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Songs in black and white

Text: Oliver Stangl | Fotos: Anton Corbijn

„Depeche Mode by Anton Corbijn“: Der offizielle Bildband zu einer Partnerschaft, die in der Geschichte  der Popmusik ihresgleichen sucht.

Anton Corbijn. Depeche Mode, Randers, Denmark, 1987 © 2020 Anton Corbijn

Popmusik. Dort, wo das Image noch wichtiger ist als beim Film oder in der Politik. Wer hier die Kontrolle über sein Image hat, kann sich auch mit schlechter Musik ein Weilchen über Wasser halten. Wer sein Image kontrolliert und noch dazu gute Musik macht, gehört zu den Großen. Ein XL-Band dokumentiert nun die fast schon symbiotische Partnerschaft zweier Größen, bei denen das Image und seine Pflege ein essenzieller Teil der Kunst ist: „Depeche Mode by Anton Corbijn“.

Es handelt sich hierbei um eine Partnerschaft, die seit dreieinhalb Jahrzehnten andauert, auf die zu Beginn allerdings nicht viel hindeutete: Corbijn mochte den frühen Sound der  Briten nämlich nicht, hielt ihn für künstlich und leblos. 1986 entschloss sich der Niederländer dann doch, die Gruppe in die USA zu begleiten, um den Clip „Question of Time“ zu drehen. Corbijn, den es vor allem reizte, mit dem Format des Road Movie zu spielen, freundete sich mit der künstlerisch immer mehr an Profil gewinnenden Band an, die in den Folgejahren ihre bekanntesten Hits – von „Enjoy the Silence“ bis „Personal Jesus“ – einspielte und mit einem oftmals düsteren, aber gut konsumierbaren Stil zwischen Synth und Rock nicht nur nachhaltig weltberühmt wurde, sondern als „Popband des denkenden Mannes“ auch bei der Kritik gut ankam. Seither fertigte Corbijn alle Fotos sowie die meisten Albencover und Musikvideos für DM an. Die kreative Symbiose mit Sänger Dave Gahan, Songwriter, Keyboarder und Gitarrist Martin Gore und Keyboarder Andrew Fletcher – Schlagzeuger Alan Wilder verließ die Band 1995 – wurde gar so eng, dass der Fotograf (der auch für jedes Album ein neues Bandlogo entwirft) öfter als das vierte respektive fünfte Bandmitglied bezeichnet wurde. Corbijn dazu im abgedruckten Interview: „Vieles hing von mir ab. Ich wollte einfach der Richtige für sie sein, für sie mitdenken und aus mir das Allerbeste herausholen.“

Anton Corbijn. Depeche Mode, Santa Barbara, California, 2000 © 2020 Anton Corbijn

Im Coffee Table Book, das Corbijn gemeinsam mit Ta-schens Fotografie-Editor Reuel Golden herausgegeben hat, finden sich 500 Fotos, die an Locations von Hamburg bis Marrakesch entstanden und sowohl offizielle als auch intime Bandporträts umfassen. Manches Bild vermittelt durch Corbijns Multifunktionalität praktischerweise auch gleich Set-Impressionen von den Drehs der berühmten Musikvideos (beispielsweise zu dem in Portugal, Schottland und der Schweiz entstandenen „Enjoy the Silence“, in dem Dave Gahan als König mit Klappstuhl durchs Bild läuft), funktioniert aber auch als Dokumentation der Tourneen seit Ende der achtziger Jahre. Dabei gibt es energiegeladene Bühnenauftritte ebenso zu sehen wie Eindrücke vom Bühnenaufbau; auch die schwere Krise Mitte der neunziger Jahre (Depressionen, Drogensucht, ein Selbstmordversuch Gahans), die beinahe zur Auflösung der Band führte, lässt sich erahnen. Handschriftliche Notizen Corbijns liefern oftmals den entsprechenden Kontext zu den Aufnahmen.

Anton Corbijn. Depeche Mode, near New Orleans, 2012 © 2020 Anton Corbijn

Der britische Komponist und Musikprofessor Simon Bainbridge – der diesen April unerwartet im Alter von 68 Jahren verstarb – bringt im Vorwort auf den Punkt, was den Stil Corbijns (der mittlerweile auch als Filmregisseur reüssieren konnte) ausmacht: hoher Kontrast, grobkörnige Struktur, schwarzweiß, oft mit der Hand bei Naturlicht geschossen.
Alles ist reduziert, Studioaufnahmen finden kaum statt. Dieser Minimalismus wirke eher nach Reinheit denn nach Tricks, so Bainbridge. Corbijn, der am liebsten mit wenig Ausrüstung an die Arbeit geht und Fotografen wie Robert Frank, Helmut Newton oder Diane Arbus als Vorbilder angibt, mag die Kombination aus Inszenierung und Improvisation, wie er im Interview verrät: Erst inszeniere man bis zu einem gewissen Grad, danach komme es darauf an, loszulassen.

Kurz interviewt wird natürlich auch die Band: Da gibt es klarerweise Lob (Dave Gahan: „Anton gab uns eine visuelle Identität“), man erfährt aber auch, welche Videos und Albencovers jedes Mitglied bevorzugt. Was soll man noch sagen? Eigentlich nur, dass das Buch absolute Pflicht für Fans ist. Ob von Corbijn oder der Band spielt da keine Rolle, denn das eine ist ohne das andere nur noch schwer denkbar.

Anton Corbijn, Reuel Golden
Depeche Mode by Anton Corbijn
Taschen, 2021, Hardcover, 24,3 x 34 cm, 512 Seiten, € 100
www.taschen.com

 

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