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Tanzen durch postkoloniale Welten

Text: Michael-Franz Woels | Fotos: Press

Das Weltmuseum Wien zählt zu den bedeutendsten ethnologischen Museen Europas. Im Juli 2015 wird es im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals über drei Wochen lang zum von Michael Stolhofer kuratierten Spielort für Uraufführungen österreichischer Tanzschaffender. Objekte aus der Sammlung finden sich in Installationen von Claudia Bosse, Künstlerische Leiterin ihres theatercombinats, oder in den Performances von Philippe Riéras Gruppe Superamas. FAQ initierte eine Gesprächrunde mit diesen beiden renommierten Choreografen und Elisabeth Tambwe, die in ihren Arbeiten postkoloniale Wunden unserer Welt thematisiert und mit scharfer Ironie kritisiert.

Die Initialfrage der Diskussionsrunde lautete: Ist Postkolonialismus ein geeigneter Theoriebegriff für Ihre Performances und Installationen?

Elisbaeth Tambwe: In meiner Arbeit neige ich dazu, gewisse historische Mythen zu entweihen und dadurch Dinge sichtbar zu machen, die die westliche Welt verleugnet. In meiner neuen Choreografie „Symposium“, die ich bei ImPulsTanz im Weltmuseum zeige, verwende ich die neokolonialistische Rede, die Nicolas Sarkozy in Dakar gehalten hat. Viele glauben noch immer, anderen eine Lektion in Sachen Entwicklungshilfe erteilen zu müssen. Afrika wird häufig als ein homogenes Ganzes mit einer einzigen Realität betrachtet. Der französische Ex-Präsident irrt mit seiner ethnozentrierten Sicht, die keine anderen Möglichkeiten für Entwicklung zulässt. Wenn ich das Wort Postkolonialismus höre, denke ich an eine noch andauernde Unterwerfung. Dieses Wort ist sehr bequem, da diese Unterwerfung auf die Zeit nach dem Kolonialismus reduziert wird. Die Realität jedoch ist komplexer.

Philippe Riéra: Als recherchierender Künstler bin ich in gewisser Weise Opfer und Mörder in Einem. Ein Opfer, da ich gewisse Muster, die Welt zu verstehen, reproduziere. Dagegen gilt es anzukämpfen. In der Arbeit „History of Violence“ im Weltmuseum, die teils erst während dem ImPulsTanz Festival mit einer Gruppe junger Künstlern erarbeitet wird, versuchen wir von Superamas ethnologische Ausstellungsobjekte aus der Museumssammlung neu zu verorten. Das frühere Völkerkundemuseum ist ja auch ein Ort der Vergangenheit, der Gewalttätigkeiten, des Todes. Es geht uns auch darum, Autoritäten aufzuzeigen. Und Kolonialismus ist ja immer noch am Leben, wie man auch am Bespiel des Weltgendarms USA sieht.

Claudia Bosse: Die Legitimationsversuche der In-Anspruchnahmen von Land, Menschen und Gütern sind interessant, und haben sich seit Beginn der Kolonialisierung bis heute kaum verändert, nur die Erscheinungsformen sind andere geworden. In der für mich wichtigen Auseinandersetzung mit postkolonialer Theorie bin ich manchmal eifersüchtig auf diese „glückliche“ Theorie, die ein klares Wissen von Gut und Böse hat, was verurteilungswürdig ist und was nicht. Ein System zu kritisieren und zu anlaysieren, wie es im täglichen Leben bis heute koloniale Strategien einverleibt hat, wühlt mich auf. Ich weiß nicht genau, wo ich mich da situieren kann, wo ich mit meiner Geschichte die Unterscheidung zwischen Gut und Böse treffen kann und ob ich es überhaupt will. Meine neue Arbeit „a second step to IDEAL PARADISE“ ist eine Installation für das Weltmuseum, die in fünf Räumen Themen wie die Produktion von Ideologie, Erotik und Rassismen, kulturelle Projektionen und Körperpolitiken von Terror verhandelt. Diese Installation wird in Folge mit der Performance „a third step to IDEAL PARADISE“ erweitert.

ET: Der Reichtum Europas beruht großteils auf der Ausbeutung von afrikanischen Rohstoffen. Die Verschwendungssucht, die Korruption und der Nepotismus sind keine ausreichende Erklärung für die Probleme von manchen afrikanischen Ländern. Aber sie sind wohl eine Konsequenz dieser Ausbeutung, auch der Schändung von Afrikas Böden auf der Suche nach Rohstoffen. Dieser Widerspruch reizt mich und findet sich in meinen Arbeiten wieder: die feine Grenze zwischen Opfer und Täter, legalen und illegalen Körpern, sichtbaren und unsichtbaren Körpern.

PR: Was mir auffällt: Wir zeigen für manche Bevölkerungsgruppen viel mehr Empathie als für andere. Trotz all dieser Museen und unserem Wissen über verschiedene Völker. Wenn hunderte Menschen vor der Küste von Lampedusa sterben, macht uns das natürlich betroffen. Oder wenn tausende Menschen aufgrund eines Erdbebens in Nepal umkommen. Aber wenn zweitausend Menschen in Amerika in den Twin Towers ums Leben kommen, erzeugt das eine nicht vergleichbare Empathiewelle. Ich kann das nicht richtig erklären, ich fühle mich als Franzose nicht vertraut genug mit der amerikanischen Kultur. Aber das finde ich verblüffend: wir können nicht die gleiche Empathie zu allen Menschen oder Menschgruppen aufbauen. Ich hoffe, ich klinge nicht zu pathetisch, aber für mich ist das ein totales menschliches Fehlverhalten. Wie damit umgehen?

CB: Es ist die Kraft der Kunst, keine Lösungen anbieten zu müssen und auf Fragen fokussieren zu können. Die Reorganisation der Konstruktion von Realität durch Kunstwerke. In den 1960er und 1970er Jahren versuchten künstlerische Praxen primitive Lebensweisen, Organisationsformen und Rituale zu übernehmen. Der Aktionismus als Neuerfindung des Rituals reinterpretierte und kannibalisierte gewisse Strategien, die dann unserer Gesellschaft entgegengesetzt wurden. Und bezugnehmend auf Kolonialismus und diese Begegnung mit anderen Kulturen, das Überschreiten der Zwänge der Herkunftsgesellschaft, Projektionspunkte eines Ursprungs von anderen Regeln: diese „unschuldigen Orte“ haben immer Populationen, Spuren und eine Geschichte. Aber warum sie vereinahmen und verwenden für eigene Projektionen von Andersartigkeit und Anderssein, vom anderen Teil der Zivilisation? Diese Oppositionen – das finde ich interessant – warum suchen und verlangen wir so aktiv danach? Warum brauchen wir diese Vorstellungen von „Otherness“, von anderen, fremden Existenzformen?

ET: Um einen Diskurs über den Postkolonialismus führen zu können, erscheint es mir notwendig, zuerst die Köpfe der Kolonisierten und der Kolonisateure zu „dekolonisieren“. Sowohl in „Symposium“  als auch meiner neuen Arbeit „FIT IN“, die ich im Zuge der Kooperation von ImPulsTanz und mumok präsentiere, fordere ich dazu auf, sogenannte historische Gegebenheiten zu hinterfragen, die oft zu einer Haltung der Unterwerfung führen.

PR: Für mich stellt Kunst vor allem auch immer eine Reaktion dar. Kunst ist mehr Reaktion als Aktion. Zum Beispiel entstand der Dadaismus NACH dem ersten Weltkrieg. Ich könnte jetzt natürlich auch noch andere Beispiele ausspielen, die aufzeigen, dass Kunst als Reaktion auf missfallende Zustände entsteht. In den Arbeiten mit Superamas verwenden wir auch sozusagen Progagandastrategien, um die Zuschauer auf ein gutes Unterhaltungsprogramm vorzubereiten. Man manipuliert ihre Sensitivität mit einer Bewegung, einem Image, einem Song, aber dann geht es plötzlich in eine ganz andere Richtung.

CB: Islamischer Extremismus ist zum Beispiel in den letzten zwei Jahren als New-World-Order-Narrativ aufgepoppt. Wenn man koloniale Strategien studiert, erkennt man gewisse Grundzüge wieder: es geht um Ökonomie, die Definition von Territorien, Aneignungen, die Erzeugung eines Narrativs zur moralischen Unterscheidung von Gut und Böse, priviligiert und nichtpriviligiert – diese sollen ein Einschreiten rechtfertigen. Ich finde es wichtig, die Legitimationsgründe des Kolonialismus zu betrachten: das waren der Humanismus, Bildung und Hygiene. Und wenn man heute liest, warum in anderen Ländern wie Irak, Libyen interveniert wird, findet man diese Gründe ebenfalls wieder. Die Auseinandersetzung mit Postkolonisalismus kann ein gutes Tool sein, um moralische Grundsätze zu zerstreuen und sich im Gegenzug mit ethischen Aspekten zu beschäftigen.

ImPulsTanz

16. Juli – 16. August

| FAQ 33 | | Text: Michael-Franz Woels | Fotos: Press
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