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Susanne Kennedy

Text: Christopher Wurmdobler | Fotos: Julian Röder

Schöpfungsgeschichte als Videogame, Theater als Ritual: Bei den „Festwochen 2020 reframed“ ist nun auch „Ultraworld“ von Susanne Kennedy in Wien zu sehen. Kennedy zählt zu den wichtigsten Stimmen im deutschsprachigen Theater. Mit ihren rätselhaften, hypnotisierend artifiziellen Arbeiten sprengt die Regisseurin die Grenzen der Bühne zum virtuellen Raum. Im Interview erklärt die Regisseurin, wie man sich ihrem rätselhaften, hypnotisierend artifiziellen Theater am besten nähert.

Susanne Kennedy "Ultraworld" © Julian Röder

FAQ: Was haben Sie in den Wochen während der Corona-Beschränkungen an den Abenden gemacht, an denen Sie vielleicht im Theater gewesen wären, Frau Kennedy?

Susanne Kennedy: Ich war im Theater! Weil ich gearbeitet habe. Wir hatten gerade in München Premiere mit „Oracle“. Es war auf einmal wieder möglich zu proben, und da sind wir direkt vor drei Wochen von Berlin hergefahren und haben die Arbeit, die wir wegen Corona niedergelegt haben, zu Ende gebracht. Tatsächlich war ich in den letzen Wochen viel im Theater.

Aber nicht als Zuschauerin.

Ich gehe aber auch sonst nicht viel als Zuschauerin ins Theater; da hat Corona bei mir jetzt keinen so großen Unterschied gemacht. Ich bin jemand, der eher ins Kino geht. Früher, als ich angefangen habe, bin ich viel mehr ins Theater gegangen. Weil man sich erkundigt, was Kollegen machen, woraus man lernen kann. Damals habe ich sehr viel gesehen und irgendwann habe ich gemerkt, dass es das Theater, das ich gerne sehen möchte, zum Teil sehr wenig gibt. Deswegen habe ich begonnen, es selbst zu machen.

Einige Menschen haben aber offenbar schon noch das Bedürfnis, im Theater zusammenzukommen, um anderen Menschen beim Leben, Lieben oder Leiden zuzusehen. Wieso glauben Sie, ist das so?

Weil wir im Hier und Jetzt zusammenkommen und eine gemeinsame Erfahrung machen. Das ist das Erlebnis von Körpernähe, dass man das Gleiche im gleichen Augenblick erlebt. Das kann etwas sehr Starkes sein und da gibt es eine Sehnsucht danach. Auch bei mir. Da ist dann trotz allem noch eine Sehnsucht, die ich habe. Und die immer mal wieder erfüllt wird.

Ihr Theater wirkt auf viele extrem artifiziell, dennoch scheint Ihnen der Live-Aspekt des Zusammenkommens wichtig zu sein. Streaming oder Filmemachen wäre keine Alternative?

Das interessiert mich nicht. Ich habe jetzt auch keine Streams angeschaut. Ich frage mich, wer da davorsitzt und sich das wirklich von A bis Z ansieht. Wenn ich mal reingeschaut habe, habe ich eher so ein bisschen durchgeklickt.

Hat man manchmal im Theater nicht auch das Bedürfnis vorzuspulen?

Bestimmt. Beziehungsweise rauszugehen. Das Problem beim Theater ist, dass man immer so gefangen ist; vor allem, wenn man irgendwo in der Mitte sitzt. Dieses Gefühl kenne ich sehr gut. Wenn Theater schlimm ist, dann ist es so richtig schlimm. Schlimmer als alle anderen Medien. Dieses Medium ist kein einfaches. Für mich funktioniert es auch oft nicht. Obwohl ich es sehr liebe, finde ich es sehr widerspenstig.

Wenn Theater funktioniert, was kann es dann?

Dann hat man das Gefühl, dass gemeinsam mit den anderen Menschen eine Form von Erhöhung passiert. Ich nenne das immer eine Art Ritual, das man zusammen erlebt. Das prägt sich umso stärker ein, weil die Menschen, die das ermöglichen, direkt vor einem sind. Das kann die Erfahrung umso intensiver machen.

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„Als Regisseurin ist man eine Schamanin, die versucht, diesen Raum zu verwandeln“, haben Sie in einem Interview gesagt. Wie bekommen Sie das hin?

Ich arbeite mit einem Team zusammen. Ganz wichtig sind Sound, Video, Kostüme, Bühne, dass man auf alle Sinne eingeht. Am Theater werden die oft vernachlässigt. Ganz viel wird da über gesprochenen Inhalt vermittelt. Bei mir geht es über eine Atmosphäre, über eine Temperatur, über einen Sound, der sich über die Körper legt. Über bestimmte Bewegungen, die einen in einen bestimmten Zustand versetzen. Ich suche immer nach einer Form von Hypnose. Nach etwas, das eine kritische Haltung erstmal loslässt und in eine andere Art Zustand reinkommen kann.

Wird im Theater oft zu viel gequatscht?

Ja.

Sie haben den Ruf, dem Typ klassische Schauspielerin/ klassischer Schauspieler eher kritisch gegenüber zu stehen …

Sagen wir mal so: Ich stehe dem kritisch gegenüber, mit welchem Gestus sie in Schauspielschulen und dann weiter in den deutschsprachigen Theatern auf der Bühne stehen. Also eher dieser Tradition, dass mir alles vorgespielt wird, jede Emotion, jeder Gedanke. Und der wird erstmal ganz weit raus entweder geschrien oder gezeigt. Es muss alles nach außen gehen. Mir als Zuschauerin wird alles ins Gesicht gedrückt. Ich möchte aber ein anderes Erlebnis. Ich möchte reingesaugt werden und meinen eigenen Weg darin gehen. Ich brauche eine andere Form von Sprache auf der Bühne. Ich brauche eine andere Form von Sein auf der Bühne. Ich musste mir eine neue Form erfinden.

Werden in ihren Arbeiten weniger die Emotionen dargestellt?

Bei mir finden Emotionen auf einer anderen Ebene statt. Es ist mehr so eine Emotion, die über dem Gesamten schwebt. Über dem Bild, durch den Sound, die Kombination von Bildern einer Form von Montage: wie die Körper im Raum stehen, wie der Text hintereinanderkommt. Und eben nicht der Schauspieler als Emotionsträger und -übermittler.  Das bedeutet, dass man selber den Weg gehen kann, um zu diesem Erlebnis zu kommen. Als Zuschauer bin ich also aktiv. Jeder für sich muss die Bereitschaft finden, diesen Weg zu gehen. Leute mögen es oft auch erstmal nicht, wenn die gängige Tradition durchbrochen wird und sind dann irritiert.

Passiert es noch, dass Teile des Publikums Ihre Inszenierungen schimpfend und türenknallend verlassen be-zie-hungs-wei-se höhnische Kommentare abgeben?

Viel seltener. Die Leute wissen inzwischen auch wo sie reingehen. Aber klar passiert es noch. Gleichzeitig habe ich ein neues Publikum gefunden, das genau weiß, warum es kommt. In Berlin ist das ein sehr junges Publikum. Es geht auch nicht darum, zu provozieren.

Sie arbeiten inzwischen auch mit Performerinnen und Performern, Leuten wie Frank Willen in „Ultraworld“, der vom Tanz kommt. Wie ist der Unterschied zu Schauspielern in Ihren Stücken?

Es gibt da wirklich Unterschiede. Aber Schauspieler wollen oft vom Regisseur an die Hand genommen werden, alles erklärt bekommen. Die sorgen sich vor allem um ihre Rolle, aber nicht um das Ganze. Tänzer und Performer sind viel mehr daran gewöhnt, sehr selbstständig zu arbeiten und immer das Ganze mitzudenken. Das macht’s bei meiner Arbeit erstmal einfacher. Aber in all den Jahren habe ich auch viele schöne Arbeiten mit Schauspielern zusammen gemacht.

Sind die Akteure bei Ihnen eher Spieler im Sinne von Gamer? Oder sogar ihre eigenen Avatare wie in einem Videospiel?

Sie sind Spieler auf allen unterschiedlichen Ebenen. Sie müssen einen eigenen Weg, ihren eigenen Zugang zu dieser Sache zu finden. Das ist natürlich eine Form von Spiel. Avatar bedeutet, dass man eine Rolle spielt. In dem Sinn sind wir alle irgendwie Avatare. Wir benutzen diesen Begriff oft, aber eigentlich findet es überall statt. Bei mir wird’s halt mehr ausgesprochen.

Ihre Stücke sind oft wie Rätsel, die Figuren äußern sich orakelhaft. Der Titel Ihrer letzten Arbeit lautet sogar „Oracle“ und in „Ultraworld“ heißt es ganz seltsam „The only way out is in“ – muss man als Publikum alles verstehen?

Es ist eine andere Form von Verstehen. Es ist nicht so, dass man sich den Kopf zerbricht und irgendwann kapiert man’s. Es ist mehr so ein Loslassen und über andere Kanäle reinkommen lassen. Das hat immer mit einer Form von Offenheit zu tun, die man mitbringt. Oder eben nicht mitbringt. Dann geht es nicht so sehr ums Verstehen, sondern mehr um eine Form von durchlässig sein. Die Arbeit entfaltet und zeigt sich eigentlich sowieso erst wenn Zuschauer dazukommen. Manchmal auch erst Jahre später. Manchmal weiß ich auch nicht so genau was es ist. Und bin auch oft nicht die beste Person, um das zu interpretieren. Ich liebe Rätsel. Oder Paradoxien. Dinge, die sich nicht sofort zeigen. Darum macht es mir auch solchen Spaß, so zu arbeiten. Aber es ist nicht so, dass ich Dinge extra verrätsele, um sie weniger zugänglich zu machen. Sondern es entsteht einfach so. Ich brauche dann manchmal selber Jahre um dahinterzukommen, was das jetzt bedeuten könnte, was ich da gemacht habe.

Diese poppig-künstliche Videospiel-Ästhetik in Ihren Inszenierungen, ist das Ihrer Kindheit und Jugend in den 1980er und 1990er Jahren geschuldet?

Ich habe selber damals gar nicht so viel am Computer gespielt, aber es gibt natürlich diese Faszination. Ich benutze die Idee der Videogames mehr als ein philosophisches Konzept als eins zu eins zu sagen: „Wir machen jetzt hier Videogames auf der Bühne.“

Philosophisches Konzept im Sinne von: Der Gamer ist sowas wie Gott?

Eher so, dass man übers Leben selbst nachdenkt: Was ist das für ein seltsames Spiel in dem wir hier gelandet sind? Während man lebt, muss man die Spielregeln rausfinden, rausfinden wer man eigentlich selbst ist. Man geht, trifft andere Leute. Diese Illusion, dass wir denken „Das ist die Realität“ – aber eigentlich ist es eine Form von Spiel, in dem wir uns befinden. Das interessiert mich daran. Bei „Ultraworld“ war die Frage, wie eine Welt erschaffen werden kann, die Idee des World- buildings. Und da ist dann ein Mensch, der darin seinen Weg finden muss. Das ist da mehr so eine Metapher. Wir reden eigentlich übers Leben selber.

Sie haben die jungen Menschen erwähnt, die Ihr Publikum sind. Haben die sogenannten Digital Natives einen anderen, einfacheren Zugang zu Ihrem Theater als das typische Bildungsbürger-Publikum?

Absolut. Da trifft man sich auf eine Art und Weise. Unsere Sehgewohnheiten, wie wir Dinge zu uns nehmen, Informationen verarbeiten, wie wir Geschichten erleben – das alles hat sich grundsätzlich verändert. Allein wie viele Texte am Tag durch uns durchfließen. Von Podcasts, YouTube-Videos, irgendwelche News auf irgendwelchen Channels: wir sind die ganze Zeit Multi-Verarbeiter. Das ist eine Form, die man nicht ignorieren kann. Meine Arbeiten entstehen so, dass ich ständig Texten begegne, während ich nur im Internet unterwegs bin oder auf meinem Telefon herumzappe. Oder Gespräche auf der Straße höre. Diese Texte finden dann ihren Weg in die Stücke.

Ihr Theater wird oft als Trip beschrieben. Rausch als eine Art Eskapismus?

Ich empfinde das Leben selbst als eine Form von Trip. Für mich gibt es da gar keinen großen Unterschied zwischen dem Leben und dem, was auf der Bühne passiert. Im Gegenteil: Es sollte sehr viel miteinander zu tun haben. Ich kann mir aber vorstellen, dass Leute das als eine sehr große Diskrepanz empfinden. Man kommt aus dem Büro raus und dann geht man ins Theater … Aber was machen wir denn jede Nacht, wenn wir schlafen und träumen, was für ein seltsamer Trip ist das denn eigentlich? Wir nehmen die Träume halt nicht ernst, denken nicht darüber nach und tun sie ab. Aber es passiert jede Nacht in unseren Körpern. Ich glaube, dass wir da ganz viele Dinge ausgeschlossen haben, die ich versuche, wieder auf die Bühne zurückzuholen.

In welchem Zustand besucht man am besten ihre Stücke?

Ich habe von Leuten gehört, die eingeschlafen und dann wieder aufgewacht sind und voll und ganz drin waren. Ich habe gar nichts dagegen, wenn Leute einschlafen. Weil man dann durchlässiger und offener wird. Deswegen kann ich das nur empfehlen. Ich höre auch oft von Leuten, dass meine Stücke erst Tage später wirken. Dass man während man schaut, gar nicht so genau weiß, was man sich da eigentlich anschaut. Und dann bleibt einem irgendwas hängen. Das finde ich eigentlich auch schön. Wenn man die Menschen noch so weiter raus ins Leben begleiten kann.

Wäre es denkbar, dass das Publikum eines Tages selbst Spieler und Spielerin ist in Ihren Stücken?

Ich glaube, das Publikum ist schon längst Spieler und Spielerin. Nicht unbedingt in meinen Stücken. Aber in ihren eigenen Stücken. Das ist zwar eine Form, aufs Leben zu kucken, die die meisten Menschen nicht haben. Aber es findet schon längst statt.

Susanne_Kennedy_c_Franziska_Sinn.pngSusanne Kennedy © Franziska-Sinn

Zur Person

Susanne Kennedy, geboren 1977 in Friedrichshafen (Deutschland), hat in Amsterdam Regie studiert und an niederländischen Bühnen gearbeitet. Seit 2011 inszeniert sie an den Münchner Kammerspielen (im Juni 2020 hatte „Oracle“ dort Premiere) und seit 2018 an der Volksbühne Berlin. Sie wurde von der „Theater heute“-Jury zur Nachwuchsregisseurin des Jahres 2013 gewählt und mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet. Ihre Inszenierungen „Fegefeuer in Ingolstadt“ und „Warum läuft Herr R. Amok?“ wurden 2014 und 2015 zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen. 2018 zeigten die Wiener Festwochen Kennedys Stück „Die Selbstmord-Schwestern“. Susanne Kennedy arbeitet eng mit dem bildenden Künstler Markus Selg zusammen, die gemeinsame Arbeit „Ultraworld“, im Jänner 2020 an der Volksbühne Berlin uraufgeführt, ist ihre zweite Inszenierung, die in Wien zu sehen ist.

Susanne Kennedy, Markus Selg

ULTRAWORLD

25. + 26. September

Halle E im MuseumsQuartier

www.festwochen.at

 

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