William Wyler zählt zu den bedeutendsten Vertretern des klassischen Hollywood-Kinos, die Tatsache, dass er gleich zwölfmal als Bester Regisseur für den Oscar nominiert war – drei dieser Auszeichnungen konnte er dabei einheimsen – ist die offensichtliche Bestätigung dieser Reputation. Seine Filme, die sich mit höchst unterschiedlichen Themen und Sujets auseinandersetzen, zeichnen sich durch höchst präzise Inszenierungen aus, die ihre jeweiligen Geschichten ebenso intensiv wie stilgerecht zu erzählen verstehen und dabei oft mehr als nur ein Stück Wahrheit über die menschliche Natur finden. Ein schönes Beispiel für das Kino William Wylers repräsentiert Infam (Originaltitel The Children’s Hour), eines seiner späteren Werke aus dem Jahr 1961.
Im Mittelpunkt stehen die zwei jungen Lehrerinnen Martha und Karen – Shirley MacLaine und Audrey Hepburn zeigen exemplarisch mit ihren nuancierten Darstellungen, dass William Wylers Inszenierungen seinen Schauspielern Höchstleistungen ermöglichte –, die in einer beschaulichen Gemeinde auf dem Land ein exklusives Mädcheninternat betreiben. Eine der Schülerinnen erweist sich als besonders renitent und setzt schließlich aus Bosheit das Gerücht in die Welt, zwischen den beiden Erzieherinnen gebe es eine unangemessene – die damalige Umschreibung für lesbisch – Beziehung. Das ist zwar erlogen, doch die Verleumdung zieht wie schleichendes Gift weitere Kreise und erweist sich im Amerika jener Tage als höchst brisant. Bald schon werden alle Zöglinge von der Schule geholt, Martha und Karen geraten zusehends in die völlige soziale Isolation. Mit bedrückender Eindringlichkeit macht Infam nach und nach die Auswirkungen von Gehässigkeiten im Umgang miteinander deutlich, die gepaart mit Intoleranz und Engstirnigkeit eine fatale Mischung ergeben. Der Humanist Wyler scheut sich auch nicht, eine klare Haltung gegenüber den in der US-amerikanischen Gesellschaft verbreiteten, höchst fragwürdigen Moralvorstellungen zu beziehen.
Infam / The Children’s Hour (1961)
Regie: William Wyler
Mit: Audrey Hepburn, Shirley MacLaine, James Garner
Arthaus/Studiocanal, 104 Minuten
Bereits erschienen
