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STAUNEN ALS SYSTEM

Sculpture, Body and Soul – die Welt des britischen Künstlers Tony Cragg in der Wiener Albertina

Tony Cragg, Compound, 2015, Glas. Im Besitz des Künstlers © Tony Cragg / Bildrecht, Wien 2022. Foto: Francesco Allegretto

Nicht von ungefähr erinnern viele der u. a. aus Bronze, Edelstahl, Holz und Glas gefertigten Objekte Sir Tony Craggs, die von 7. Juli bis 6. November in der Albertina zu bestaunen sein werden, an geologische Ausgangsformen und fossile Fundstücke. Dieses Leitthema des 1949 geborenen Künstlers wurzelt in seinen Kindheitsjahren in Südengland, wo seine Faszination mit Erdstrukturen ihren Ursprung nahm. Da Cragg die Geologie weiterhin in ihren Bann zog, nahm sein Werk nach einem ersten Fokus auf Alltagsgegenstände rasch Kurs auf eine ganz eigene, intellektuell-handwerkliche Forschungs-Kunst, die, wie es Berthold Ecker im Katalog zur Ausstellung beschreibt, „à jour und gleichzeitig Einfluss nehmend ist“. Im Titel angelegt, wird in Craggs anti-dualistischen Skulpturen wie Bust (2014), Group (2012) oder Point of View (2003) deutlich, wie er das Menschliche mit dem zutiefst Materiellen in Einklang bringt.

Tony Cragg, Point of View, 2003, Edelstahl poliert.
ALBERTINA, Wien – Familiensammlung Haselsteiner © Tony Cragg / Bildrecht, Wien 2022

Nicht nur konzeptuell ist Tony Craggs Arbeit damit schon seit Anfang des Trends, den neue Materialismen aktuell in den Geisteswissenschaften und Künsten erleben, mit solchen in einem mitprägenden Naheverhältnis, sowohl Ever After (2006), Pool (2013) wie Mean Average (2020) vermitteln auch optisch den Eindruck morphender Windungen oder pilziger Wucherungen, an denen sich digitale Kunst aktuell breitgefächert abarbeitet – hier aber in einer ganzheitlichen sensuellen Qualität als präsente Körper. Der schon anfangs verwendete Begriff des Staunens selbst wird von dem seit Ende der Siebziger in Wuppertal lebenden und arbeitenden Cragg als wichtiges Moment in seinem Prozess, aber auch in der Rezeption seiner Kunst verstanden: „Geist, Intelligenz und Emotionen sind für mich unvorstellbar komplizierte und erhabene Material-phänomene. Fängt man an darüber nachzudenken, kommt man in einen state of wonderment, man ist wieder ein Kleinkind.“ Staunen als Eingenommen-Werden bekommt eine weitere Dimension, wenn wie in Lost in Thought (2016) die geblähte Bronze wie versteinerte Eingeweide scheint, wie auch oft das klassische Bilderhauer-Bild des „Aus-einem-Block-Schlagens“ evoziert, insofern die hintergrün-dige Aura vorgeschichtlicher Gesteinsschichten emittiert wird. Und schließlich ist Staunen nicht nur ein Innehalten und Tony Cragg nicht nur Bildhauer, wie diese Soloschau ebenfalls unter Beweis stellt: Die Bleistiftarbeiten zeichnen sich durch ihren Blick in das Innere der dynamischen Dinge aus, ein Nachvollziehen der Linien, die das Außen nicht starr, sondern schwingend zusammenhalten.

Tony Cragg, Thicket, 2016, Stahl. Privatbesitz
© Tony Cragg / Bildrecht, Wien 2022, Foto: Michael Richter

 

Tony Cragg
Sculpture: Body and Soul
7. Juli bis 6. November 2022
www.albertina.at

 

| FAQ 66 | | Text: Jakob Dibold
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