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Stefan Ruzowitzky

Text: Landsgesell Gunnar | Fotos: Magdalena Blaszczuk

Ihre aktuelle Produktion trägt den schlichten Titel „Die Hölle“. Wird Wien sich in die Hölle verwandeln unter Ihrer Regieanweisung? Ist das eine soziografische Beschreibung oder gehen wir direkt in das Innere Ihrer Figuren?

Das ist ganz lustig, weil Die Hölle ist mein zweiter „Wien-Film“ nach Tempo vor zwanzig Jahren. Damals war für mich das Ziel, wegzukommen von dem grindigen Vorstadtbassena-Deppresiv-Wien zu einer modernen Stadt, wie ich sie damals als Jüngerer erlebt habe. Und ein bisschen empfinde ich das immer noch so. Wenn wir Motive suchen, dann ist schon alles sehr modern in dieser Stadt, die Architektur. Dieses Schmuddel-Wien, von dem es dieses Klischee gibt, das findet man so gar nicht mehr. Das fängt schon bei den Huren an, der Gürtel ist schon ordentlich gentrifiziert. In der Mitte sind die ganzen schicken Lokale, die es in den alten Stadtbahnbögen gibt. Vereinzelt sieht man noch wo ein rotes Lämpchen im Fenster hängen. Aber es ist nicht so, dass man die Straßen entlangfährt und das Gefühl hat, hier ist man im Rotlichtviertel. Ich habe meinen Drehbuchautor Martin Ambrosch gefragt, wo ist denn das Rotlichtviertel am Gürtel? Wo sind die Laufhäuser, wo ist das „Türken-Ghetto“? Deshalb haben wir dann auch unsere Pläne geändert. Deshalb wird im Film doch wieder ein eher modernes Wien zu sehen sein, nicht weil ich das so will, sondern weil wir den Realitäten entsprechen. Die „Hölle“ hat also nicht so sehr mit der Stadt zu tun sondern mit seelischen Abgründen.

Der Filmtitel klingt in seiner schlichten Absolutheit sehr radikal. Wie abgründig wird dieser Film, zum Beispiel im Verhältnis zu Ihrer eigenen Filmografie?

Abgründig, naja … Irgendwann hab ich einmal gezählt, wieviel Tote ich in meinen Filmen habe. Da bin ich draufgekommen, dass durchschnittlich pro Film sechs Leute vor laufender Kamera umgebracht werden (Lacht). Auf diese Anzahl komme ich diesmal nicht, aber …

… die Qualität macht es aus.

Genau. Diesmal sind die Morde grausamer. Ich finde, dass man sich, wenn man Filme macht, immer auch ein bisschen selbst kennenlernen kann. Und je mehr Filme es werden, desto mehr entdeckt man, welche Art von Geschichten man so erzählt. Bei mir ist es, im Gegensatz zu bestimmten Landsleuten, ein sehr positives, optimistisches Welt- und Menschenbild. Das hat aber auch damit zu tun, dass ich eine Nähe zum amerikanischen Film habe. Es geht um eine grundsätzlich positive Einstellung zum Leben, zur Umwelt. Man packt die Sachen an, und wenn es ein Problem gibt, dann versucht man, das zu beseitigen. Die Probleme, die auch personifiziert werden, können dann sehr grausam, sehr schrecklich, sehr böse und brutal sein. Aber es ist immer etwas, das man bekämpfen kann. Dass es problematische Strukturen in unserer Gesellschaft gibt, die man nicht so leicht lösen kann, ist mir schon klar. Aber da bin ich wieder bei den Amerikanern. Man kann versuchen, Dinge anzupacken, anstatt – das wäre der Wienerische Weg – mich zum Heurigen zu setzen, mich volllaufen zu lassen und zu raunzen, wie schrecklich alles ist. Weil man eh nix machen kann.

Welcher Feind, welche böse Energie ist dramaturgisch eigentlich interessanter? Die, die man besiegen kann, oder die, an der man scheitert?

Das, was ich von der amerikanischen Dramaturgie gelernt habe, ist, dass man Geschichten universell erzählt, indem man das Gute und das Böse personifiziert und sie relativ konkret darstellt. Man erzählt immer die Geschichte vom Helden, von der Heldin, der auszieht, um die Feinde zu bekämpfen. Das ist natürlich auch auf eigene persönliche Kämpfe gegen innere Dämonen übertragbar. Ist das gut erzählt, erkennt man sich darin auch wieder. Auch wenn ich nicht vom Bären angegriffen werde, erkenne ich mich in Leonardo DiCaprio wieder, der um sein Überleben strampelt mit allen Mitteln, die er physisch und mental zur Verfügung hat. Das ist das Prinzip, wie man Geschichten erzählt. Ich finde das wesentlich sinnvoller, als gesellschaftliche Probleme auf ein Abstraktionslevel zu hieven. Dafür ist das Kino nicht da, dafür gibt es Medien, die sich besser eignen.

Von welchen Konflikten erzählt „Die Hölle“?

Die Hölle ist ein Thriller, in der eine junge Taxifahrerin zufällig Zeugin eines brutalen Ritualmordes wird. Der Täter verfolgt dann sie, bis sie den Spieß umdreht und den Täter selbst jagt. Ihr Vorteil ist, dass sie eine ausgezeichnete Taxifahrerin ist, was er schmerzlich zu spüren bekommt. Ein Punkt, der mich an diesem Projekt gereizt hat, ist, dass es eine weibliche Heldin gibt. Dazu kommt, auch wenn das kein großes Thema im Film ist, dass das eine junge Muslima ist, die hier zur Actionheldin wird. Sie weist diesen Typen mit eigener Faust in die Schranken und braucht dafür keinen Mann. Die Gender-Diskussionen, wonach Action-Heldinnen beim Publikum nicht funktionieren, glaube ich überhaupt nicht. Özge, so heißt die Protagonistin in Die Hölle, ist meine dritte Actionheldin, nach Anatomie und der Hexe Lilli, die ich auch dazuzählen würde. Beides waren kommerziell sehr erfolgreiche Filme. Aber auch Alien oder The Hunger Games belegen, dass Frauen in Actionrollen ausgezeichnet funktionieren …

Vollständiger Artikel in der Printausgabe. 

Patient Zero

Action, Drama, Horror, GB 2016 – Regie Stefan Ruzowitzky

Drehbuch Mike Le Kamera Benedict Neuenfels Production 

Design Glenn S. Gainor Musik Michael Wandmacher

Mit Natalie Dormer, Clive Standen, Stanley Tucci, Matt Smith,

John Bradley, Agyness Deyn

Verleih Sony 

Filmstart 16. September 2016

Die Hölle

Thriller, AUS 2017 – Regie Stefan Ruzowitzky

Drehbuch Martin Ambrosch Kamera Benedict Neuenfels 

Production Design Isidor Wimmer

Mit Violetta Schurawlow, Tobias Moretti, Robert Palfrader, Sammy Sheik,

Friedrich von Thun, Murathan Muslu, Susanne Gschwendtner

Produzenten Thomas Peter Friedl, Helmut Grasser 

Filmstart 2017

 

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