische Ausdruck hat sich dem Mann förmlich ins Gesicht eingegraben. Ganz gleich ob Julian die Nachricht vom Tod seines Bruders erfährt, von seiner Mutter heruntergeputzt wird wie ein schlimmes Kleinkind oder ob er jemanden aus nächster Nähe eine Kugel durch den Schädel jagt – er verzieht einfach keine Miene. Dieser reichlich unterkühlte Gestus des von Ryan Gosling gespielten Protagonisten erscheint wie die Programmatik von Nicolas Winding Refns Rache-Thriller Only God Forgives, der schon bei seiner Premiere bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes recht kontrovers aufgenommen wurde.
Dieser Julian, der sich wegen einer Mordanklage aus den heimatlichen USA absetzen musste, lebt also in Bangkok, wo er gemeinsam mit seinem Bruder Billy ein Trainingszentrum für Thai-Boxer betreibt. Dies ist jedoch nur Fassade, denn eigentlich sind die Brüder mit Drogenhandel beschäftigt. Billy ist zudem ein ziemlicher Psychopath, dessen Freizeitgestaltung etwa darin besteht, Prostituierte zu verprügeln. Eines Abends verliert er dabei völlig die Kontrolle, ein Mädchen liegt tot im Hotelzimmer. Weil der örtliche Polizeichef ein noch üblerer Typ als Billy ist – und zudem noch mehr kriminelle Energie hat –, regelt er die Sache intern, will heißen: Er gibt dem Vater des Mädchens Gelegenheit, Billy den Schädel einzuschlagen. Doch im Gegensatz zu Julian sieht seine Mutter, die aus Übersee anreist, den Tod ihres anderen Sohnes nicht ganz so gelassen und fordert Blutrache ein.
Soweit der ein wenig archaisch angehauchte Plot von Nicolas Winding Refns neuem Film. Dass der ein wenig simpel daherkommt, tut zunächst einmal nichts zur Sache, haben doch elaborierte, komplexe Handlungsstränge im Kino des Nicolas Winding Refn gewohnterweise wenig Platz. Refn hat sich mit einer strikten Ästhetik, bei der Stilisierung ein zentrales Element ist, eine beachtliche Reputation als eigenwilliger Kino-Auteur erworben. Seine Arbeiten sind zwar grundsätzlich alle im Genre-Kino verhaftet, doch ist dies lediglich ein Gerüst für die eigentliche Intention dieses Filmemachers. Die Inszenierungen zielen verstärkt darauf ab, gleichsam die Essenz des jeweiligen Genres inhaltlich und formal bloßzulegen und damit eine Form von lupenreinem Kino abzuliefern. War Nicolas Refns Debütfilm, der im Drogenmilieu angesiedelte Pusher (1996), ein rasanter, in seiner atmosphärischen Dichte und visuellen Aufbereitung streckenweise semi-dokumentarisch anmutender Thriller, so ging er in seinen folgenden Filmen vermehrt dazu über, sich konventionellen dramaturgischen Mustern zu entziehen. Dabei bricht Refn klassische Genre-Muster und Topoi auf ihren Kern herunter, um sie in reduzierter Form zu präsentieren. Die Charaktere bleiben dabei oft Figuren, deren Motivation oder psychologischer Hintergrund bewusst ausgespart bleibt.
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Only God Forgives
Action/Drama, Dänemark/Frankreich/Thailand 2013
Regie, Drehbuch Nicolas Winding Refn Kamera Larry Smith
Schnitt Matthew Newman Musik Cliff Martinez
Mit Ryan Gosling, Kristin Scott Thomas, Vithaya Pansringarm,
Yayaying Rhatha Phongam, Tom Burke, Byron Gibson
Verleih Constantin Film, 90 Minuten
Kinostart 19. Juli