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Simone Signoret & Yves Montand

Text: Jörg Becker | Fotos: Österreichisches Filmmuseum, Studiocanal

Zum 100. Geburtstag zweier französischer Leinwandikonen: ein umfassender Blick auf Leben und Werk.

Simone Signoret in "Goldhelm"

Simone Signoret wurde von der Kamera geliebt, wo sie diese doch gar nicht zu beachten schien. Ihr Blick – als Ausdrucksfläche tiefster Verletzbarkeit wie auch   anspringender, offensiver Emotionalität, mal trauerverschleiert, nachdenklich, mal lodernd aufblitzendes Auge – bewies die ganze Kraft ihrer darstellerischen Präsenz, verströmte eine durchweg spürbare Autonomie, selbstbestimmt von Interesse, Neugier, Faszination, Verwunderung, Überraschung erfüllt, all dem, was die Aufmerksamkeit gegenüber ihrem intelligenten Spiel erregte und an sich band, und überstrahlte ein Gesicht, das von der äußeren Welt zugleich amüsiert wie ermüdet wirkte – ihr Blick scheint das eigentlich „Signoreske“; an ihm erkennt man die Löwin.

Frei von bürgerlichen Komplexen

Schön und stark und für die vierziger Jahre etwas verrucht – solche Ausstrahlung schien Simone Signoret zu Beginn ihrer Karriere für Rollen im Halbweltmilieu zu prädestinieren. Für dieses Auftreten brauchte es eine gewisse Freiheit von „bürgerlichen Komplexen“, wie sie sich selbst in Erinnerung an die Anfänge ihres Künstlerlebens in Paris ausdrückte. Im Jahr 1941 sei sie mit gerade einmal 20 Jahren in Saint-Germain-des-Près im „Café de Flore“ aufgetaucht und fand dort eine Art Wahlfamilie, einen Zufluchtsort fern des bourgeoisen Vororts Neuilly, in dem sie aufgewachsen war. Zu Zeiten der Nazi-Okkupation, Paris unter deutscher Herrschaft, begegnete Simone Kaminker, die den Namen ihrer Mutter annahm, da sie nach NS-Kriterien als „Halbjüdin“ gegolten hätte, hier Menschen, die frei gewesen seien von sozialhierarchischen Reflexen, unter ihnen Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Alberto Giacometti. Mit absolviertem Baccalauréat hatte sie ein Jurastudium geplant, doch zunächst galt es, den Lebensunterhalt zu verdienen und für ihre Mutter und die zwei kleineren Brüder zu sorgen, da ihr Vater, ein Übersetzer polnisch-jüdischer Herkunft, ins Londoner Exil gegangen war, um sich den Truppen General De Gaulles anzuschließen.

In Marcel Carnés Les visiteurs du soir / Die Nacht mit dem Teufel (1942) bekommt sie eine Komparsinnenrolle: Platziert an höfischer Tafel, scheint sie als Schlossfräulein des späten 15. Jahrhunderts von einem Lichtspot aus einer diagonalen Sitzreihe mit ebenfalls kostümierten Gästen, die sich alle dem Kamera-Off zuwenden, herausgehoben. Noch Jahrzehnte später spricht sie geradezu ehrerbietig über die Gegenwart von Arletty, Jules Berry und anderen Stars des französischen
Kinos bei diesen Dreharbeiten. Erste richtige Rollen – in Les démons de l’aube / Dawn Devils (1946) zeigen ein Mädchen, das, sich der Blicke der Männer bewusst, mit freibeuterischer Attraktivität agiert. Sie heiratet den Regisseur Yves Allégret, mit dem sie schon vor der Eheschließung eine Tochter hat, tritt in seinen folgenden Filmen auf: Déedée d’Anvers / Die Schenke zum Vollmond (1948), „eine französische Rita Hayworth in einem tiefschwarzen Film“ (Marli Feldvoss) und Manèges / Die Beichte ihres Lebens (1950), Filme mit einschlägigem Frauenbild der Heldinnen des französischem Noir zwischen Geliebter und Hure, lockeren Sitten und „Filles perdues“, Verdorbenheit und kalkulierter Erotik. Ihr Rollenbild zu jener Zeit war vor allem das der Dirne – so besetzte sie auch der große Max Ophüls in seiner Arthur-Schnitzler-Adaption La ronde / Der Reigen (1950), in dem der bürgerlichen Ehe eine Diagnose gestellt wird: Wie Schnitzler beschreibt Ophüls mit kritisch-sezierendem Blick auf den Umgang der Gesellschaft mit Liebe und Sexualität die Ehe als verlogene Institution zur Unterdrückung der Frau. Für seinen Film La mort en ce jardin / Der Tod in diesem Garten (1956) besetzt sie ein weiterer großer Meister der Regiekunst, nämlich Luis Buñuel.

Goldhelm, 1952. Regie: Jacques Becker

Frau mit Vergangenheit

Schwarze Rollen und fatale Verhältnisse bestimmen ihre Filmarbeiten, in 12 von 16 Filmen zwischen Mitte der vierziger und der fünfziger Jahre verkörpert sie machtbesessene Frauen oder Prostituierte. In der Eröffnungsszene von Casque d’or / Goldhelm (1952, Jacques Becker) herrscht mit einem Stimmungsbild aus den alten Zeiten der Belle Époque mit der sonntäglichen Bootsfahrt, einer Partie de campagne, ein wahres Idyll. Mit dem Erscheinen von Simone Signoret auf der Leinwand, ihrem auffallend selbstbewussten Gebaren, dem amüsierten Blick, ihrer Chuzpe fällt wie ein unerwarteter Anachronismus ein modernes Menschenverhältnis in die Erzählung und eine Liebesgeschichte beginnt, die zum Scheitern verurteilt ist. „Ein kleiner Mann und eine große Frau“, beschrieb François Truffaut später einmal das ungleiche Liebespaar Serge Reggiani und Signoret aus Hure mit Herz und Ex-Gauner, der als Handwerker ehrlich werden will, „ein kleiner, sehniger streunender Kater und eine schöne fleischfressende Pflanze“. Regisseur Becker, der Jean Renoir-Schüler, hatte dagegen „eine elegische Abhandlung über sexuelle Gleichberechtigung“ vor Augen. Ihr kühn aufgetürmtes Blondhaar, der „Goldhelm“, krönt ihre gnadenlose Schönheit, und ihr Filmpartner Reggiani verkörperte eine frühe Version des „Anti-Macho“ im französischen Kino, in dem bis dahin virile Männerbilder wie Gabin, Ventura oder Delon dominierten. Der British Film Academy Award, der englische Oscar, den sie für diesen Film erhielt, war Signorets erste internationale Trophäe, ihr Aufstieg in die Weltliga.

Die Adaption von Emile Zolas Roman Thérèse Raquin (1953, Marcel Carné) ließ den Wandel von der züchtigen Krämersfrau zu einer kämpferischen Liebenden und Mordkomplizin sinnlich nachvollziehbar werden, ohne sie als verwerfliche Ehebrecherin darzustellen. In coolem Look mit dunkler Sonnenbrille und Etuikleid tritt sie in Henri-Georges Clouzots Les diaboliques / Die Teuflischen (1955) als Femme fatale auf, boshaft und mit schneidender Stimme, wenngleich ihr ehebrecherisches Verhältnis zugunsten der Horroreffekte im Hintergrund bleibt.

Gegen Ende der fünfziger Jahre schien Simone Signoret die Rollen von Glanz und Glamour hinter sich zu haben. Als der britische Regisseur Jack Clayton eine Schauspielerin mit dem Image einer reifen Frau und zugleich der stürmischen Geliebten suchte, fand er in Signoret die Idealbesetzung für das englische Klassendrama Room at the Top / Der Weg nach oben (1958), das als erster britischer Film gilt, in dem Sexualität realistisch und lustvoll dargestellt wird und nicht zwangsläufig mit Sünde einhergeht und im Elend endet. Der im Realismus des British New Wave gehaltene Film nach dem Roman von John Braine, einem jener ‚Angry Young Men‘-Autoren, die den sogenannten ‚Kitchen Sink Realism‘ vertraten, handelt von einer unglücklich verheirateten Frau, Alice Aisgill – Signoret also wiederum in der Rolle einer ‚Frau mit Vergangenheit‘ –, die sich in einen Aufsteiger aus der Working class verliebt. Zu spät erkennt der Aufsteiger, der ihr schon einmal eifersüchtig Vorwürfe wegen eines lange zurückliegenden Jobs als Aktmodell gemacht hat, dass Alice die Frau seines Lebens ist, und nicht jene reiche Erbin, die er gerade geschwängert hat. Gesucht war die ältere, kluge und glamouröse Verführerin, die Simone Signoret durchweg authentisch in ihrem damaligen Alter, mit einer Fülle von Großaufnahmen, einem nuanciert-minimalistischen Spiel sichtbaren Begehrens, hingebungsvoller Blicke, sinnlicher Gesten verkörperte. „The most daring and adult film in a decade!“, versprach der Trailer. Mit 38 Jahren gewann Simone Signoret dafür den Darstellerinnenpreis in Cannes und gleich noch den Oscar. 1959 begleitete sie ihren Mann zu Dreharbeiten in die USA, wo er zu Beginn des Jahres 1960 als Filmpartner von Marilyn Monroe für Let’s Make Love / Machen wir’s in Liebe (George Cukor) engagiert ist.

Neue Rollenbilder

Für Dreharbeiten zu einem Film mit Marcello Mastroianni (Adua e le compagne / Adua und ihre Gefährten), 1960 in Rom, wird Signoret von einem Medienaufruhr überrollt, mit dem die gleichzeitig stattfindende offene Affäre zwischen Montand und Monroe verbreitet wird. Ihr Blick in die Fotokameras aus dieser Zeit sagt alles. Am tiefsten sei sie verletzt über die weltweite Demütigung, als sei sie dafür verantwortlich gewesen, erklärt sie später, aber auch: Sie habe gern einen Mann, der gut ankommt. Im Magazin „Der Spiegel“ (16.1.1977) wird ein Auszug aus den 1977 auf deutsch erscheinenden Memoiren von Simone Signoret veröffentlicht, die gemeinsam verbrachte Zeit mit Marilyn Monroe und Arthus Miller während der Dreharbeiten in Hollywood betreffend, ein Text, der die ebenso sozialkritische wie empathisch-psychologische Klugheit dieser Schauspielerin – einer Intellektuellen eben – zum Ausdruck bringt. Titel: „Meine kleine, verängstigte Nachbarin“. In den Augen der Öffentlichkeit galt sie jetzt als die betrogene Ehefrau, gewissermaßen ein Rollenbild.

Armee im Schatten, 1969. Regie: Jean-Pierre Melville

Der Sträfling und die Witwe, 1971. Regie: Pierre Granier-Deferre

Schauplatz des Films Ship of Fools / Das Narrenschiff (1965, Stanley Kramer) ist ein deutsches Passagierdampfer auf einer Passage von Veracruz nach Bremerhaven zur Zeit der Nazi-Machtübernahme im Reich. Für Signorets Rolle einer drogenabhängigen spanischen Komtessa, in die sich ein herzkranker Schiffsarzt (Oskar Werner) verliebt, gibt es eine Oskar-Nominierung als beste Hauptdarstellerin. Der Simenon-Stoff La veuve Couderc / Die Witwe Couderc (Pierre Granier-Deferre 1971) zeigt sie an der Seite des wesentlich jüngeren Delon, der in der Rolle eines Gefängnisflüchtlings bei ihr unterkommt und sich bald zu ihr hingezogen fühlt. In Le chat / Die Katze (1971, Granier-Deferre) liefert sich Simone Signoret ein wortloses Gefecht mit Jean Gabin; ein altes Ehepaar in einem alten Haus inmitten eines Neubaugebiets führt Krieg, stumm und mit Blicken, Zetteln und gekritzelten Nachrichten. In L’aveu / Das Geständnis (1970), von Constantin Costa-Gavras, dessen die griechische Militärjunta anprangerndes „Politdrama“ Z / Z – Anatomie eines politischen Mordes (1969, Musik: MikisTheodorakis) ebenfalls ein wesentlicher Titel in der Filmografie Montands ist, hat Signoret einen kurzen Auftritt als Ehefrau des inhaftierten, beinah zu Tode gefolterten tschechischen Politikers Artur London (Montand). La vie devant soi / Madame Rosa (1977) von Moshé Mizrahi zeigt Simone Signoret in der Rolle einer „alten Hure“, die einen Kindergarten für die Kinder verlassener Prostituierter unterhält. Die matronenhafte Frau, die alle Verwundungen und Bedrohungen einer jüdischen Existenz durchlebt hat, verbreitet einen seltsamen Zauber von Unverwüstlichkeit.

Vier im roten Kreis, 1970. Regie: Jean-Pierre Melville

„Ich hätte mich besser halten können“

Es war für Signoret immer auch eine Frage des Gewissens, im Einverständnis hinter einer Rolle zu stehen. Als Heldin vor der Kamera starb sie als Résistancekämpferin Mathilde (L’armée des ombres / Armee im Schatten, Jean-Pierre Melville 1969), Auge in Auge mit den Genossen ihrer Widerstandsgruppe, angstvoll und ungläubig der geweitete Blick zuletzt. „Ich hätte mich besser halten können“, sagte sie in einem späten Interview, „wenn ich mehr darauf geachtet hätte, aber ich weiß nicht, ob ich dann auch so interessante Rollen bekommen hätte, wie es jetzt der Fall ist.“

Im August des Jahres 1949 sitzt Simone Signoret auf der Terrasse eines Cafés im südfranzösischen Saint-Paul-de-Vence, gelegen zwischen Cagnes-sur-mèr und Vence. Ihre Blicke kreuzen sich mit denen eines schlaksigen Mannes mit abstehenden Ohren und jungenhaftem Grinsen. Er ist Sänger, und sein Name ist Yves Montand. „Etwas Rasantes, Unerhörtes, Unumkehrbares ist geschehen.“ (Signoret) Innerhalb von vier Tagen wirft sie alles hin, verlässt Mann und Kind für den, der die Liebe ihres Lebens werden wird, so die Legende. Sieht man sich die Fotografien und porträtierenden Filmdokumente dieses Paares an, versteht man, wie treffend und einfühlsam das Wort von den „Partisanen der Liebe“ (Katja Nicodemus, „Die Zeit“ 1/2021) gewählt ist …

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 60

 

Simone Signoret und Yves Montand in „Die Hexen von Salem“, 1957. Regie: Raymond Rouleau
Simone Signoret starb 1985, Yves Montand 1991. Gemeinsam liegen sie in ihrem Grab auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise.

| FAQ 60 | | Text: Jörg Becker | Fotos: Österreichisches Filmmuseum, Studiocanal
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