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Talent borrows, genius steals

Text: Koroschetz Stefan | Fotos: Camille Vivier

Der queere Avantgarde-Pop-Paradiesvogel Mike Hadreas alias Perfume Genius legt mit „Set My Heart on Fire Immediately“ sein fünftes Album vor. Es strotzt nur so vor Abwechslungsreichtum und grandiosen Songs – und fokussiert auch auf Dance und Performance.

Perfume Genius © Camille Vivier

Wenn man von einem Literaturstar wie dem vietnamesisch-amerikanischen Autor Ocean Vuong, der mit seinem Roman „On Earth We’re Briefly Gorgeous“ (2019) reüssiert hat, in einem ausführlichen Essay regelrecht abgefeiert wird, ist das ein Boost in Richtung „Straight to the Top“. Die zentrale Frage Vuongs lautet: „Kann Brüchigkeit schön sein?“ Laut Vuong sehr wohl, sie kann sogar vielmehr „Quelle der Freude und einer Zukunft sein, die sich der fragmentierte, verwundete und begehrenswerte queere Körper selbst ersingt.“ Das schreibt einer, der selbst ein preisgekrönter Vertreter migrantischer und queerer Positionen in den USA ist.

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Schwieriges Aufwachsen in Seattle

Die Voraussetzungen für ein gelungenes Leben waren für Hadreas alles andere als vielversprechend. Aufgewachsen als Scheidungskind mit Morbus Crohn in einem Vorort von Seattle, ist er bereits als Teenager derart offensiv schwul gestylt, dass er mit ungesunder Regelmäßigkeit von anderen Halbwüchsigen verdroschen wird, einmal sogar bis zur Krankenhausreife. Dazu kommen ständige Konflikte der Eltern. Zum Glück erkennt und akzeptiert Mikes Mutter die Homosexualität des Sohnes früh. Später in New York als Hungerkünstler ernährt sich Hadreas vornehmlich multitoxisch. Den folgenden Drogenentzug absolviert er im Elternhaus bei seiner Mutter, wo auch die ersten Songskizzen am Klavier entstehen. Zu dieser Zeit lernt Hadreas auch Adam Wyffels kennen, der sein Lebenspartner und Keyboarder sowie erfreulicher Kollateralnutzen des Drogenentzugs ist.

The Way to the Top

2010 wird Hadreas vom Indie-Label Matador unter Vertrag genommen. Langsam, aber sicher verwandelt sich der talentierte junge Mann vom verhuschten Piano-Player mit bebendem Balladengesang und Knusperelektronik zum selbstbewussten Frontman mit exaltierter Stage-Gymnastik. Es ist Hadreas hoch anzurechnen, dass er bereits in den frühen 2010er-Jahren neben der transgender Rock ’n’ Rollerin Ezra Furman und dem schwulen Pop-Elektroniker Patrick Wolf mit queeren Themen das Indie-Terrain so aufgemischt, dass auch der Mainstream sich dem Trend nicht mehr gänzlich verweigern will. Sam Smith, Halsey und Years & Years folgen in den Popcharts nach. Mit Lil Nas X war 2019 noch nie ein schwarzer schwuler Teenager zuvor so lange auf Patz eins in den US-Charts.

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Glam-Artpop mit „Queen“

Das Album „Too Bright“ (2014) markiert mit der Produktion von Adrian Utley (Portishead) eine Zäsur in Sound und Komposition. Die Stücke werden komplexer, die Arrangements elaborierter, und mit dem Mikrohit „Queen“ kann Hadreas eine Landmark in Bezug auf kontemporären Glam-Artpop setzen. Zu bestaunen war „Queen“ auch 2017 in der gut gefüllten Wiener Arena im Zuge der Tour zum überraschend optimistischen Songzyklus „No Shape“ (2017). Sound und Songwriting entwickeln sich verstärkt in Richtung hochklassigem Queer-Glampop auf den Spuren der Glamrock-Ikone Jobriath im Zeichen von Camp.

Lesen Sie den vollständigen Artikel in der Printausgabe des FAQ 57

 

| FAQ 57 | | Text: Koroschetz Stefan | Fotos: Camille Vivier
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