Die parteiinternen Vorwahlen, die so genannten Primaries, in deren Rahmen der jeweilige Kandidat von Demokraten und Republikanern für die Präsidentschaftswahlen nominiert wird und somit das Rennen um das mächtigste Amt der Welt einläuten, zählen zu den spannendsten Kapiteln US-amerikanischer Innenpolitik. Inmitten dieser Vorwahlen findet sich Stephen Meyers (Ryan Gosling) wieder. Mit knapp dreißig Jahren zählt er zu den Shooting Stars unter den Politikberatern. Und seine neueste Aufgabe verspricht einiges, organisiert er doch die Kampagne von Gouverneur Mike Morris (George Clooney), der als aussichtsreichster Anwärter der Demokraten gilt. Dabei scheint die Vorwahl noch die größte Hürde zu sein; hat Morris die einmal erfolgreich geschlagen – so das allgemeine Dafürhalten – steht seiner Wahl zum nächsten Präsidenten angesichts eines schwachen republikanischen Gegenkandidaten eigentlich nichts mehr im Weg. Stephen Meyers sieht sich also im Kielwasser seines Klienten ebenfalls schon auf dem Weg nach Washington ins Zentrum der Macht.
Dabei kann der Berater seinen Job auch noch mit voller Überzeugung machen, denn das Programm des weltoffenen und prinzipientreuen Morris entspricht ganz Stephens politischen Idealen und lässt ihn auf einen grundlegenden Wandel in der Politik hoffen. Da nimmt Stephen in Kauf, dass er im Verlauf der Kampagne auch gelegentlich mit härteren Bandagen zu Werke gehen muss – solche Manöver sind vielleicht kein angenehmer Teil seiner Arbeit, doch sie erscheinen eben notwendig, um jene Wahlsiege einzufahren, mit denen man die richtige Politik umsetzen kann. Der Zweck heiligt da manchmal auch ein wenig unsaubere Mittel.
Doch es genügt ein scheinbar nichtiger Anlass, um Stephen geradezu brutal vor Augen zu führen, wie wenig Platz für Idealismus in der Politik gegenwärtiger Prägung ist.
Alles nimmt seinen Anfang, als Stephen der Bitte des Wahlkampfmanagers von Morris Gegenkandidaten zu einem Gespräch unter vier Augen nachkommt – doch ein solches Treffen mit der Konkurrenz widerspricht den Gepflogenheiten des Geschäfts. Ein kleiner Fehler, der jedoch unabsehbare Konsequenzen nach sich zieht. Denn das Treffen bleibt im Mikrokosmos der Politikberater und Spindoktoren natürlich nicht geheim. Und Morris Kampa-gnenleiter Paul Zara (Philip Seymour Hoffman) reagiert anders, als Stephen das erwartet hätte: Der Mann, den er eigentlich nicht nur für seinen unmittelbaren Vorgesetzten sondern vor allem auch als Freund und Mentor angesehen hat, beabsichtigt, Stephen kurzerhand zu entlassen. Und in Folge wird Stephen Meyers Dinge erfahren, die ihm sowohl auf persönlicher als auch auf professioneller Ebene die letzten Illusionen rauben und ihn den Schluss ziehen lassen, dass er in diesem Umfeld nur bestehen wird können, wenn er sich dem Verhalten seiner Umgebung anpasst – was nichts weniger bedeutet, als sich seiner Prinzipien möglichst rasch zu entledigen und jede Schwäche anderer sofort gnadenlos zu seinem eigenen Vorteil auszunützen.
Mit The Ides of March hat George Clooney ein in jeder Hinsicht beeindruckendes psychologisches Drama in Szene gesetzt, das nicht nur den derzeitigen Zustand des politischen Systems in den Vereinigten Staaten einer kompromisslosen Prüfung unterzieht sondern anhand dieser Überprüfung auch so grundsätzliche Fragen nach Prinzipientreue und Opportunismus aufwirft. Mit Filmen wie Confessions of a Dangerous Mind und Good Night, and Good Luck hat Clooney in der Vergangenheit gezeigt, dass er als Regisseur sich inhaltlich und formal von gefälligem Mainstream-Kino deutlich abzugrenzen gedenkt. Ein Weg, den er mit The Ides of March nun mehr als konsequent fortsetzt. Denn seine neue Regiearbeit ist so etwas wie die Antithese zu einem Feelgood-Movie. Mit chirurgischer Präzision macht Clooneys brillante Inszenierung deutlich, wie ein auf Erfolg um jeden Preis ausgerichtetes System, das Winkelzüge und Intrigen als selbstverständliche Elemente ansieht, seine Protagonisten zu seelischen Eisblöcken mutieren lässt, die selbst positiv besetzte Inhalte nur mehr vorschieben, um ihre Mittel rechtfertigen zu können. Politische Programme sind dabei schon längst zu Textbausteinen verkommen, die in erster Linie dazu dienen, diverse Kampagnen voranzutreiben.
Mit der Fokussierung auf politische System inklusive den spezifischen Eigenheiten, die die US amerikanische Innenpolitik aufweist, schließt George Clooney mit The Ides of March an einige der feinsten Arbeiten an, die das US-Kino in den vergangenen Jahrzehnten zu diesem Themenkomplex hervorgebracht hat.
In bester message-cinema-Tradition machte Franklin J. Schaffner mit The Best Man 1964 die üblen Machenschaften und Intrigen deutlich, die sich hinter den Kulissen des politischen Systems abzuspielen pflegen. Dabei stehen sich im Vorwahlkampf um die Präsidentschaft – einem Szenario, das jenem von The Ides of March gleicht – Henry Fonda und Cliff Robertson als erbitterte Kontrahenten gegenüber, die sich zusehends schmutzigerer Tricks bedienen, um sich die Nominierung zu sichern. The Best Man (das Drehbuch verfasste Gore Vidal) zeichnet ein reichlich desillusionierendes Bild der Strategien politischer Macht, allein Henry Fonda lässt seinen Charakter zumindest am Schluss einen Rest von Integrität bewahren.
Dem schleichenden Verlust von Idealen, Wertvorstellungen und persönlicher Integrität – ebenfalls ein zentrales Motiv von The Ides of March – widmet sich der von Michael Ritchie inszenierte The Candidate (1972). Zentrale Figur dabei ist der von Robert Redford gespielte Bill McKay, der als eigentlich chancenloser Außenseiter gegen den Amtsinhaber in das Rennen um einen Sitz im US-Senat geschickt wird. Weil man ihm selbst parteiintern so gar keine Siegeschance einräumt, darf der junge Kandidat zunächst seine eigenen politischen Positionen uneingeschränkt vertreten und so Werbung für seine zutiefst liberalen Ansichten machen. Als diese im politischen Geschäft eher ungewohnte Offenheit jedoch Anklang findet und die Umfragen immer vielversprechender werden, greifen die Wahlkampfstrategen ein, um ihren Kandidaten mehrheitsfähig zu machen. McKay muss ganz gegen seine Überzeugung immer mehr Abstriche bezüglich seiner Positionierungen machen, die Maschinerie des politischen Geschäfts lässt seine Grundsätze nach und nach erodieren.
Oliver Stone setzt sich in seinem Biopic Nixon (1995) mit einer äußerst kontroversiellen Figur der US-amerikanischen Politik auseinander. In seiner brillanten psychologischen Studie konzentriert sich Stone vor allem darauf, den hemmungslosen Machtwillen Richard Nixons – der dabei auch vor illegalen Methoden, die in der Watergate-Affäre gipfelten, nicht zurückschreckte – auf ganz persönliche Traumata zurückzuführen. In seinem Scheitern wird einer der umstrittensten US-Präsidenten (grandios von Anthony Hopkins gespielt) bei Oliver Stone zu einer tragischen Figur von shakespearscher Dimension.
Einen eher satirischen Blick wirft Mike Nichols mit Primary Colors (1998) auf die Mechanismen der Politik. Im Mittelpunkt stehen dabei die Höhen und Tiefen, die ein Kandidat für das Amt des Präsidenten – bei dem nicht nur Polit-Insider deutliche Ähnlichkeiten mit Bill Clinton ausmachen – im Verlauf der Vorwahlen durchleben muss. The Ides of March macht deutlich, dass die gnadenlosen Mechanismen des politischen Betriebs merkbare psychische Spuren bei den Protagonisten hinterlassen. Dass dies auf eine nachhaltig im Gedächtnis verbleibende Art und Weise gelingt, ist neben George Clooneys präziser und intelligenter Inszenierung vor allem auch dem grandios agierenden Schauspielerensemble geschuldet. Allen voran ist dabei Ryan Gosling zu nennen, der den Wandel des von ihm gespielten Charakters psychologisch hervorragend nachvollziehbar darzustellen versteht. Droht Stephen Meyers zunächst zum Spielball der Kräfte eines unbarmherzig agierenden Systems zu werden, passt er sich rasch – und vermutlich rascher, als er das selber gedacht hätte – den bestehenden Verhältnissen an und beginnt ebenfalls nur mehr zweckorientiert zu agieren. Und wie leicht man in einem solchen Getriebe dazu tendiert, seine Prinzipien außen vor zu lassen und dies auch noch allzu leicht vor sich selbst zu rechtfertigen versteht, merkt Stephen schneller als ihm lieb ist.
Philip Seymour Hoffman und Paul Giamatti agieren in den Rollen von Stephen Meyers erfahrenen Kollegen, die diesen Prozess schon lange hinter sich haben. Als routinierte Politikberater haben die beiden schon alle Seiten des Geschäfts kennen gelernt, taktische Manöver jedweder Art und ohne Rücksicht auf Verluste gehören für sie längst zum Standardrepertoire. Mit einer Mischung aus Abstumpfung und Gelassenheit wie sie abgebrühten Veteranen eigen ist, nehmen diese Charaktere selbst persönliche Niederlagen als Teil des Spiels hin. Und dann ist da noch George Clooney in der Rolle des politischen Hoffnungsträgers, der jedoch unter Druck auch eine ganz andere Seite offenbart. Der aufstrebende Politikberater Stephen Meyers wird im Verlauf seines schmerzlich verlaufenden Erkenntnisprozesses erkennen müssen, dass es in diesem Business nur eine Person gibt, für die es sich zu kämpfen lohnt – und diese Person ist Stephen Meyers selbst.
The Ides of March – Tage des Verrats / The Ides of March
USA 2011 – Regie: George Clooney
Drehbuch: George Clooney, Grant Heslov, Beau Willimon
Kamera: Phedon Papamichael
Schnitt: Stephen Mirrione, Musik: Alexander Desplat
Production Design: Sharon Seymour, Kostüm: Louise Frogley
Mit: Ryan Gosling, George Clooney, Philip Seymour Hoffman, Paul Giamatti,
Marisa Tomei, Evan Rachel Wood, Jeffrey Wright, Max Minghella
Verleih Tobis Film, 100 Minuten