Startseite » Schönheit des Verfalls

Schönheit des Verfalls

© David Lynch

„I just like going into strange worlds.“ Der Einleitungssatz zum vorliegenden Katalog könnte ein übergreifendes Motto für die Arbeiten David Lynchs sein: Als Regisseur, als Musiker oder eben auch als Bildender Künstler hat er es immer wieder geschafft, fremde, unheimliche Welten aus den vertrauten Orten heraus zu entfalten – und sein Publikum in eben jene unheimlichen Übergangsbereiche zu entführen, die durch seine unverkennbare Handschrift erst ihre paradoxe, düstere Strahlkraft entwickelten. Auch „The Factory Photographs“ sind diesem eigenwilligen Zugriff auf die Wirklichkeit verpflichtet. Die Schwarz-Weiß-Fotografien, ergänzt um einige Gemälde und Texte, eröffnen einen dunklen, romantischen Blick auf menschleere Industrielandschaften, auf Verfall und Verwahrlosung. Wenig zufällig wirken die geschundenen, verlassenen Gebäude streckenweise wie steinerne Leichname, in denen die Natur das Organische wieder an die Stelle des Künstlichen treten lässt. Doch just diese zerstörerischen Prozesse der Verwandlung nutzt Lynch beeindruckend, um in seinen Arbeiten eine melancholische Schönheit einzufangen. Jedes Bild fordert förmlich zu Spekulationen über Geschichte und Geschichten, über die Abwesenheit von Totalität und Fortschrittsgläubigkeit heraus. Wir sehen hier nicht nur Ruinen in Europa oder den USA, vielmehr sind es Tatorte des Erzählens, zu denen hingeführt wird. David Lynch knüpft mit diesen Arbeiten an ein in Kunst und Theorie vielverhandeltes Thema an, gleichzeitg erweitert er damit aber auch seinen eigenen Kosmos: Das Industrielle, die Fabrik und die Maschine sind Konstanten in seiner filmischen Arbeit, seien es nun sein Debüt Eraserhead, die viktorianische Fabel The Elephant Man, das unterschätzte Epos Dune oder auch der TV-Film Industrial Symphony No. 1. Mit fast schon kindlicher Neugier spürt er in den Architekturkomplexen, die ihre einfache, eindimensional wirkende Zuschreibung verloren haben, bedrohliche Imaginationsräume auf. Seine Archäologie der Gegenwart entführt einmal mehr in die von ihm so geliebten „strange worlds“.

 

David Lynch

The Factory Photographs

Herausgegeben von Petra Giloy-Hirtz

Prestel Verlag 2014, € 51,40

www.randomhouse.de

Lynch_Cover.jpg

„I just like going into strange worlds.“ Der Einleitungssatz zum vorliegenden Katalog könnte ein übergreifendes Motto für die Arbeiten David Lynchs sein: Als Regisseur, als Musiker oder eben auch als Bildender Künstler hat er es immer wieder geschafft, fremde, unheimliche Welten aus den vertrauten Orten heraus zu entfalten – und sein Publikum in eben jene unheimlichen Übergangsbereiche zu entführen, die durch seine unverkennbare Handschrift erst ihre paradoxe, düstere Strahlkraft entwickelten. Auch „The Factory Photographs“ sind diesem eigenwilligen Zugriff auf die Wirklichkeit verpflichtet. Die Schwarz-Weiß-Fotografien, ergänzt um einige Gemälde und Texte, eröffnen einen dunklen, romantischen Blick auf menschleere Industrielandschaften, auf Verfall und Verwahrlosung. Wenig zufällig wirken die geschundenen, verlassenen Gebäude streckenweise wie steinerne Leichname, in denen die Natur das Organische wieder an die Stelle des Künstlichen treten lässt. Doch just diese zerstörerischen Prozesse der Verwandlung nutzt Lynch beeindruckend, um in seinen Arbeiten eine melancholische Schönheit einzufangen. Jedes Bild fordert förmlich zu Spekulationen über Geschichte und Geschichten, über die Abwesenheit von Totalität und Fortschrittsgläubigkeit heraus. Wir sehen hier nicht nur Ruinen in Europa oder den USA, vielmehr sind es Tatorte des Erzählens, zu denen hingeführt wird. David Lynch knüpft mit diesen Arbeiten an ein in Kunst und Theorie vielverhandeltes Thema an, gleichzeitg erweitert er damit aber auch seinen eigenen Kosmos: Das Industrielle, die Fabrik und die Maschine sind Konstanten in seiner filmischen Arbeit, seien es nun sein Debüt Eraserhead, die viktorianische Fabel The Elephant Man, das unterschätzte Epos Dune oder auch der TV-Film Industrial Symphony No. 1. Mit fast schon kindlicher Neugier spürt er in den Architekturkomplexen, die ihre einfache, eindimensional wirkende Zuschreibung verloren haben, bedrohliche Imaginationsräume auf. Seine Archäologie der Gegenwart entführt einmal mehr in die von ihm so geliebten „strange worlds“.

| | Text: Ballhausen Thomas
Share