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Spaß und Schrecken in der Provinz

Text: Alexandra Seitz | Fotos: 20th Century Fox

Etwas ausserhalb des Ortes gammeln sie, lange schon ungenutzt, vor sich hin: Jene drei Plakatwände, die eines Tages einen Geistesblitz aussenden, der in das Gehirn von Mildred Hayes fährt, deren Haus auf dem Hügel gleich dahinter liegt. Beinahe täglich mindestens zwei Mal führt Mildreds Weg an den Werbetafeln vorbei und man kann sich vielleicht ein bisschen darüber wundern, dass es so lange gedauert hat, bis ihr der Gedanke an ihre Nutzung kam. Aber jedenfalls steht sie nun mit entschlossener Miene im Büro des Werbeagenten und tut kund zu wissen, dass sie die Tafeln zu mieten gedenkt und was auf ihnen zu lesen stehen soll. Mit wachsender Beunruhigung und zunehmendem Ungemach sieht der junge Mann die ruhige Kugel, die er bis dahin in seinem Büro geschoben hat, davonrollen – wie sich herausstellen wird: für immer.

Denn Mildred Hayes lässt inmitten des kleinen, im US-amerikanischen Bundesstaat Missouri gelegenen Gemeinwesens Ebbing eine Bombe platzen und stellt, ein Jahr nach der Ermordung ihrer Teenager-Tochter Angela, die folgende unbequeme Frage in den öffentlichen Raum:

„Raped while dying – and still no arrests – how come, Chief Willoughby?“

Verteilt auf drei Plakatwände drei schallende Ohrfeigen mitten ins Gesicht des Polizeichefs, eines hoch angesehenen Mannes, der zudem tödlich an Krebs erkrankt ist und damit bis zu seinem Ableben quasi sakrosankt.

Dass Mildred in ihrem Zorn und Schmerz darauf keinerlei Rücksicht nimmt, wird einerseits als Chuzpe der Obrigkeit gegenüber gewertet und andererseits als pietätlos verurteilt. Das großflächig schwarz auf rot plakatierte „J’accuse!“-Triptychon macht lokal wie überregional Schlagzeilen, findet Eingang in die Fernsehnachrichten, sorgt für Aufruhr unter den Nachbarn, spaltet die Gemeinde, ruft sowohl wohlmeinende wie übelwollende Ratgeber von nah und fern auf den Plan. Ja, es lässt sogar den Pfarrer herbeieilen, der zu Ordnung und Mäßigung aufruft, vor allem aber zu Nachsicht und Vergebung mahnt. Und der von Mildred mit einer flammenden, antiklerikalen Rede und unter Verweis auf Ministrantenmissbrauch und Arschfickerei vom Hof gejagt wird.

Ebensowenig wie Mildred Hayes sich befrieden lassen will und zurückkehren zur Rolle der stillen (Er-)Dulderin der ihr von Gott und der (ungerechten) Welt auferlegten Prüfungen, ebensowenig wird Martin McDonagh, Autor und Regisseur von Three Billboards Outside Ebbing, Missouri, seinen Film in ruhigeres Fahrwasser münden lassen, um endlich versöhnliche Lösungen der zuvor geschürten Konflikte anbieten zu können. Wobei, man könnte es natürlich versöhnlich finden, wenn einander zuvor feindlich Gesonnene sich gemeinsam aufmachen, um Selbstjustiz zu üben; irgendeiner hat schließlich immer Dreck am Stecken und verdient die dafür angemessene Strafe …

Man ahnt schon, Three Billboards Outside Ebbing, Missouri ist ein Rundumschlag, der nichts und niemanden ungeschoren davonkommen lässt. Ausnahmslos alle bekommen hier ihr Fett weg, die Gerechten wie die Ungerechten wie die Selbstgerechten, und ohnehin werden ständig die Rollen gewechselt, fluktuieren und schillern die Figuren – so wie der ganze Film zwischen den Genres hin und her irrlichtert, sich erst anschickt wie eine Komödie, eine schwarze, tiefschwarze, immer rabenschwärzere, um sodann das weite Feld vom Grand Guignol bis zur Gesellschaftssatire mit Sperrfeuer zu bestreichen. – In Deckung! Rette sich wer kann! – Doch wann immer so etwas wie Ruhe einkehrt auf dem Schlachtfeld, wirft die Komödie ihre Tarnung ab, gibt sich als Sittenbild zu erkennen und auf tritt das, drücken wir es einmal so aus: forschende Interesse an der Gewalttradition im US-amerikanischen Outback.

Zungen, scharf wie Rasierklingen, werden geschwungen wie Schwerter, bilden Sätze, die, regelrecht abgefeuert, ins Schwarze treffen wie Pfeile. Blut fließt, Knochen splittern, Hirn spritzt und Fleisch verkohlt, während so mancher Zuschauer vom Sessel rutscht vor Lachen, jenem Lachen, das dem daneben gerade im Halse stecken bleibt. Wie geht das zusammen? Geht es überhaupt? Ist es Entscheidungsschwäche oder künstlerische Finesse, die hier in atemberaubendem Tempo atemberaubende Stilbrüche herbeizwingt und dann so tut, als sei dies alles ganz normal und als ginge es in und um Ebbing zu wie im wirklichen Leben?

McDonagh, 1970 in London als Sohn irischer Auswanderer geborener, hoch angesehener, britischer Dramatiker, weiß, was er tut. Schon in seinem oscarnominierten Langfilmdebüt In Bruges (2008) hat er Gefühl und Härte auf ungeheuerliche Weise miteinander verknüpft; und auch wenn dem 2012 folgenden Seven Psychopaths kein vergleichbarer Erfolg beschieden war, änderte dies nichts an seiner Reputation als Autor verstörend multiperspektivischer, vielfältig lesbarer, unterschiedlichste Tonlagen virtuos bedienender – und das bedeutet eben auch: überaus bedeutungsreicher – Werke.

Denn was passiert, nachdem der hoch entrüstete Deputy Dixon – ein unterbelichteter Rassist, dem im weiteren Verlauf noch eine entscheidende Rolle zukommen wird – den Polizeichef über die himmelschreiend skandalöse Lage „outside Ebbing“ informiert hat? Willoughby schmeißt sich in seine Gala-Uniform und stattet Ms. Hayes – alleinerziehende Mutter nunmehr nur noch eines sich ihrer schämenden Sohnes und getrennt von einem Mann, der mittlerweile mit einer Frau etwas älter nur als seine tote Tochter zusammenlebt – einen förmlichen Besuch ab. Nebeneinander sitzen sie dann auf der Schaukel mit Blick ins Tal auf die drei Anklage-Tafeln und Willoughby versucht zu erklären, warum seine Mittel erschöpft sind und Mildred sich abfinden müsse. Doch Mildred denkt nicht einmal daran. Dennoch wird in dieser Szene deutlich, dass diese beiden Antagonisten im Grunde miteinander befreundet sind, so, wie das eben oft der Fall ist in einem kleinen Ort am Land. Und eben dies macht den von Mildred angezettelten Aufruhr denn auch so schmerzhaft für alle Beteiligten, die sich nicht nur in ihren funktionalen Beziehungen angegriffen sehen, sondern auch persönlich, auf der Ebene ihrer emotionalen Bindungen. Nicht zuletzt nämlich findet hier eine Identitäts-Rundum-Verunsicherung statt, die sicht-, spür- und nachvollziehbar zu machen wiederum die Aufgabe der Schauspieler ist; deren Leistung in diesem Film kann gar nicht hoch genug geschätzt werden – man spürt McDonaghs Herkunft vom Theater auch in dem Atem-Raum, den er seinem exzellenten Ensemble lässt.

Three Billboards Outside Ebbing, Missouri ist ein Fest für Mimen und noch bis in die kleinste, scheinbar wenig bedeutende Nebenrolle glänzend besetzt mit Jenen, deren Gesichter einem immer so bekannt vorkommen und deren Namen man sich nach diesem Film wohl ein für alle Mal merkt: Genannt seien Sandy Martin, die böse Mutter, die in Dixon den Hass gesät hat; Caleb Landry Jones, der opportunistische Werbeagent, der bitter büßen wird; Zeljko Ivanek, der namenlose Desk Sergeant, immer angemessen und wertungsfrei über die statthabenden Vorgänge entsetzt; Clarke Peters, der schwarze Polizeikommissar, der ob der Zustände seinen Augen nicht traut. Dazu der gern gesehene Beistand von Gewährsleuten wie Peter Dinklage, John Hawkes, Abbie Cornish. Undsoweiter. Freilich, im Zentrum stehen mit Woody Harrelson als Chief Willoughby, Sam Rockwell als Deputy Dixon und Frances McDormand als Mildred Hayes regelrechte Schwergewichte. Sozusagen eine schauspielerische Dreifaltigkeit, die die Gunst der Stunde ihres Zusammentreffens nutzt, sich gegenseitig zum Funkeln und zum Strahlen zu bringen, jedeR zugleich Rampensau und Anspielwurst. Ein Gipfeltreffen. Ein Ereignis.

Insbesondere aber ein Höhepunkt in der an Höhepunkten ohnehin nicht armen Karriere der unvergleichlichen Frances McDormand, geboren 1957 in Chicago, ausgebildet an der Yale School of Drama, gleichermaßen im Film wie auf dem Theater beheimatet, seit 1984 mit Joel Coen verheiratet, 1997 für ihre lakonische Darstellung der schwangeren Polizistin Marge Gunderson in dessen Film Fargo als Beste Hauptdarstellerin mit dem Oscar ausgezeichnet.

Mühelos reiht sich Mildred Hayes ein unter jene eigenwilligen Figuren, deren Perfektion sich Frances McDormand zur Aufgabe gemacht hat und die inmitten all der Blendwerke und Projektionsflächen, all der zugerichteten und zurecht gestutzten, patriarchal geprägten Wunschbilder von Weiblichkeit, die den US-amerikanischen Mainstream-Film prägen, wie Querschläger wirken. Unabhängigkeitserklärungen, die allein mit ihrer Präsenz nicht nur zeigen, dass es anders geht. Sondern die vor allem auch beweisen, dass das, was an Rollenmodellen gemeinhin angeboten wird, meilenweit entfernt ist von der weiblichen Realität. Kurz: Frances McDormand spielt Frauen. Nicht unschuldige Dinger. Oder ausgeflippte Mütter. Oder unabsichtliche Femmes Fatales. Oder sexy Business-Ladies. Oder alte Jungfern. Oder treue Gefährtinnen. Oder Arbeiterinnen. Oder Heimchen am Herd. Oder oder oder. All das auch, ja, aber McDormand füllt Drehbuchkonstrukte mit Leben und verkörpert sie als authentische, wirklich wirkende, dreidimensionale Frauen. Menschen mit Hirn UND Geschlecht. Mal mit weniger Gehirn und mehr Geschlecht. Mal mit mehr Gehirn und weniger Geschlecht. Immer aber stark und empfindsam, leidenschaftlich und irrational, organisiert und reflektiert, liebend und leidend, zärtlich und biestig, pragmatisch, praktisch, bodenständig, sehnsüchtig, romantisch, verspielt. Frauen, die mitunter ein wenig daneben wirken, oder ein bißchen nachlässig, weil sie eben im Allgemeinen Wichtigeres zu tun haben, als sich für jemand anderen herzurichten. Und weil Frances McDormand es dem Leben erlaubt, Spuren in ihrem Gesicht zu hinterlassen, sieht man so gerne hinein. Und sieht eine Frau, die sich zu behaupten weiß, ohne zu behaupten, alles zu wissen. Eine, die versucht, das Richtige zu tun, im Bewusstsein, nicht immer alles richtig machen zu können. Es ist das Gesicht von Mildred Hayes.

 

THREE BILLBOARDS OUTSIDE EBBING, MISSOURI
Drama, GB/USA 2017 – Regie, Drehbuch
Martin McDonagh
Kamera Ben Davis Schnitt Jon Gregory Musik Carter Burwell
Produktionsdesign Inbal Weinberg Kostüm Melissa Toth
Mit Frances McDormand, Sam Rockwell, Woody Harrelson,
Peter Dinklage, Abbie Cornish, John Hawkes
Verleih Centfox, 115 Minuten
Kinostart 26. Jänner 2018

 

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