Der in Wien lebende Schweizer Performer, Choreograf und Kurator Daniel Aschwanden hat sich in den letzten zehn Jahren vermehrt in urbanen Räumen aufgehalten und Projekte im städtischen öffentlichen Raum initiiert. In den letzten drei Jahren hat er im Rahmen des Projekts aspern Seestadt PUBLIK gemeinsam mit der Architektin Ute Burkhardt-Bodenwinkler einen Gemeinschaftsgarten ins Leben gerufen. Er hat sich weiters dafür eingesetzt, dass ein zweites Projekt namens Sprungbrett Aspern mit einem Testfeld für ökologisches Leben mit eigenem Garten sich auf der dortigen Stadtbrache positionieren konnte.
Die Burgenländerin Simone Rongitsch kommt ursprünglich aus einer kleinen, von Landwirtschaft geprägten Gemeinde und betreibt nach ihrem Forschungsaufenthalt als Raumplanerin in Buenos Aires einen rund 300 Quadratmeter großen Gemeinschaftsgarten im 7. Wiener Gemeindebezirk. Die Bepflanzer dieser Fläche nennen sich Salat Piraten und wurden deshalb auch schon mal fälschlich als phytophile Werbebotschafter der Piratenpartei missverstanden.
Der Wiener Wolfgang Zinggl, Kultursprecher der Grünen im Parlament, beschäftigt sich mit der Kultur des Guerilla Gardenings schon ein Leben lang. Sein Eltern hatten keinen Garten und fuhren mit ihm als Kind mit dem Zug in ein Waldstück in der Nähe von Wien. Dort errichteten sie auf einer Waldlichtung einen Guerilla Garden, den sie an den Wochenenden besuchten und betreuten. Im Zuge seiner kulturpolitischen Tätigkeiten brachte er die Broschüre „Guerilla Gardening“ heraus. Weiters ist er Gründungsmitglied und in der leitenden Funktion der Künstlergruppe Wochenklausur, die vor ein paar Jahren ein brachliegendes Stück Rasen im 16. Wiener Gemeindebezirk gemeinsam mit AusländerInnen und dem dafür geschaffenen Verein Station Garten bepflanzte.
Elke Krasny, Senior Lecturer an der Akademie der bildenden Künste Wien und freie Kuratorin mit den Arbeitsschwerpunkten Architektur, Urbanismus und sozial engagierte künstlerische Praxen, hat sich in der Ausstellung „Hands-On Urbanism 1850–2012. Vom Recht auf Grün“ mit der Geschichte und Gegenwart des Gärtnerischen in der Stadt in einem internationalen Vergleich auseinandergesetzt. Die Ausstellung wurde im Architekturzentrum Wien 2012 gezeigt und danach in einer kleineren Version auf der Architekturbiennale in Venedig. Mit vielen der Garten-Aktivisten und Aktivistinnen, die sie im Zuge der Feldforschungen kennen gelernt hat, ist sie weiterhin in regem Kontakt und diese haben durch den Kontext der Ausstellung ihren internationalen Austausch und den Wissenstransfer erweitert.
Wann ist Urban Gardening in Wien als politisches Thema aufgegriffen worden?
Wolfgang Zinggl: Sehr spät! Die „Guerilla Gardening“-Broschüre zu verwirklichen hat mich sehr viel Kraft gekostet, vor allem sie durchzusetzen, aber mit der Agitation in den Bezirken, Projekte umzusetzen, ging es dann plötzlich sehr schnell.
Die Begrifflichkeit Guerilla Gardening hat auch etwas Martialisches. Das Wort Guerilla lehnt sich ja an eine Kriegsrhetorik an.
Aschwanden: Es gibt eine lange Tradition wo Garten und Krieg in einem gemeinsamen Kontext stehen und Selbstversorgung, in Zeiten des Mangels, betont und praktiziert wurde.
Krasny: War Gardens, Liberty Gardens, Victory Gardens haben eine lange gemeinsame Geschichte, die zurückgeht auf die Versorgungslage zu Zeiten des Kriegs. Im 17. Jahrhundert schrieb Richard Gardner das Buch „Victory Garden“ und rief die Bevölkerung Englands dazu auf, sich durch das Anlegen von Küchengärten auf die Invasion durch Spanien vorzubereiten. Das nationalsozialistische Terrorregime machte vor den Kleingartenanlagen nicht Halt, ein Arierparagraf verbot Jüdinnen und Juden den Zutritt zu den Schrebergärten. Die Versorgung durch Anpflanzen sollte die Entkoppelung vom Weltmarkt gewährleisten.
In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig zu hinterfragen, was man unter dem Begriff Urban Gardening versteht, worüber man eigentlich redet: Gehören da auch Hinterhofbeete, Balkonpflanzungen oder gar Prestige-objekte wie der vertikale Garten im Sofitel dazu?
Simone Rongitsch: Genau diese Problematik ist mir bei meiner dreijährigen Forschung in Lateinamerika auch immer wieder begegnet. Ich habe darüber mit einigen Personen, die schon sehr lange zu dem Thema forschen, wie Isabella von der Haide oder Christa Müller, immer wieder Gespräche geführt und eigentlich sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es keine klare Definition gibt.
Aschwanden: Es gibt zwar keine einheitliche Definition für das sogenannte „Urban Gardening“, aber es gibt Ideologien, die darauf angewendet werden und auch zu einer Politisierung beitragen. Die Trennung von Arbeit und Freizeit hat in jedem Fall stark dazu beigetragen, dass Gartenarbeit weniger als Arbeit per se verstanden wird denn als Entspannung, weil der Ertrag des Gartens, der subsistenzwirtschaftliche Aspekt, in den Hintergrund getreten ist. Problematisch finde ich auch, dass der Begriff „Urban Gardening“ im City Marketing gerne abgegriffen wird. Wie weit ist das dann auch nur reine „Garten und Grün“-Rhetorik? Inwieweit wird es im Endeffekt wieder nur einer oberen Mittelschicht geboten, da die ökonomischen Strukturen so ausgelegt sind, dass andere allein vom finanziellen Aspekt davon ausgeschlossen sind?
Zinggl: Ich finde eine Kategorisierung schon wichtig. Für mich hat sich eine Dreiteilung als praktikabel erwiesen: Da gibt es auf der einen Seite das politische Feld. Das Bepflanzen und die Aneignung von öffentlichen oder privaten Räumen als politisches Statement. Dann die Nachbarschafts- und Gemeinschaftsgärten, wo die Lust am Pflanzen und Gärtnern im Vordergrund steht. Diese Projekte sind rechtlich und finanziell abgesegnet. Und als dritte Form das „Guerilla Gardening“. Öffentlicher Raum wird durch illegale Strategien angeeignet.
Rongitsch: Und das große Problem ist auch der Weg durch die Institutionen. Wer bestimmt was, wer fühlt sich zuständig? Wir haben jetzt einen Nutzungsvertrag für zwei Jahre. Und natürlich wollten wir auch einen Zaun, da die Kirchengasse sehr stark frequentiert wird. In der Schönbrunnerstrasse 111 werde ich gemeinsam mit einem anderen Verein Ende des Jahres ein weiteres Projekt starten. Das Haus wird abgerissen und wir werden die Fläche temporär zwischennutzen.
Zinggl: Als wir den Garten im 16. Bezirk umgesetzt haben, ging das ohne große Schwierigkeiten mit großer Hilfe der Stadt Wien. Nach Absprache mit dem Bezirksvorsteher hat man uns Möglichkeiten für Flächen aufgezeigt.
Aschwanden: Ich kenne beides. Immer wieder funktionieren auch Mini-Initiativen, wo Flächen in Absprache mit dem Stadtgartenamt angeeignet werden.
Zinggl: Das ist erst seit einiger Zeit so. Das positive ist, dass sich fast keine Stadt mehr traut, das nicht zuzulassen oder gar zu ahnden, da in allen Städten solche Projekte entstehen.
Krasny: Ich finde vor allem interessant, wofür das Gärtnerische politisch, sozial und kulturell zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Städten steht und wie der Zugriff auf die Praxis die jeweilige (geo)politische Lage ausdrückt. In meinen Augen ist das Gärtnerische zum einen ein Indikator für Krisenphänomene und zum anderen eines der besten Beispiele für „Hands-On Urbanism“ und dessen Auswirkung auf die Policy-Ebene von Stadtentwicklung. Die Wiener Siedlerbewegung mit ihren Gärten ist dafür eines der besten Beispiele für die städtebaulich großmaßstäbliche Wirkung von Selbstorganisation.
Kann man sagen, dass Guerilla Gardening und Urban Gardening in Form von Gemeinschaftsgärten in einer zeitlichen Abfolge stehen? Gibt es die Tendenz, dass ab dem Zeitpunkt, ab dem es die Möglichkeit gibt Gemeinschaftsgärten einzurichten und zu initiieren, das heimliche, illegale, aktionistische Moment abnimmt?
Zinggl: Das glaube ich auch. Letztendlich ist es aus ökonomischen Gründen, zum Beispiel in Berlin, in die Richtung gegangen: „Wieso sollen wir das ahnden, wir ersparen uns dadurch doch Geld?“
Aschwanden: Ich denke, Guerilla Gardener sind auch Sensoren. In unterschiedlichen Zeiten und Planungsphasen sind städtisches Grün und Grünraum nicht sehr hoch bewertet worden. Dieser Mangel hat Auswirkung auf die Lebensqualität und dagegen richten sich die Guerilla-Aktionen. Eine bepflanzte Fläche ist dann ein Statement. Der nächste Schritt sind dann die formellen Aneignungen. Es ist aber auch ein interessantes Lernen, eine Art Lehrbeispiel, wie Demokratie und ihre Administration formal funktioniert.
Krasny: Die ersten Community Gardens in New York wurden von den sogenannten „Green Guerillas“ gegründet. Insofern ist die begriffliche Entgegensetzung meines Erachtens so nicht aufrechtzuerhalten. Ich sehe die Differenz zwischen Guerilla Gardening und Community Gardens, so wie sie hier in der Frage eingeführt wurde, viel mehr im Unterschied des Zeitaufwands und der Langfristigkeit. Guerilla Gardening kann sehr spontan, sehr schnell, aktionistisch, auch nur einmal passieren. Ein Garten hingegen braucht Zeit, Pflege, Ausdauer.
Wie sieht die konkrete Umsetzung der städtischen Förderung in Wien für Gemeinschaftsgärten aus? Was hat sich seit der ersten Förderschiene getan?
Rongitsch: Also die Förderung gibt es noch immer. Ein Projekt pro Bezirk, was natürlich etwas wenig ist. Man reicht eine Auflistung ein was man alles braucht – Quadratmeteranzahl, Pläne, Fotos und so weiter. Das funktioniert eigentlich auch ganz gut. Leider darf man die Förderung nicht ins zweite Jahr mitnehmen. Sie ist als eine Art Starthilfe gedacht. Das ist schade, wir hätten es lieber aufgeteilt.
Ein aktueller Überblick, der ganz Wien betrifft: Gibt es in allen Bezirken Gärten?
Rongitsch: Es gibt mittlerweile über 30 solcher Gärten in Wien. In Berlin gibt es viel mehr, und ich bin der Meinung Wien könnte auch mehr haben. Aber leider ist es vielen Personen auch zu stressig, Gartenprojekte zu initiieren.
Zinggl: Ich möchte jetzt nicht die Politik verteidigen, aber es gibt auch einfach zu wenig Ansuchen. Die Stadt Wien wäre durchaus bereit, mehr Projekte zu fördern.
Aschwanden: Das hat auch mit dem aktuellen Zeitgeist zu tun. Es sind extrem viele Vereine in Auflösung begriffen. Die Leute sind viel individueller geworden. Du kannst heute sehr, sehr flexibel sein. Wenn du aber mit Pflanzen zu tun hast, dann musst du dich verpflichten. Da ist ein verpflichtendes Moment dabei. Ich habe es auch nie geschafft, mich zu verpflichten, dem Wachsen wirklich beizuwohnen, aber ich grabe zum Beispiel gerne um. Ich habe das Gefühl, das baut mich extrem auf.
Rongitsch: Ja, das ist in unserem Verein auch so. Da kommen auch viele Vereinsmitglieder und wollen graben. Jeder will umgraben.
Aschwanden: Aber ich möchte noch einmal auf den Zeit-aspekt zurückkommen, es gibt bei gärtnerischen Tätigkeiten eine anders erlebte Zeitqualität. Vielleicht liegt darin ja auch der Anreiz am Gärtnern.
Wie haben die Anrainer im 7. Bezirk auf das Vorhaben der Salat Piraten reagiert?
Rongitsch: Wir entschieden uns in der Planungsphase für eine Anrainerbeteiligung, um nicht im Nachhinein auf Ablehnung zu stoßen. Der Garten grenzt direkt an ein Haus und da gibt es auch Leute, die im Souterrain wohnen. Früher wurde die Fläche jedoch mehr oder weniger als Müllhalde verwendet und die Wände wurden immer wieder besprayt. Insofern wurde unser Vorhaben als Aufwertung aufgefasst. So haben auch ältere Menschen aus der Umgebung begonnen, sich für das Projekt zu interessieren und mitzumachen. Und bei Gärten hat man einfach einen anderen Zugang als bei geschlossenen Räumen, und das ist überall gleich. Es gibt keine Barrieren, es ist offen und übersichtlich, man kommt gratis rein, es läuft etwas, man kommt über eine Sonnenblume gebückt ins Gespräch. Es entsteht enorm schnell Kommunikation.
Wenn es vor allem auch um Kommunikation, um andere Entwürfe von Nachbarschaft geht, würden Gemeinschaftsgärten dann nicht auch mit Zierpflanzen funktionieren? Oder ist der Konsumaspekt doch sehr wichtig?
Zinggl: Also in unserem Garten im 16. Bezirk haben wir nichts Essbares. Wir haben eher so Distelg’schichten, teilweise richtig seltene Sachen, die nur ganz Wenige kennen. Die Samen beziehen wir dabei von der Gesellschaft Arche Noah, die sich für Kulturpflanzenvielfalt einsetzt.
Aschwanden: Zentral ist die Nutzung des öffentlichen Raums. Dieser wird zunehmend segmentiert und dadurch wird Urban Gardening politisiert. Denn dem Gärtnern ist der zeitliche Aspekt immanent. Es handelt sich dabei um eine sehr manifeste Öffentlichkeit, die sichtbar wird. Man sieht zum Beispiel in Berlin, dass die Stadt einfach kein Geld hat. Du siehst es an den Wegen im öffentlichen Bereich, daran, wie die Pflanzen wuchern. Die haben keine Mittel, dass das Stadtgrün immer gepflegt und geschnitten wird.
Rongitsch: Genau aus diesem Grund fördern die ja auch das gemeinschaftliche Grün. Die sagen: ‚Ok, wir haben das Geld nicht, um den öffentlichen Raum zu gestalten, macht ihr das bitte! Ihr wollt es ja eh …‘ Dieses Selbermachen wird zwar langsam in Wien auch zum Thema, aber wenn man dann etwas Größeres als eine Bepflanzung einer Baumscheibe vor hat, wird es oft kompliziert. Im Mai und im Juni kommt dann das Gartenamt und schaut, ob eh alles genau so passt, wie man sich es ausgemacht hat. Dabei hätte das Gartenamt das Gelände sonst selber wieder in Schuss bringen müssen.
Zinggl: Diese Sehnsucht alles zu kontrollieren ist schon da, ganz klar. Man vergibt zwar Grünflächen, aber unter Vorbehalt und steter Beobachtung. Wie auch bei den Graffitis: Es gibt dann klar definierte Bereiche, wo es erlaubt ist – wo man sozusagen Kunst im öffentlichen Raum so richtig frei ausführen darf. Ansonsten drohen drakonische Strafen. Das ist halt so richtig Wien. Hierzulande gibt es quasi staatlich genehmigte Guerilla-Aktionen.
Krasny: Was am Gärtnerischen in der Stadt von Interesse ist, ist die langfristige Frage: ob eine wachsende Stadt wie Wien genügend Flächen für Anbau haben wird und wie im Garten der Test zwischen Ökologie und Sozialem ausgehandelt und immer wieder neu austariert werden kann.
Wie war das in Aspern?
Aschwanden: Wenn man wirklich gärtnern will, kann man das eigentlich nicht von Jahresfrist zu Jahresfrist machen, sondern es ist wichtig, dass man das Gelände längerfristig nutzen kann. In Aspern handelt es sich zwar auch um eine Zwischennutzung, aber es ist die Idee, dass die Community bleibt und wächst. Falls man die jetzige Fläche aufgeben muss, wird ein neuer Ort gesucht, wo man dann entweder fix bleiben kann oder zumindest wieder für einige Jahre.
Rongitsch: Ich habe die Hoffnung, dass die Planung in Wien in eine Richtung geht, die Wohnen und Gärtnern kombiniert vorsieht. In Rotterdam und Amsterdam wird inzwischen jede dritte Siedlung mit Flächen für Urban Farming geplant. Dort finden sich Gemeinschaftsflächen neben privaten Flächen.
Besteht da nicht auch die Gefahr, dass die gemeinschaftlichen Flächen mit der Zeit auf Kosten der privaten Flächen vernachlässigt werden? Das Gemeinschaftliche wird in der Literatur um Urban Gardening ja sehr stark betont. Könnte es sein, dass den Gemeinschaftsgärten von heute das gleiche droht wie den Schrebergärten? Ursprünglich sind ja auch sie gemeinschaftlich entstanden, durch die Auswirkung des Krieges, aber auch als neuer Lebensentwurf.
Rongitsch: Sicher beruht nicht jede Form von urbanen Gärten auf Gemeinschaft. Und nicht jeder ist für gemeinschaftliches Gärtnern geeignet. 70 Prozent der Autoren, die über Urban Gardening schreiben, haben wahrscheinlich noch nie in einem Garten gearbeitet. Sie kommen für Interviews, haben aber selber nie erlebt, was es bedeutet, einen Gemeinschaftsgarten aufzubauen.
Zinggl: Es gibt einfach beides. Beides kann funktionieren. Ich will nichts romantisieren. Man muss schon sehen, dass der Gemeinschaftsgarten im Stadtgartenamt enden kann. Es ist sicher keine unübliche Entwicklung, dass er privatisiert oder an eine Verwaltung delegiert wird. Wenn man sich die Community Gardens in NY anschaut, so wurde auch dort mit einer Form der Besetzung des öffentlichen Raums in Krisenzeiten angefangen. In der Zwischenzeit kümmern sich professionelle, von der Stadt bezahlte Gärtner und Gärtnerinnen um sie.
Aschwanden: Unterschiedliche Etappen der Institutionalisierung passieren und bringen andere Formen von städtischen Gärten hervor. Viele Schrebergärten sind ja nicht mehr Schrebergärten im eigentlichen Sinn, sondern Wohnraum mit einem Fleckchen Rasen und einem möglichst hohen, blickdichten Zaun. Aber das ist vielleicht gerade das Tolle, dass parallel ganz vielfältige Formen existieren können.
Wie wird sich die Situation in Wien entwickeln?
Krasny: Wenn man nochmals historisch die Siedlerbewegung vergegenwärtigt, dann ist die Frage, wie eine dichte mitteleuropäische Stadt wie Wien heute, 2013, die Weichen stellt, damit durch Planung Urban Living und Urban Gardening miteinander verschränkt denkbar werden. Der Maßstab, der die Gesamtstadt vor Augen hat, erscheint mir wesentlich.
Rongitsch: Also der nächste Garten wird definitiv leichter umzusetzen. Im Herbst, wenn die Gartensaison vorbei ist, wollen wir deshalb auch eine Broschüre veröffentlichen, die Interessenten bei Fragen weiterhelfen soll. Ich persönlich würde mir wünschen, dass es mehr solche Beispiele gäbe wie den Krongarten im 5. Bezirk. Hier hat eine Künstlerin zwei Parkplätze gemietet, einen Rollrasen darübergelegt und rundherum Gemüse in Kisten angepflanzt. Ich könnte mir gut vorstellen, dass jede Wiener Straße so einen Garten beherbergt. Aus stadtplanerischer Sicht kann ich mir vorstellen, dass jeder Bezirk seinen Prozentsatz an Urban Farming-Flächen bekommen könnte, falls die Nachfrage der Stadtbewohner und der Druck auf die Politik steigt, wie dies ja bereits bei Spielplätzen und Hundezonen der Fall ist. Für mehr oder andere Formen wird es eher weniger Platz geben.
Aschwanden: Ja, die Stadt wird wachsen, so viel scheint klar. Sie wird aber nicht unbedingt reicher werden. Das spricht eigentlich dafür, dass die gemeinschaftlichen Gärten sich ausbreiten werden. Hoffentlich werden die Guerilleros weiterhin unterwegs sein und spüren, wo es gut wäre, dass etwas wächst. Ich glaube schon, dass Prozesse, in denen Sachen wachsen und gedeihen, vor allem auch in der technoiden Stadt Lust bereiten. So gesehen ist es gut, wenn es wuchert und vielfältige Rhizome bildet, die nicht wegzukriegen sind.
Zinggl: Für mich sind Bewegungen am spannendsten, die die Rückeroberung des öffentlichen Raums für sich reklamieren. Wir haben es heute mit Strukturen zu tun, wo einerseits immer mehr privatisiert wird, andererseits eine zentralisierte Verwaltung herrscht. Beides ist nicht unbedingt das, was die Menschen wollen. Deshalb gibt es auch immer wieder Versuche, daraus auszubrechen. Aber wie sich das entwickelt, also inwieweit Urban Gardening bürokratisiert oder unterstützt wird oder die Parzellen wiederum privatisiert, hängt nicht primär von Wahlen, sondern auch vom Aktivismus der Bürger und Bürgerinnen ab. Die Rückeroberung beginnt mit Aktionen die halblegal bis illegal sind. Ich bin ja eher ein Verteidiger der Guerilla-Taktik. Genau und als einziger zu wissen, wo meine Pflanze ist, das ist super.
Die Diskussionsrunde mit Daniel Aschwanden, Simone Rongitsch und Wolfgang Zinggl fand am 9.4. im neu gegründeten Co-Working Space am Schwendermarkt (Schwendergasse 35-37) des Performancekünstlers Lars Schmid, der unter anderem auch das performative Urbanistikprojekt Institut für Alltagsforschung betreibt, statt. Elke Krasny ergänzte am 13.4. die transkribierte Form des Gesprächs.