„Wind Of Change hat mein Leben verändert, und sonst weiß ich gar nichts!“, sagt der rund dreißigjährige Dagobert schnippisch in einer YouTube-Doku. Der bemerkenswerte Schweizer beschäftigt seit einiger Zeit die Feuilletons. Er erzählt, dass seine Jugend eher depressiv gewesen sei und er zunächst ein Leben als Penner „angestrebt“ habe. Geschlafen habe er im Proberaum von Bekannten, zum Waschen gab‘s die Bahnhofstoilette. Aus manifester Unterbeschäftigung habe er begonnen, mit den Musikinstrumenten herumzuspielen, woraus einige Stücke entstanden seien, mit denen er an einem Wettbewerb teilgenommen habe. Das gewonnene, großzügige Kulturstipendium habe er binnen sechs Monaten in Berlin durchgebracht, worauf eine fünf Jahre dauernde „asoziale Phase“ gefolgt sei, in der er sich, ausgerüstet nur mit einem alten Laptop, in einem Bergdorf in Graubünden verkrochen habe. Vom Berg hinab stieg der meist dandyhaft Gekleidete mit Songs im Rucksack, von denen sich elf auf dem schlicht Dagobert (Buback/Universal) betitelten Debüt finden. Monothematisch widmen sich diese Indie-Schlager der Liebe, weil er „vom Denken nicht viel versteht“. Über Jahre habe er nur die deutschen Föhnrocker Scorpions gehört, und so lesen sich seine musikalischen Inspirationen (Hank Williams, Leonard Cohen, Scorpions, Flippers, David Hasselhoff) auch hochgradig heterogen. Mit Stücken wie „Morgens um halb vier“, „Ich bin zu jung“ oder „Hochzeit“ („Ich will ein Kind von dir“!) und den S/W-Videos dazu gelingt Dagobert das Kunststück, ein Hipster-Publikum für den Schlager empfänglich zu machen. Angesiedelt zwischen Synthiepop und Schlager mit Alleinunterhalterpose scheinen diese mit Schweizer Idiom und angekratzter Stimme gesungenen Titel in ihrer Ernsthaftigkeit einen Nerv der Zeit zu treffen. Die nur scheinbar überlegene Ironie hat in diesen altmodische Werte (in der Liebe, wo sonst?) vertretenden Indie-Schnulzen keinen Platz. Ein Blick in die Schlager-Historie genügt, um festzustellen, dass die Stücke, die Bestand haben (Christian Anders, Roy Black, Nana Mouskouri, Alexandra …) 100% ironiefrei sind. Es ist Dagobert zu wünschen, dass seine Popularität nicht nur ein kurzes Strohfeuer für ein flatterhaftes Publikum bleibt. Die vielen nach wie vor von der Finanzkrise (direkt oder indirekt) betroffenen Menschen auch im deutschsprachigen Raum sowie ein empfundener Verlust von Sicherheiten und Lebenschancen sollten ein guter Nährboden für den Schlager sein.