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The Gray Man

Ryan Gosling war viel zu lange von der Bildfläche verschwunden – nach vier Jahren Familienpause meldet sich der Schauspieler als Hitman im Action-Spektakel „The Gray Man“ zum Dienst zurück.

©Netflix

Derek Cianfrance hat die Sache mit Ryan Gosling bereits vor Jahren in einem Interview auf dem Punkt gebracht: „Er ist einfach eine magische Person.“ Damals war der Schauspieler kaum Anfang dreißig und hatte mit dem Regisseur nach der modernen Romanze Blue Valentine (2010) gerade auch das Thriller-Drama The Place Beyond the Pines abgedreht, in dem Gosling einen mysteriösen Motorrad-Stuntfahrer spielt, der Banken ausraubt, um für seine Geliebte und ihr neugeborenes Kind zu sorgen. Und Cianfrance konnte sein Glück kaum fassen. Für ihn war der charismatische Kanadier weit mehr als lediglich ein ungemein talentierter Darsteller. „Er macht mich zu einem besseren Filmemacher,“ schwärmte er weiter. „Er macht die Welt zu einem besseren Ort.“
Tatsächlich ist Cianfrance nicht der Einzige, der große Stücke auf Gosling hält, dessen Karriere steil bergauf ging, seit er 2004 in The Notebook einen bärtigen, Briefe schreibenden Schreiner mit ungeheuer Sexappeal spielte. Der 1980 geborene einstige Mickey Mouse Club-Star besitzt eine geheimnisvolle Kraft, die es ihm ermöglicht, sowohl das männliche als auch das weibliche Publikum und darüber hinaus ganz Hollywood um den kleinen Finger zu wickeln. Eine Kraft, die sich in erster Linie über eine unglaubliche Leinwand-Coolness definiert, gemischt mit einer beachtlichen dramatischen Integrität sowie einem Sixpack, das Emma Stones emotional verwirrte Hannah Weaver in Crazy Stupid Love (2011) mit den Worten kommentiert: „Ist das dein Ernst? Du siehst aus wie gephotoshopt.“
Dass der Schauspieler seit seinem erfolgreichen Mondflug als Neil Armstrong in Damien Chazelles First Man vor vier Jahren jedoch weder die durchtrainierten Bauchmuskeln noch den Rest seiner athletischen Figur vor der Kamera präsentierte, hat vor allem persönliche Gründe. Eigentlich wollte er nur kurz aussetzen, eine Pause machen, um sich für eine Weile auf seine Familie zu konzentrieren. Immerhin hat er gemeinsam mit seiner Partnerin und Schauspielkollegin Eva Mendes, mit der er seit der Zusammenarbeit am Set von The Place Beyond the Pines liiert ist, zwei kleine Töchter, die seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. Aber aus ein paar Wochen wurden Monate und ehe er sich versah, war er zum begeisterten Vollzeitvater geworden. „Ich bin froh, dass ich das tun konnte“, erzählte er vor kurzem dem „Empire“-Magazin. „Aber irgendwann dachte ich: Moment mal, ich habe zwei Kinder, ich muss zur Arbeit!“

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Da kam das Angebot der Russo Brüder gerade recht, die Gosling für ihr neuestes Action-Abenteuer im Auge hatten. Sie brauchten einen Superstar, der den Titelhelden aus Mark Greaneys Bestseller-Reihe „The Gray Man“ nicht nur spielen, sondern in seiner ganzen Komplexität verinnerlichen konnte. Und sie wollten einen „Meister des Minimalismus“ wie ihn, der als Auftragskiller, anstatt zu protzen und zu prahlen, mit routinierter Nonchalance und Understatement an die Sache herangehen würde – Bond-style eben, aber mit viel trockenem Humor und noch etwas rauer an den Rändern.
Keine Frage, Gosling war ihr Mann. Nicht umsonst hat er in seinen bisherigen Rollen den Typ Herzensbrecher mit Schlagkraft und Hang zum Risiko geradezu perfektioniert, angefangen mit seinem unvergesslichen Auftritt in Nicolas Winding Refns Neo-Noir Action-Indie Drive (2011), in dem er mit gekonnt zurückgehaltener Mimik eine Figur voller Widersprüche spielt, bis hin zu The Nice Guys (2016), in dem er sich an der Seite von Russell Crowe als Schnüffler durch die Pornobranche der siebziger Jahre schlägt. Diesmal geht es nun darum, dem ehemaligen CIA-Agenten Court Gentry, besser bekannt als Sierra Six, den nötigen Schliff zu verpassen. Er ist der „Gray Man“, der einst von Billy Bob Thorntons Geheimdienst-Boss aus dem Gefängnis geholt und für seine Zwecke zu einem der besten Hitmen des Landes ausgebildet wurde. Doch als freiberuflicher Killer für die US-Regierung wird er plötzlich selbst zur Zielscheibe, der sich mit Chris Evans als seinem skrupellosen Gegenspieler Lloyd Hansen ein nervenaufreibendes Katz-und-Maus-Spiel liefert.
Was ihm an der Figur gefallen hätte, sagt Gosling, ist, „dass er etwas will, was die meisten von uns wollen, nämlich frei zu sein. Seine Ziele sind nicht finanziell motiviert, es geht auch nicht um Rache. Er will nur das Recht haben auf der Couch zu sitzen und Netflix zu schauen, wie wir alle.“

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Womit wir beim Thema wären, denn The Gray Man ist nicht nur Goslings nächster großer Coup, sondern auch für den Streamingsdienst, der ihn finanziert hat, ein ziemlich dickes Ei. Vorab umworben als der neueste, coolste, gewaltigste und teuerste Action-Hit, der Bond und Bourne das Fürchten lehren soll, bleibt abzuwarten, ob die Brüder Anthony und Joe Russo, die sich bisher vor allem im Marvel-Universum mit ihren Captain America– und Avengers-Filmen einen Namen machten, in der Tat erneut ganze Arbeit leisten. Im Fall von Gosling hat man da weniger Bedenken. Ob im Smoking oder im Trainingsanzug, er hat das Profil, die Faustkraft, den Charme, Intellekt und Witz, kurz: alles, um jeden noch so gewieften Top-Agenten in den Schatten zu stellen. Und ist sich darüber hinaus nicht zu schade, anschließend als Sidekick Ken in Greta Gerwigs Live-Action-Verfilmung von Barbie aufzutreten. Es ist, neben seinem unverkennbaren Talent, diese kühne Ungeniertheit bei der Rollenwahl, die Gosling zu einer großen Ausnahme in Hollywood macht. Schön, dass er demnächst wieder öfter im Kino und auf dem Bildschirm zu sehen sein wird.

 

THE GRAY MAN
Action-Thriller, USA 2022 – Regie: Anthony Russo, Joe Russo
Mit: Ryan Gosling, Chris Evans, Ana de Armas, Jessica Henwick,
Regé-Jean Page, Wagner Moura, Julia Butters, Dhanush, Billy Bob Thornton
Filmstart: 22. Juli 2022 (Netflix)

 

| FAQ 66 | | Text: Pamela Jahn
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