Der Australier Marc Newson, Jahrgang 1963, gehört zu den vielseitigsten Industriedesignern der Welt, wobei der Begriff „vielseitig“ in seinem Fall weder eine Floskel noch eine Übertreibung darstellt: Pfefferstreuer, Sneakers, Spacejets, Möbel, Restaurantinterieurs, Feldstecher, Zeitmesser, Telefone – all dies, und noch viel mehr, hat Newson bereits entworfen. Die Fantasie des Mannes, der 1984 seinen Abschluss am Sydney College of the Arts mit Schwerpunkt Schmuck und Skulptur machte, scheint keine Grenzen zu kennen. Einige Newson-Objekte sind gar rekordverdächtig: So wurde 2009 ein Exemplar seiner ikonischen Lockheed-Lounge-Stühle (eine biomorphe Hommage an Le Corbusier aus silbrigem Aluminium, die u. a. in einem Musikvideo von Madonna auftauchte) um 1.100.000 Pfund versteigert – der höchste Preis, der je für ein Möbelstück eines lebenden Designers bezahlt wurde. Der deutsche Verlag Taschen hat Newsons Werk bereits 2012 mit dem limitierten Band „Works“ – ein Exemplar kostete 750 Euro – gefeiert. Nun folgt eine vergleichsweise kostengünstige Version um 150 Euro, die durch das Verstreichen der Zeit naturgemäß noch umfassender geworden ist. Die Enzyklopädie „Works 84–24“, die sich Newsons bisherigem Gesamtwerk widmet, umfasst frühe Stücke wie den Pod of Drawers (ein außergewöhnlicher Aluminium-Kasten aus dem Jahr 1984, der dem französischen Schreiner André Groult Reverenz erweist) ebenso wie die Nausicaä Megayacht, die sich gerade in Entstehung befindet. Die Einträge sind chronologisch und nach Kategorien geordnet: Objekte, Möbel, Interieur, Transport und Schmuck & Uhren. Dazu gibt es ausführliche Beschreibungen von Genese und Produktion der Stücke, die von Newson-Zitaten begleitet werden.
Newsons Biografie wird dabei mit seinem Werk verwoben: Seine Vielseitigkeit zeigte sich bereits während seines Studiums, als er innerhalb des Schmucklehrgangs zusätzlich mit Möbeldesign experimentierte. Die ersten Ideen für bestimmte Entwürfe lassen sich dabei bis in die Kindheit zurückverfolgen, denn Newsons Mutter arbeitete für ein Architekturbüo in Sydney. Wenn er sie bei der Arbeit besuchte, sah er unter anderem Stühle Mies van der Rohes, die seine Fantasie beflügelten. Mittels Speziallektüre brachte sich Newson den Umgang mit Metallen bei (Aluminium ist eines seiner bevorzugten Materialien) und fertigte erste Stühle an. Möbel seien es schließlich auch gewesen, die ihm den Weg als Designer gewiesen hätten. Eines seiner aufwendigsten Möbelstücke ist dabei der blaue Cloisonné Tisch (2019), der aus Glas-Emaille und Kupfer besteht und in einer delikaten, auf altertümlichen Techniken basierenden Prozedur, die Newson in China recherchierte, gefertigt wurde.
Für Jaeger-LeCoultre entwarf Newson drei Versionen der Atmos-Modelle (2008/2010/2016), wobei ihm zupass kam, dass er bereits ein Fan dieses Modells war. Die eigentliche Herausforderung bestand darin, dem Zeitmesser, dessen fundamentales Design lange nicht verändert worden war, seinen Stempel aufzudrücken. Dies gelang ihm unter anderem mit dem Entwurf eines Gehäuses aus Baccara-Kristallglas – ein wahrer Wow-Faktor.
Apropos Kristall: Für Swarovski Optik entwarf er Ferngläser, wobei hier mit Grün und Orange zwei seiner bevorzugten Farben zum Einsatz kamen. Eines davon verfügte gar über spezielle Software, die Vögel-, Schmetterlings- und Säugetierarten identifizieren konnte. Im Kapitel „Objects“ zeigt sich die erwähnte Vielseitigkeit besonders eindrucksvoll. Ob Shiseido-Flakon (1992), Taschenlampe (1997) oder Hair-styling-Geräte (2001): Die Objekte sind raffiniert, verspielt und auf ihre Weise fast minimalistisch; nie heischen sie grell um Aufmerksamkeit und doch fallen sie sofort ins Auge. Wenn man dann noch sieht, welche Vielzahl an Transportmitteln vom Fahrrad bis zum Space-Plane-Concept Newson (der u. a. Kreativdesiger bei Qantas ist) entwarf, kann man gar nicht anders, als Fan zu werden. Marc Newson wird uns wohl noch viele Jahre mit seiner Vielseitigkeit verblüffen.
Marc Newson. Works 84-24
Hardcover, 29.2 x 39 cm, 5 kg, 496 Seiten
Taschen Verlag, Köln 2024