Startseite » Schmutzige Wahrheiten

Schmutzige Wahrheiten

Text: Ruth Schink | Fotos: Pascal Rostain & Bruno Mouron

Seit rund zwanzig Jahren wühlen Pascal Rostain und Bruno Mouron in den Mülltonnen von Reich & Schön, um deren Inhalt, gereinigt, sortiert und als Fotocollage arrangiert, in Galerien von New York bis Paris auszustellen. Das Projekt nennt sich simpel „Star Trash“ und die Idee dazu entstand in den 80er Jahren nach einem Zeitungsartikel. Ein Soziologie-Professor der Universität Montpellier berichtete in Le Monde über ein Projekt, in dem er mit seinen Studenten Haushaltsabfälle untersuchte, um Konsummuster und Sozialverhalten eines bestimmten Gebiets zu erforschen.

„Pascals Bruder ist Archäologe. Er erkannte sofort das Potenzial der Idee und wünschte, Historiker hätten solche Müll-IDs zur Verfügung, um mehr über berühmte Persönlichkeiten der Vergangenheit zu erfahren. Stellen Sie sich vor, wir hätten Zeugnisse über den Abfall von Alexander dem Großen, Napoleon oder Buddha!“ Und so begann alles.

Rostain und Mouron wollten mehr als das übliche Sarkozy-vergnügt-sich-mit-Bruni-in-Disneyland-Foto. Exklusiver, privater und interessanter wäre da schon ein Blick in die Tonne des Präsidenten. Müll ist nämlich nicht gleich Müll. Es kommt darauf an, wer ihn hinterlässt. Und ab sofort war klar: je prominenter desto besser.

Gérard Depardieu, die große BB und der Rechte Jean-Marie Le Pen machten den Anfang. Ermutigt durch Daniel Filipacchi, einen ehemaligen Medienmagnaten und Kunstsammler, setzten die beiden Fotografen ihr Werk in Hollywoods Abfalleimern fort. Brando, Spielberg, Schwarzen-egger – die Liste ist lang. Rund 40 Porträts entstanden bisher von Politikern, Schauspielern, Musikern, Künstlern, Sportlern und anderen Prominenten. Jedem dieser Bilder liegen intensive Vorbereitungen und Recherchen zugrunde. „Manchmal kann es ein bis zwei Wochen dauern, bis man den richtigen Müll lokalisiert hat und sichergestellt hat, dass der Abfall nicht von Angestellten, Nachbarn oder sonst wem stammt.“

Das gesammelte Rohmaterial wird anschließend selektiert, zu einer Komposition aus Form und Farbe zusammengefügt und schließlich mit einer 8×12-Inch-Profi-Kamera abgelichtet. Der frontale Blick und die methodische Anordnung der Dinge erinnern dabei an botanische und medizinische Bücher des 18. und 19. Jahrhunderts. Und das nicht von ungefähr. Rostain und Mouron wollen mit ihren „abfälligen“ Still-Leben eine wissenschaftliche Betrachtung schaffen. Eine Art Lexikon der modernen Konsumkultur. Ein Bilderbuch der Wegwerfgesellschaft. Kleine Museen für Verpackung und Werbung.

Gerahmt und ausgestellt finden die verworfenen Gegenstände schließlich ihren Weg zurück ins Leben – vom Dunkel ans Licht. Die 2×3 Meter großen Fotografien kann man ebenso dokumentarisch wie allegorisch betrachten. Als Spiegelbild der Person, die sich ihrer entledigte und als Abbild der Kultur, in der sie lebt. Doch die Grabungen fördern noch viel mehr zu Tage. Die Fundstücke sind wie Auszüge einer unfreiwillig veröffentlichten Biografie, wie ein geheimes Tagebuch, das an einer beliebigen Stelle aufgeschlagen wurde.

„Das Konsumverhalten eines Menschen verrät mehr über ihn als jedes Interview. An seinem Müll sieht man, wie ein Mensch lebt.“ Doch was offenbart uns der Müll von Jack Nicholson tatsächlich? Einige leere Flaschen lassen vermuten – er trinkt viel Alkohol. Im Gegensatz zu Madonna. Die konsumiert beinah ausschließlich Volvic und Evian. Michael Jackson wiederum trägt gern Feinripp-Unterwäsche, und Sharon Stone bevorzugt Dosenbirnen.

Ganz egal, was wir aus diesen Überresten lesen mögen – die Interpretation ist so subjektiv und unumstößlich wie eine Kaffeesatzprognose. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, die Tonnen der Stars zu plündern. Denn das Geschäft mit prominentem Müll boomt. Und es treibt bisweilen kuriose Blüten. eBay zeigt vor, wie viel fanatische Fans für obskure Sammlerstücke auszugeben bereit sind. Da wäre etwa Scarlett Johanssons vollgerotztes Taschentuch oder Michael Jacksons gebrauchte Unterhose, die zum Startpreis von 1 Million Dollar angesetzt war. Auch Paris Hilton erfreut sich großer Beliebtheit in der stetig wachsenden Netzgemeinde. Ein findiger Unternehmer stellte den gesamten Inhalt ihrer Kübel online. Seine Erfolgsbilanz: Eine leere Dose Hundefutter, 300 Dollar. Zwei an Hiltons damalige Gefängnis-adresse gerichtete Kuverts, 500 Dollar. Eine benutzte Zahnbürste, 300 Dollar. Und so weiter und so weiter.

Amerikanische Online-Auktionshäuser legen noch eins drauf. Sie versteigern Murderabilia. Das Spektrum dieser makabren Offerte reicht von abgeschnittenen Fingernägeln bis zu Haarteilen, und die Hall of Shame von Charles Manson bis Jeffrey Dahmer. So sind selbst die elenden Überreste von Schwerstverbrechern in Zeiten wie diesen noch Gold wert.

Müll ist Kunst

Man kann es drehen und wenden wie man will. In zwei Jahrzehnten Arbeit haben Pascal Rostain und Bruno Mouron nicht nur hunderte Kilo Abfall gesammelt, sondern es auch geschafft, dass ihr Star Trash in Museen ausgestellt und ab 6.000 Euro je Bild verkauft wird.

Müll zu Kunst zu erheben, ist durchaus keine neue Idee. Der große Marcel Duchamp hat es allen vorgemacht, als er ein Pissoir in eine Galerie stellte. Der italienische Konzeptkünstler Piero Manzoni ging noch einen Schritt weiter. Er füllte 30 Gramm seiner eigenen Fäkalien in 90 Dosen, beschriftete sie mit „Künstlerscheiße“ und verkaufte sie dann zum Preis von Gold. Heute sind die Dosen in diversen Sammlungen verstreut und jeweils rund 30.000 Euro wert.

Der französische Künstler Arman wiederum versandte eine mit Abfällen gefüllte Sardinenbüchse an tausend Pariser Haushalte. Gleichzeitig forderte er die Empfänger auf, das Paket vor dem 25.10.1960 zu öffnen. An diesem Tag wurde seine Ausstellung in der Galerie Iris Clert eröffnet. Die Räume waren mit 60 Kubikmetern Müll prall gefüllt, der sich bis unter die Decke stapelte: 14 Nachttöpfe, 6 defekte Radios, 48 Spazierstöcke, 7 Kaffeemühlen, 8 Wasserkessel, 6 Brotscheiben, 180 Vogelkäfige, 100 Kilo alte Schallplatten … Sogar die Türen mussten verbarrikadiert werden, damit dieser immense Schrotthaufen nicht die gesamte Straße überschwemmte.

Arman betrachtete Abfälle als Attribute eines individuellen Lebensentwurfs im Wechsel von einer Mangel- zur Überflussgesellschaft. Und auch Joseph Beuys wusste: „Der Abfall ist die Ausscheidung der Zivilisation, Abfall aus der Geschichte und daher deren Zeugnis.“ Bedeutet das also, dass Mouron und Rostain Archäologen des Alltags sind? Sind sie, ähnlich Dokumentarfilmern, im Dienste der Aufklärung unterwegs? Sind sie Mahner der gesellschaftlichen Veränderung? Oder geht es doch nur ums große Geld?

Ein schmutziges Geschäft

Der aktuelle Hype um alles, was mit Paparazzi zu tun hat, ist jedenfalls gut fürs Geschäft. Waren die Männer hinter den Kameras lange Zeit anonym, mutieren sie heute selber zu Stars. Das Business, das in Fellinis „La dolce vita“ romantisch begann, hat dabei längst auf die dunkle Seite gewechselt. Rivalisierende Agenturen haben Mitglieder berüchtigter Straßengangs von Los Angeles mit Kameras bewaffnet, um sich das beste Bild zu erkämpfen. Trotzdem feiern immer mehr Ausstellungen in Amerika und Europa ihre Paparazzi als Helden und Künstler.

Sind Pascal Rostain und Bruno Mouron nun Kopfgeldjäger auf der Pirsch nach dem kuriosesten Fund, oder ist der große Abschuss eine Kunstform? Ihr Geschäft ist und bleibt in jedem Fall ein schmutziges. Schließlich profitieren die beiden Franzosen von dem, was andere wegwerfen. Da werden ein paar gute Gummihandschuhe schnell zu deinem besten Freund. „Wir sind Journalisten. Das sind unsere Recherchen. Diese Aufgabe erledigen wir selber, weil wir es sind, die eine Auswahl treffen. Außerdem wollen wir nicht, dass Leute uns Dinge bringen, die nicht von der gewünschten Person stammen. Manchmal begleitet uns jemand mit der Kamera, um zu dokumentieren wo und wie wir arbeiten und was wir im Müll finden.“

Diese Arbeit ist anrüchig und gefährlich zugleich. Sollten sie auf frischer Tat ertappt werden, drohen zumindest in Kalifornien bis zu tausend Dollar Strafe. „Es ist unser Job, nicht erwischt zu werden. Das Gesetz ist, was Müll angeht, weltweit ziemlich simpel: Müll gilt als öffentlich und nicht als privat – solange er sich auf der Straße befindet.“

Nicht einmal die Flughafenbehörden hegen Bedenken, wenn die beiden Fotografen säckeweise Müll durch die Gepäckkontrolle schleppen. „Wir hatten in all den Jahren nie Probleme, mit einer Ausnahme, in der Schweiz. Normalerweise bekommt man Troubles, wenn man Geld auf Schweizer Offshore-Konten bringt, wir gerieten in Schwierigkeiten, weil wir Müll außer Landes bringen wollten!“

Trotz der klaren Rechtslage stellt sich die Frage: Ist es verwerflich, im Weggeworfenen zu kramen? Wer Dinge in den Eimer kippt, will sie schließlich endgültig los werden und nicht im öffentlichen Rampenlicht einer Galerie wieder finden. „Wir halten uns streng an die Regeln und versuchen die Privatsphäre nicht zu verletzen. Zum Beispiel haben wir alle Objekte, die mit Sexualität, medizinischen oder privaten Belangen zu tun haben, aus den Fundstücken entfernt.“ Wie sich bei diesem ehrenhaften Credo dennoch Erwachsenen-Windeln in das Porträt von CNN-Talkmaster Larry King mogeln konnten, bleibt ein Rätsel.

Rostain und Mouron stellen mit ihren Bestandsaufnahmen immer wieder Schwächen bloß: streng geheime Dokumente in Reagans Hausmüll, Junkfood bei Cindy Craw-ford, Pamela Andersons Berg an leeren Weinflaschen und John Travolta, der sich seine Pizza von Chicago nach L.A. fedexen lässt. Solche Geschichten haben die beiden bekannt gemacht. Was nach billigem Voyeurismus aussieht, ist offiziell eine soziologische Studie: „Wir sehen das wahre Leben. Es ist eine Blaupause des American Way of Life.“ Die Art und Weise, wie sie bei ihrer Arbeit vorgehen, hat tatsächlich viel mit Soziologie zu tun:  Recherche, Lokalisierung, Datensammlung, Kategorisierung und Verwertung.

Vor kurzem hatte das Duo eine Ausstellung im Museum für Fotografie in Moskau. „Wir entschieden uns, eine Serie über den Müll der Bewohner der Stadt zu machen. Es war unser erstes Mal in Moskau, und wir waren schockiert von den gegensätzlichen Lebensumständen. So haben wir den beinah obszön luxuriösen Müll der reichen Viertel dem der armen Vorstädte gegenübergestellt.“

Rund zwölf solch anonymer Porträts von Orten überall auf der Welt gibt es bereits. Insgesamt 42 Länder wollen sie für „Global Trash“ porträtieren, um den Einfluss der Internationalisierung auf lokales Leben und Kultur zu untersuchen. „Die Suburbs von Kuala Lumpur, Qatar City oder die Favelas Rio de Janeiros – die Welt verändert sich so schnell, und ökonomische Umbrüche verändern unsere Art zu leben. Vielleicht werden wir einmal nach grünem Müll suchen. Das wäre großartig und ist eines der Anliegen unserer derzeitigen Arbeit.“

Egal ob hoher Anspruch oder doch nur großes Geld. Pascal Rostain und Bruno Mouron hatten jedenfalls vor zwanzig Jahren das Gespür für eine gute Geschichte und das Geschick, ihre Profession als Paparazzi zur Kunstform zu erheben. Und für diese Erkenntnis brauchten wir nicht einmal einen Blick in ihre Mülleimer zu werfen.

Bruno Mouron (geb. 1954), auch „Prinz der Paparazzi“ genannt, startete seine Karriere als Fotojournalist bei der französischen Tageszeitung L’Aurore. Später wechselte er zum Boulevardmagazin Paris Match. Bekannt wurde er durch seine Pop Art und Design Sammlung, die unter anderem im Centre Pompidou in Paris ausgestellt wurde. Gemeinsam mit Pascal Rostain (geb. 1958) gründete er die Fotoagentur Sphinx. Rostain kam 1980 zu Paris Match, nachdem er längere Zeit im Tschad als Kriegsfotograf unterwegs war. Rostain und Mouron arbeiteten für eine Reihe bekannter Magazine wie Stern, Vanity Fair, Sunday Times Magazine, Le Figaro, Paris Match und El Mundo.

| FAQ 02 | | Text: Ruth Schink | Fotos: Pascal Rostain & Bruno Mouron
Share